Quantendefekttheorie

Quantendefekttheorie
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Die Quantendefekttheorie ist eine Theorie aus dem Bereich der physikalischen Chemie zur modellhaften Erklärung und Berechnung der charakteristischen Linienspektren von Mehrelektronenatomen, insbesondere von Atomen der 1. Hauptgruppe (z. B. Natrium). Im Rahmen dieser Theorie ist das Orbitalmodell bzw. die -theorie von essentieller Bedeutung.

Inhaltsverzeichnis

Ionisierungsenergien

Ein simpler Einstieg in die Theorie gelingt über einen Vergleich der Ionisierungsenergien eines 2s-Elektrons vom Lithium 5,37 eV („Außen- oder Leuchtelektron“ im Grundzustand) und des imaginären 2s-Elektrons des Wasserstoff 3,4 eV (angeregter Zustand). Demzufolge ist mehr Energie nötig, um ein 2s-Lithium-Elektron zu ionisieren als bei einem 2s-Wasserstoff-Elektron. Demnach ergibt sich, dass das 2s-Lithium-Elektron vom eigenen Atomkern stärker angezogen wird, als das 2s-Wasserstoff-Elektron von dessen Atomkern. Diese stärkere Anziehung kann nur mittels Orbitalmodell erklärt werden, das heißt mittels „radialen Aufenthaltswahrscheinlichkeiten“ der jeweiligen Orbitale und deren Signifikanz für die Stärke der Anziehung.

Radialwahrscheinlichkeiten

Orbitale sind Wahrscheinlichkeitsräume. Ein 2s-Elektron bzw. das 2s-Orbital hat eine charakteristische Wellenfunktion, die zu jeder Entfernung vom Kern eine Angabe über die prozentuale Wahrscheinlichkeit macht, das Elektron in genau dieser Entfernung vom Atomkern anzutreffen. Der weitere Aufbau des Atoms spielt für diese Wellenfunktion keine Rolle, sodass die beiden 2s-Elektronen (s. o.) die gleiche Wellenfunktion besitzen, die ihre radialen Aufenthaltswahrscheinlichkeiten, vom Atomkern aus gesehen, angibt.

Die Ursache für die stärkere Anziehung des 2s-Li-Elektrons liegt darin, dass das Lithiumatom im Gegensatz zum Wasserstoffatom einen dreifach positiv geladenen Kern hat, anstatt einen mit einfacher Ladung. Denn die Wellenfunktion eines 2s-Orbitals hat ein kernnahes Maximum, das heißt, dass das 2s-Elektron zu einer geringen, aber dennoch wichtigen Wahrscheinlichkeit, auch in den Bereich zwischen den atomeigenen, inneren 1s-Elektronen und dem dreifach positiven Kern „tauchen“ kann. Dort erfährt das 2s-Elektron natürlich eine deutlich höhere Anziehung auf Grund der Ladung des Kerns. Die Abschirmung des Kerns nach außen, die die zwei 1s-Elektronen vorher bewirkt hatten, wird nun unvollständig, das heißt, das 2s-Elektron erfährt nur in dem kernfernen Bereich einen einfach positiv geladenen Kern, im kernnahen aber einen dreifach positiv geladenen Kern. Im zeitlichen Mittel wird das 2s-Elektron des Lithiumatoms daher von einem Kern der Ladung 1e < Q < 3e angezogen, im starken Kontrast zum 2s-Elektron des Wasserstoffs. Dieses kann nur von einem Kern der Ladung Q = 1e angezogen werden, da das Wasserstoff-Atom nur ein Proton im Kern besitzt.

Quantendefekttheorie

Eine stärkere Anziehung führt zu einer höheren Ionisierungsenergie, die im Energiniveauschema als geringeres Energieniveau des 2s-Lithium-Elektrons dargestellt wird. Die Differenz zwischen 2s-Energieniveau und Ionisierungskontinuum wird größer. Da die obige Erklärung allgemeingültig für alle Atome der 1. Hauptgruppe ist, müssen die Energieniveaus von Mehrelektronenatomen der 1. Hauptgruppe geringer sein als für vergleichbare Orbitale des Wasserstoffatoms. In der Quantendefekttheorie wird dies schematisch dargestellt, indem von der Hauptquantenzahl n des jeweiligen Orbitals der Quantendefekt δ abgezogen wird, sodass eine effektive Hauptquantenzahl n' entsteht.

n' = n − δ

Der Quantendefekt δ spiegelt demnach die Stärke der zusätzlichen Anziehung (s. o.) wider. Dieser Quantendefekt δ hängt jedoch nicht nur von dem jeweiligen Atom ab, sondern auch von der Bahndrehimpulsquantenzahl l, das heißt, ob es sich um ein s-, p-, d- oder f-Orbital handelt. Denn je nach Nebenquantenzahl l verändern sich auch die dazugehörigen Wellenfunktionen der Orbitale. So hat das kugelförmige s-Orbital ein ausgeprägtes kernnahes Maximum der Wellenfunktion, das hantelförmige p-Orbital jedoch weniger, usw. Die Abschirmung wird somit mit steigender Nebenquantenzahl l „vollständiger“, das Außenelektron „taucht“ seltener in den kernnahen Bereich ein, und wird somit weniger stark angezogen. Daraus folgt: Je größer die Nebenquantenzahl l, desto kleiner der Quantendefekt δ. So ist ein 3d-Elektron des Lithiums energetisch gesehen kaum von einem 3d-Elektron des Wasserstoffs zu unterscheiden. Der elementare Unterschied bleibt jedoch, dass es bei Alkalimetallen im Kontrast zum Wasserstoffatom eine Aufhebung der l-Entartung gibt, das heißt, die unterschiedlichen Formen der Orbitale spiegeln sich auch in unterschiedlichen Energien wider. Je größer die Nebenquantenzahl l, desto approximierter ist das Energieniveau des Orbitals, an dem eines vergleichbaren Wasserstoffatoms. l-Entartung beim Wasserstoffatom bedeutet somit, dass ein 4s-Elektron des Wasserstoffs energetisch gleich einem 4d-Elektron des Wasserstoffs wäre.

Linienspektren

Passt man die aus dem Bohrschen Atommodell hergeleitete Rydberg-Formel an die Quantendefekttheorie an, so ergibt sich für optische Übergänge die Formel:

f = Ry \left( \frac1{n'^2} - \frac1{m'^2} \right)

Ermittelt man mittels Spektroskopie die einzelnen Übergänge und deren Energien, kann man die Quantendefekte ermitteln für jedes Orbital eines Atoms, und man erkennt, dass der Quantendefekt δ nur minimal von der Hauptquantenzahl n, bildlich der Größe des Orbitals, aber signifikant von der Bahndrehimpulsquantenzahl l, der Form des Orbitals abhängt. Da für Emission bzw. Absorption von Licht die Auswahlregel: \Delta l = \pm 1 gilt, sich die Form des Orbitals also verändern muss, ist die Quantendefekttheorie von großer Bedeutung. Denn mithilfe des Bohrschen Atommodells sind die charakteristischen Linienspektren von Alkalimetallen nicht zu erklären. Die Quantendefekttheorie beweist demnach in trivialer Weise die Notwendigkeit des Orbitalmodells.


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