Raimund Friedrich Kaindl

Raimund Friedrich Kaindl

Raimund Friedrich Kaindl (* 31. August 1866 in Czernowitz; † 14. März 1930 in Graz) war ein deutscher[1] Historiker und Ethnologe. Er befasste sich mit der Geschichte der Deutschen in Ostmitteleuropa, insbesondere in den Karpaten und prägte den Begriff des Karpatendeutschen. Weitere Schwerpunkte von Kaindl waren die Geschichte und Ethnologie der Polen, Ruthenen,Huzulen und Tschechen.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kaindl wurde in einer zur Gruppe der Karpatendeutschen gehörenden Familie geboren. Sein Großvater väterlicherseits war vor 1820 aus Niederösterreich, sein Großvater mütterlicherseits aus Frankfurt am Main in die Bukowina eingewandert. Er berichtet, dass sein Vater als Lehrer arbeitete, daneben eine Mahlmühle und eine Kachelofenfabrik errichtet hätte und Liebhaber von Malerei und Musik war. Er besuchte in seiner Geburtsstadt die Schule und schrieb sich dort an der 1875 gegründeten Francisco-Josephina-Universität ein, um Geschichte, Geographie und Germanistik zu studieren. Nach seiner bestandenen Lehramtsprüfung und der 1891 abgeschlossenen Dissertation arbeitete er als Lehrer in seiner Heimatstadt und wurde nach seiner Habilitation 1901 an der Universität Czernowitz außerordentlicher und 1905 ordentlicher Professor für österreichische Geschichte. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges floh er nach dem Einmarsch russischer Truppen in Czernowitz nach Wien. Im Jahre 1915 folgte er einem Ruf an die Universität Graz, wo er den Lehrstuhl für österreichische Reichsgeschichte übernahm und bis zu seinem Tod innehatte.

Beruf

Bereits während des Studiums veröffentlichte Kaindl 1888 seine Schrift Geschichte der Bukowina. Seine Dissertation trug den Titel Die Geschichte des heiligen Adalbert. Im Jahre 1893 habilitierte er sich mit einer Arbeit über Beiträge zur älteren ungarischen Geschichte an der Universität Czernowitz. Sein wissenschaftliches Interesse bezog sich nicht allein auf rein historische Themen, sondern erstreckte sich ebenso auf kulturhistorische und ethologische Aspekte eines Raumes, so dass viele seiner Arbeiten in den Bereich der Ethnologie fallen. Er veröffentlichte dazu 1903 ein Handbuch. Sein wichtigstes Werk ist die 1907 bis 1911 erschienene Geschichte der Deutschen in den Karpathenländern.

Seit dem Beginn des Ersten Weltkrieges waren die meisten Aufsätze und Schriften Kaindls stark von politischer Polemik geprägt. (s. u.) Erst 1927 fand Kaindl mit Der Völkerkampf und Sprachenstreit in Böhmen im Spiegel der zeitgenössischen Quellen und 1929 mit der Geschichte und Kulturleben Deutschösterreichs zu seinem wissenschaftlichen Format zurück.

Politik

Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit engagierte sich Kaindl seit dem Ende des 19. Jahrhunderts politisch in den deutschnationalen Schutzorganisationen im Karpatenraum. So initiierte er Tagungen der Karpatendeutschen und wurde Obmann des Vereins der christlichen Deutschen in der Bukowina. Diese Tätigkeit verstärkte er noch, als er mit dem Vertrag von Saint-Germain endgültig von seiner Heimat abgeschnitten wird zu nationalistischen und agitatorischen Ausfällen, so in dem 1919 erschienenen Sendschreiben an Deutsche und Nichtdeutsche. Er befasste sich darin überwiegend polemisch mit den Gründen für den Zusammenbruch der Habsburgermonarchie und suchte Möglichkeiten zur Überwindung dieser von ihm empfundenen Katastrophe durch die Schaffung eines föderalistisch organisierten Mitteleuropa, so 1920 mit 1848/49-1866-1918/19. Des deutschen Volkes Weg zur Katastrophe und seine Rettung und 1926 mit Deutsche Geschichte in großdeutscher Beleuchtung. Seine in diesen Schriften polemische und oft einseitige Darstellung führte zu heftigen Auseinandersetzungen in der wissenschaftlichen Kritik und eskalierte auf dem Deutschen Historikertag 1927 in Graz. Von seiner in dieser Zeit durch nationale Überheblichkeit und Rassismus geprägten politischen Haltung ist auch die Rezeption von Kaindls wissenschaftlichem Werk in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg überschattet.

Schriften (Auswahl)

  • Die Volkskunde. Ihre Bedeutung, ihre Ziele und ihre Methode. Mit besonderer Berücksichtigung ihres Verhältnisses zu den historischen Wissenschaften. Ein Leitfaden zur Einführung in die Volksforschung. Leipzig: Deuticke 1903
  • Geschichte der Deutschen in den Karpathenländern. Gotha: Fr. A. Perthes 1907-1911 (Allgemeine Staatengeschichte. Abt. 3. Deutsche Landesgeschichten, Werk 8. Band 1-3).
  • Die Deutschen in den Donauländern und ihren Nachbargebieten. Ein Sendschreiben an Deutsche und Nichtdeutsche. Hamm: Breer & Thiemann 1919 (Frankfurter zeitgemäße Broschüren, [N.F.] 38,8).
  • 1848/49-1866-1918/19. Des deutschen Volkes Weg zur Katastrophe und seine Rettung. München: Drei Masken Verlag 1920
  • Österreich, Preußen, Deutschland. Deutsche Geschichte in großdeutscher Beleuchtung. Wien & Leipzig: Braumüller 1926
  • Der Völkerkampf und Sprachenstreit in Böhmen im Spiegel der zeitgenössischen Quellen. Wien & Leipzig: Braumüller 1927
  • Geschichte und Kulturleben Deutschösterreichs. Auf Grundlage der "Geschichte Österreichs" von Franz Martin Mayer. Wien: Braumüller 1929
  • Raimund Friedrich Kaindl. In: Steinberg, Sigfrid Henry (Hg.): Die Geschichtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen. Leipzig: Verlag von Felix Meiner 1925, S. 171–205.

Literatur

  • Fooken, Hauke Focko (1996): Raimund Friedrich Kaindl als Erforscher der Deutschen in den Karpatenländern und Repräsentant grossdeutscher Geschichtsschreibung. Lüneburg: Verlag Nordostdeutsches Kulturwerk (Hamburger Beiträge zur Geschichte der Deutschen im europäischen Osten, 3). ISBN 3-932267-02-8 (Hauptquelle für diesen Artikel)
  • Alexander Blase: Raimund Friedrich Kaindl (1866 - 1930). Leben und Werk. Wiesbaden: Harrassowitz 1962
  • Kaindl, Raimund Friedrich. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 3, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1965, S. 177.
  • Gerhard Grimm: Kaindl, Raimund Friedrich. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 11, Duncker & Humblot, Berlin 1977, S. 33.

Nachweise

  1. Die Einordnung als österreichischer Historiker wäre hier falsch, da sich Kaindl selbst stets - auf der Grundlage der großdeutschen Idee als Deutscher sah.

Weblinks

 Wikisource: Raimund Friedrich Kaindl – Quellen und Volltexte

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