- Sozialgeschichte des Klaviers
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Die Sozialgeschichte des Pianos ist die Geschichte der Rolle des Instruments in der Gesellschaft. Das Klavier wurde am Ende des 17. Jahrhunderts erfunden und fand weite Verbreitung in der westlichen Gesellschaft zum Ende des 18. Jahrhunderts und wird vielerorts bis heute gespielt.
Inhaltsverzeichnis
Frühe Jahre
Zur Zeit seiner Erfindung rund um das Jahr 1700 war das Klavier eine spekulative Erfindung, ersonnen von dem gutbezahlten Instrumentenmacher und Erfinder Bartolomeo Cristofori für seinen reichen Arbeitgeber, Ferdinand de Medici, Großfürst von Florenz. Daher war es ein extrem teurer Gegenstand. Für einige Zeit nach seiner Erfindung war das Klavier lediglich im Besitz von Königen (Beispielsweise von Portugal und Preußen) (siehe Hauptartikel Hammerklavier). Aber auch später noch (während des 18. Jahrhunderts und des frühen 19. Jahrhunderts) lagen Klaviere außerhalb der finanziellen Reichweite der meisten Familien, und die Klaviere jener Zeit waren generell Eigentum des Adels und der Aristokratie. Auf Besuch verweilende Musiker lehrten die Kinder des Adels darauf spielen.
Pianos und Frauen
Sowohl Parakilas[1] also auch Loesser[2] betonen die Verbindung zwischen Klavieren und dem weiblichen Geschlecht. Klavierunterricht zu bekommen war offenbar für Mädchen weit verbreiteter als für Jungen.[3] Es war auch weitenteils akzeptiert, dass die Fähigkeit, klavierspielen zu können, die jungen Frauen als Ehefrauen begehrter machte.
Frauen, die als Kinder das Klavierspiel erlernten, behielten dies als Erwachsene oftmals bei und brachten so Musik in ihre Haushalte.[4]. Zum Beispiel nahm Emma Wedgwood (1808–1896), die Enkelin des wohlhabenden Industriellen Josiah Wedgwood, Klavierunterricht bei niemand Geringerem als Frédéric Chopin und erreichte offenbar eine gute Kunstfertigkeit darin. Nach ihrer Heirat mit Charles Darwin spielte Emma weiterhin täglich Klavier, während ihr Ehemann ihr gern zuhörte.
Eine Anzahl weiblicher Klavierschüler wurde regelrecht zu Virtuosen, und die Fähigkeiten von Klavierspielerinnen inspirierten die Arbeiten von Haydn, Mozart und Beethoven, die allesamt schwierig zu spielende Klavierstücke ihren Freundinnen widmeten.[5] Allerdings standen Karrieren als Konzertmusiker typischerweise nur Männern offen – eine wichtige Ausnahme war später Clara Schumann.
Verbreitung des Klaviers
Im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts wurde die Mittelklasse sowohl nach Zahl der Personen als auch nach wirtschaftlichen Mitteln größer. Dieser Aufstieg fand eine Parallele in der gesteigerten Bedeutung häuslicher Klaviermusik, als immer mehr Menschen Klaviere und Klavierunterricht kaufen konnten. Das Klavier wurde auch allgemein gebräuchlich in Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen, Hotels und öffentlichen Sälen. Im Zuge der Ausbreitung westlichen Lebensstils auch in anderen Weltgegenden wurden auch dort Klaviere mehr und mehr gebräuchlich, zum Beispiel in Japan.
Um den Aufstieg des Klaviers in der Mittelklasse zu verstehen, hilft es, sich klarzumachen, dass vor der Einführung von Schallplatten und Radios das Musizieren auch bei "normalen" Menschen zum Alltag gehörte. Insbesondere bildete sich in den arbeitenden Schichten eine Volksmusik heraus, die mündlich überliefert wurde und von allen gesungen wurde. Die Eltern von Joseph Haydn (1732–1809) konnten keine Noten lesen, aber Haydns Vater Mathias (der als Stellmacher arbeitete) lehrte ihn das Harfenspiel, und die Haydn-Familie spielte und sang häufig gemeinsam. Mit zunehmendem Wohlstand konnten sich nun immer mehr Menschen Klaviere leisten und passten ihre häuslich-musikalischen Fertigkeiten entsprechend an das neue Instrument an; das Klavier wurde zu einer wichtigen Quelle von Musik in den Haushalten.
Amateurpianisten eiferten oft den führenden Klavierspielern und Komponisten nach. Professionelle Virtuosen beschrieben in Büchern Methoden, das Klavierspiel zu erlernen, die sich bestens verkauften. Die Virtuosen bereiteten auch ihre eigenen Ausgaben klassischer Musik auf, die detaillierte Angaben zu Tempo und Ausdruck enthielten, um die Amateure anzuleiten, die ihrem Spiel nacheifern wollten. (Heutzutage werden Studenten oft angehalten, nach einem Urtext zu arbeiten.) Die Klavierkompositionen großer Komponisten verkauften sich oft gut unter Amateuren, trotz der Tatsache, dass sie – angefangen bei Beethoven - oft bei weitem für jedermann außer hoch trainierten Talenten zu schwer waren, um perfekt gespielt zu werden. Offenbar verschafften sich Amateure Freude, indem sie den großen Vorbildern so nahe wie möglich kommen wollten, auch wenn sie es letztlich nicht schafften, ein Stück von Anfang bis Ende fehlerfrei zu spielen.[6]
Eine favorisierte Form des Klavierspiels war das vierhändige Spiel, bei dem zwei Klavierspieler Seite an Seite an einem einzelnen Klavier sitzen. Diese Werke waren häufig Arrangements von Orchesterwerken und dienten in der Zeit bevor technische Möglichkeiten entstanden waren, Musik aufzuzeichnen der Wissensverbreitung und dem Einstudieren neuer Orchesterstücke, auch wenn ein Orchester nicht vor Ort präsent war. Manchmal wurde zu Klavierspiel auch mit einem anderen Instrument gespielt oder zum Klavierspiel gesungen.
Eltern, deren Kinder ungewöhnliches Talent zeigten, drängten sie oft zu einer Karriere als Profi und warfen sich manchmal tief in Schulden, um die Ausbildung zu ermöglichen. Artur Schnabels Buch Mein Leben und die Musik[7] zeichnet ein lebendiges Bild seiner eigenen Erfahrungen entlang dieser Verhältnisse, die sich im Österreich-Ungarn des ausgehenden 19. Jahrhunderts fanden.
Niedergang
Der Status des Klaviers in den Familien blieb lange sicher, bis der Fortschritt der Technik die Freude an der Musik auch in passiver Form zu genießen erlaubte. Zuerst das „Elektrische Klavier“ (ca. ab 1900), dann der Phonograph (der im Jahrzehnt vor dem ersten Weltkrieg Allgemeingut wurde), dann das Radio in den 1920ern lösten einen großen Rückgang des Amateur-Klavierspiels als heimische Freizeitgestaltung aus. Während der Großen Rezession in den 1930ern ging die Klavierverkäufe drastisch zurück und viele Hersteller stellt ihr Geschäft ein.
Ein weiterer "Schlag" gegen das klassische Klavier waren dann im späten 20. Jahrhundert die aufkommenden elektronischen Keyboards. Dieses die preiswerteren Keyboards werden wegen ihrer vergleichsweise schlechteren Klangqualität oft nur minderwertiger Ersatz eines guten Klaviers angesehen. Jedoch sind sie flexibler und es passen auch in vielerlei Beziehung besser zur Popmusik.
Jedenfalls überlebt das Klavier bis heute auch in vielen Haushalten des 21. Jahrhunderts. Die Klaviere, die heutzutage gekauft werden, sind tendenziell von höherer Qualität und einem höheren Preis, als noch vor einigen Jahrzehnten. Das legt den Gedanken nahe, dass häusliches Klavierspielen sich mehr zu einer Beschäftigung bessergestellter oder besser ausgebildeter Bevölkerungskreise der Mittelklasse entwickelte. Es ist heutzutage nicht mehr so, dass Klavierspielen den Heiratswert der Töchter verbessert, aber viele Eltern sind der Ansicht, dass Klavierunterricht ihre Kinder Konzentration und Selbstdisziplin lehrt, und ihnen womöglich eine Tür in die Welt der klassischen Musik eröffnet.
Literatur
- Arthur Loesser: Men, Women, and Pianos. 1954 (neu herausgegeben bei Dover Publications).
- James Parakilas: Piano Roles: Three hundred years of life with the piano. New : Yale University Press, Haven CT 1999.
- Gretchen Wheelock: The Classical Repertory Revisited: Instruments, players, and styles. In Parakilas 1999, S. 109–131.
Einzelnachweise
- ↑ Parakilas (1999, 96–109)
- ↑ Loesser (1954)
- ↑ Wheelock (1999, 117) bestätigt dieses, indem sie ihren Anspruch auf der "Ikonographie dieser Zeit"; also Gemälde und andere Bilder stützt. Vielleicht schicksalsergeben fügt sie an, dass diese Erkenntnis “den Eindruck bestätigt, dass historisch korrekte Wiedergaben von Solos und Trios Frauen an den Tasten zeigen sollten.”
- ↑ Parakilas (1999, 102)
- ↑ Wheelock (1999, 116) merkt an, dass mit einer einzigen Ausnahme die Widmungsempfänger von Haydns Klavierwerken sämtlich Frauen waren. Die Ausnahme ist die erste Publikation, die Sonaten von 1744, die seinem Arbeitgeber Fürst Nikolaus Esterházy gewidmet sind.
- ↑ Dieser Punkt wird von Loesser (1954) an verschiedenen Stellen herausgearbeitet.
- ↑ Reprinted 1988; Mineola, NY: Dover Publications.
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