Selektion (Konzentrationslager)

Selektion (Konzentrationslager)
Blick zur Bahnrampe im Lager Auschwitz-Birkenau, Aufnahme von 2006


Der Begriff Selektion beziehungsweise Rampendienst in Zusammenhang mit den Begriffen Konzentrationslager und Vergasung hatte in der Zeit des Nationalsozialismus in Bezug auf die Vernichtung der Juden Europas (auch Shoa oder Holocaust) eine besondere, unmenschliche, Bedeutung. Dahinter steht die vielfach sekundenschnelle Entscheidung über die sofortige Ermordung von hunderten oder tausenden Menschen, die von der SS in die zur massenhaften Ermordung errichteten speziellen Konzentrationslager (in der Geschichtsforschung auch Vernichtungslager genannt, zeitgeschichtlich auch mit Todeslager oder Todesfabriken umschrieben) transportiert worden waren. Die entscheidende Person, in der Regel ein SS-Arzt, stand dabei seinen Opfern ebenerdig gegenüber und teilte ihnen seine Entscheidung durch einen Fingerzeig, eine Geste mit oder mittels einer Reitgerte oder ähnlichem in der Hand, die nach rechts oder links deutete. Wurde das Opfer nicht sofort zur Gaskammer geschickt, verlängerte dies das Überleben als KZ-Häftling eventuell um wenige Tage, aber eventuell auch auf unbestimmte Zeit. Den meisten Opfern der Selektionen war vielfach die Tragweite der Entscheidung nicht bewusst, da sie die Situation danach beurteilten, ob sie von Angehörigen getrennt wurden, mit denen sie auch in der vermeintlich bevorstehenden Haft zusammen bleiben wollten.

Insbesondere fanden Selektionen im KZ Auschwitz-Birkenau statt, da in den Vernichtungslagern der Aktion Reinhardt Belzec, Sobibor und Treblinka nur ein sehr geringer Prozentsatz der ankommenden Häftlinge als Arbeitskräfte selektiert wurde. In diesen Vernichtungslagern wurden die Ankommenden fast ausschließlich ohne Selektion direkt nach ihrer Ankunft ermordet.

Eine jüdische Frau mit Kindern auf dem Weg zur Gaskammer
(Foto: Auschwitz Album, Mai 1944)

Die Einteilung der Lagerärzte zur Selektion und die Leitung der Selektionen insgesamt nahm in Auschwitz-Birkenau der Standortarzt Eduard Wirths als deren Vorgesetzter vor. Im damaligen Sprachgebrauch der SS-Wachen wurde der Begriff Selektion wahrscheinlich nicht verwendet, sondern Rampendienst beziehungsweise der Vorgang selbst als Aussortierung bezeichnet. Der Standortarzt war gleichzeitig Untergebener des Lagerkommandanten und in der Befehlshierarchie der Inspektion der Konzentrationslager (IKL) dem Leitenden Arzt der IKL unterstellt.

Damit steuerten die Ärzte die Belegungszahlen des Konzentrationslagers, beziehungsweise der so genannten Krankenreviere oder Häftlingskrankenbauten. Die Zahl der Häftlinge des jeweiligen Konzentrationslagers (Majdanek oder Auschwitz) und der mit ihm verbundenen Nebenlager beziehungsweise der eventuell nach einer Genesung wieder Arbeitsfähigen in den anderen Konzentrationslagern konnte so dem Arbeitskräftebedarf der angeschlossenen Betriebe und der Kapazität der Vernichtungsmaschinerie angepasst werden. Häufig wurden so auch Transporte von Kranken eines Konzentrationslagers in eines der Krankenlager (dort wurde durch Hunger gemordet) oder in ein Vernichtungslager zusammengestellt (Aktion 14f13). Hinter der Entscheidung stand die Vorstellung, dass die von der NSDAP herantransportierten Menschen eben keine Menschen mehr seien, sondern eine Menschenmasse, über die die SS nach ihrem Belieben verfügen könne. Die Heranziehung von SS-Ärzten zu dieser Art Entscheidung über den Todeszeitpunkt der Inhaftierten beruhte auf einer Vorschrift für alle Konzentrationslager, die den Ärzten unter dem Lagerpersonal bestimmte Aufgaben vorbehielten. Sie ist Teil des sehr arbeitsteiligen Vorgangs der Ermordung von tausenden Menschen, durch den viele Beteiligte sich nicht direkt die Finger schmutzig machen mussten.

Siehe auch

Literatur


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