- Rechtsbiometrik
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Rechtsbiometrik ist eine Untersuchungsmethode der Identifikationstechnik, die sich aus den Schnittstellen von Biometrie, also dem Erstellen und Auswerten von Daten über Lebewesen einerseits, und dem Rechtssystem andererseits ergibt.
Der Fokus liegt auf der Altersentwicklung von Menschen. Untersucht werden insbesondere rechtliche Probleme, die sich aus der gewandelten Bevölkerungsstruktur für die Alterssicherungssysteme, wie zum Beispiel Rentenversicherungen, ergeben [1].
Der Fachbereich wurde von dem Rechtswissenschaftler Hans-Peter Schwintowski entwickelt.
Inhaltsverzeichnis
Hintergrund
Historischer Ausgangspunkt
Angesichts nahezu leerer gesetzlicher Rentenkassen, Resultat der Hyperinflation von 1923, der Weltwirtschaftskrise ab 1929 und einer missbräuchlichen Verwendung des angesammelten Rentenkapitals zur Deckung der Kriegskosten, war die Bundesregierung 1957 gezwungen, ein neues gesetzliches Rentensystem zu etablieren. Das bis dahin geltende Bismarck’sche Alters- und Invalidensicherungssystem, das schon vor dem Zweiten Weltkrieg zu großen Teilen aus Steuermitteln finanziert wurde, war nicht mehr praktikabel und belastete den Staatshaushalt. Das Problem bestand darin, dass die Rentner damals möglichst schnell und dauerhaft finanziell abgesichert werden mussten. Hierfür stand jedoch weder das nötige Kapital zur Verfügung, noch blieb die Zeit, genügend Kapital anzusparen.
Die Lösung war die Einführung eines sogenannten umlagefinanzierten Rentensystems. Dabei wird die aktuelle Rente nicht aus einem angesparten Kapital finanziert, sondern über den Rentenversicherungsbeitrag aus dem Arbeitseinkommen der jüngeren, erwerbstätigen Generation. Die Vorteile lagen auf der Hand: Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von damals 68 bis 70 Jahren und einem Renteneintrittsalter von 65 Jahren, musste die erwerbstätige Bevölkerung nur eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Rentnern finanzieren, weshalb die Beitragssätze relativ niedrig gehalten werden konnten[2]. Außerdem konnten die Rentenzahlungen sofort beginnen.
Entwicklung
Die Gründe zur Einführung des umlagefinanzierten Systems basierten auf der Annahme, dass es immer mehr junge, als alte Menschen geben werde, folglich auch immer genügend Beitragszahler vorhanden sind. Das Adenauerzitat „Kinder kriegen die Leute immer“ ist Ausdruck des damaligen Denkens. Allerdings hat sich diese Annahme nicht bestätigt: Die Geburtenzahlen in Deutschland sind seit Mitte der 1960er Jahre rückläufig. Kam es Mitte der 1960er Jahre noch zu durchschnittlich 2,5 Geburten pro Frau[3] , so sind es heute nur noch 1,4[4]. Gleichzeitig stieg die Lebenserwartung etwa alle zehn Jahre um zwei bis drei Jahre. Dies hatte die Konsequenz, dass immer mehr und immer älter werdende Rentner von immer weniger Beitragszahlern finanziert werden mussten. Zwar wurde dieser Effekt u.a. durch Zuwanderung abgemildert, jedoch nicht kompensiert. Der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung musste daher seit Einführung des umlagefinanzierten Rentensystems im Jahre 1957 von 14,0% auf aktuell (2010) 19,9% fast kontinuierlich erhöht werden (Ausnahme: vom 1. Januar 1997 bis 31. März 1999 betrug der Beitragssatz 20,3%, wurde dann bis zum 31. Dezember 2003 schrittweise auf 19,1% abgesenkt und seit dieser Zeit wieder stetig erhöht) [5]. Aktuell wird das Renteneintrittsalter von 65 Jahre auf 67 erhöht.
Ausblick
Die deutsche Bevölkerung wird nach neueren Berechnungen von derzeit (2008) ca. 82 Millionen Einwohnern auf ca. 65 bis 70 Millionen im Jahre 2060 schrumpfen. Ab 2020 wird die Zahl der Rentner sprunghaft ansteigen, da die geburtenstarken Jahrgänge ins Rentenalter eintreten. Der Anteil der über 65-jährigen an der Gesamtbevölkerung wird von derzeit 20,4% auf ca. 34% im Jahr 2060 steigen, jeder siebente wird sogar 80 Jahre oder älter sein. Das Geburtendefizit wird sich nach Ansicht des Statistischen Bundesamts bis dahin verdreifachen. Für den Arbeitsmarkt bedeutet dies, dass die Zahl derer, die im erwerbsfähigen Alter von 20 bis unter 65 Jahren (und damit potentielle Rentenversicherungsbeitragszahler) sind, von derzeit 60,6% (2008) auf 50,4 % (2060) der Gesamtbevölkerung zurück gehen wird [6].
Problemansatz
Die Veralterung der deutschen Bevölkerung, basierend auf rückläufigen Geburtenzahlen einerseits und zunehmender Langlebigkeit andererseits, wird in der Fachwelt unter dem Stichwort „Biometrische Schere“ diskutiert. Da diese Schere immer weiter auseinander gehen wird, ist absehbar, dass das umlagefinanzierte gesetzliche Rentensystem unter dieser Bevölkerungsentwicklung zusammenbrechen wird. Schon jetzt müssen immer weniger erwerbstätige Beitragszahler immer mehr Rentner finanzieren. Die Erhöhung des Renteneintrittsalters, Beitragsanpassungen und Zuwanderungen können diesen Prozess allenfalls etwas verlangsamen, jedoch nicht stoppen. Spätestens, wenn um 2020 die geburtenstärksten Jahrgänge der Nachkriegsgeschichte das Renteneintrittsalter erreichen, wird sich diese Situation extrem verschärfen. Das gesetzliche Rentensystem in seiner jetzigen Form ist somit nicht (mehr) geeignet, die finanzielle Alterssicherung dauerhaft sicherzustellen.
Zielsetzung
Die Rechtsbiometrik verfolgt u.a. das Ziel, effizientere und stabilere Modelle einer gesetzlichen Rentenversicherung zu entwickeln. Dabei geht es insbesondere um die Abstandnahme vom umlagefinanzierten und möglichst schonende Umstellung zurück auf ein kapitalbildendes System.
Einzelnachweise
- ↑ Schwintowski „Rechtsbiometrik – Was ist das?“
- ↑ Schwintowski a.a.O.
- ↑ Statistisches Bundesamt Geburten in Deutschland
- ↑ Statistisches Bundesamt, 12. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung „Bevölkerung Deutschlands bis 2060“, Begleitmaterial zur Pressekonferenz vom 18. November 2009.
- ↑ Deutsche Rentenversichrung - Statistik
- ↑ Statistisches Bundesamt, 12. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung „Bevölkerung Deutschlands bis 2060“, Begleitmaterial zur Pressekonferenz vom 18. November 2009.
Kategorien:- Biometrie
- Biologische Untersuchungsmethode
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