Spemann-Organisator

Spemann-Organisator

Spemanns Organisator bezeichnet in der Embryologie das älteste und bekannteste Beispiel eines embryonalen Signalzentrums. Es wurde von Hans Spemann (1869-1941) entdeckt. Für seine Leistungen im Bereich der Embryologie erhielt er 1935 den Nobelpreis für Medizin. Während der Entwicklung von Amphibien, zum Beispiel Molchen und Fröschen, wird die Gestaltbildung des Embryos (die Ontogenese) von einer bestimmten Zellgruppe aus gesteuert. Diese Zellgruppe „organisiert“ also die Entwicklung aller übrigen Zellen und wurde von Spemann darum als Organisator bezeichnet.

Schema der unterscheidbaren Plasmabereiche in einer befruchteten Eizelle. gelb = dotterarmer Teil; grün = dotterreicher Teil; rot = grauer Halbmond.

Der Organisator ist im sogenannten „grauen Halbmond“ der befruchteten Eizelle lokalisiert. Die Zygote lässt sich schon vor der ersten Zellteilung (Furchung) in drei Abschnitte gliedern (siehe Zeichnung). Der dunkel gefärbte dotterreiche Teil und der helle dotterarme Teil sind durch den grauen Halbmond voneinander getrennt. Diese Bereiche werden während der Furchung und Blastulation auf verschiedene Zellen verteilt. Die Zellen, die aus dem grauen Halbmond hervorgehen, nehmen unmittelbaren Einfluss auf die Entwicklung des Embryos in dorso-ventraler Richtung und die Zelldifferenzierung in ihrer unmittelbaren Umgebung mithilfe der Aussendung von unterschiedlichen Signalproteinen. Hierbei spielt Chordin eine Rolle. Dieses ist ein Inhibitor von TGF-beta-ähnlichen Signalproteinen wie z.B. BMP4 (Bone morphogenetic protein). Während Chordin die Zellen auf der dorsalen Seite beeinflusst, wirkt BMP auf die Zellen auf der ventralen Seite. Dadurch entsteht ein Stoffgradient (ein Gefälle) der Signal-Aktivität zwischen ventral und dorsal, auch „formgebender Gradient“ genannt. Dieser Gradient hat formgebende Funktion, weil durch die Verringerung des Einflusses der BMP produzierenden Zellen die Gastrulation ausgelöst wird. Sie beginnt nämlich dann genau an der Stelle, an der BMP die geringste Konzentration hat, also direkt am grauen Halbmond. Dort bildet sich der Blastoporus oder Urmund.

Somit ist dieser Zellhaufen von entscheidender Bedeutung für die Ausbildung der Längsachse des Embryos durch die Gastrulation, weil die Einstülpung des Blastoporus mit einer Spezialisierung der Gewebe in seiner Nachbarschaft verbunden ist. Die Rolle, die der an der Blastoporus-Lippe lokalisierte Zellhaufen dabei spielt, hat ihm die Bezeichnung Organisator eingebracht. Der Name wurde verknüpft mit dem seines Mit-Entdeckers Spemann (Spemann’s Organizer).

Bewiesen wurde die Rolle des Organisators von Hans Spemann und Hilde Mangold durch ein mikrochirurgisches Experiment an Molchembryonen. Transplantiert man zu Beginn der Gastrulation den Organisator in einen anderen Embryo an dort anderer Stelle, beginnt der Zielembryo an zwei Stellen die Gastrulation. Auf diese Weise entsteht verdoppelnd, als Folge der zwei Organisatorregionen, ein zusätzlicher Satz Körperstrukturen, jetzt aber auf einem einzigen Embryo. Je nach Ort der Implantation führt das zu mehr oder weniger ausgereiften siamesischen Zwillingen.

Signalproteine spielen in weiteren, späteren formbildenden Mechanismen, beispielsweise der Gesichtsbildung, eine zentrale Rolle. Bei Manipulationen solcher Mechanismen entsteht zum Beispiel eine Gesichtsverdoppelung. Durch Mutation eines Gens, das für die Synthese des sogenannten sonic-hedgehog Proteins verantwortlich ist, kommen solche Missbildungen auch auf natürliche Weise vor.

Literatur

  • Viktor Hamburger: The Heritage of Experimental Embryology: Hans Spemann and the Organizer. Oxford University Press, 1988, ISBN 9780195051100 (196 Seiten, englisch).
  • Werner A. Müller, Monika Hassel: Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie von Mensch und Tieren. In: Springer-Lehrbuch. 4. Auflage. Springer Science+Business Media, 2005, ISBN 9783540240570, Kapitel 12.4: Induktion von Köpfen und Rümpfen im Wirbeltierembryo mit transplantiertem Organisationsgewebe, S. 331f (Vorschau; Stand: 25. Mai 2009).
  • Peter E. Fässler und Klaus Sander: Hilde Mangold (1898-1924) and Spemann's organizer: achievement and tragedy. Roux's Arch. Dev. Biol. 205:323-332 (1996).
  • Klaus Sander und Peter E. Fässler): Introducing the Spemann-Mangold organizer: experiments and insights that generated a key concept in developmental biology. Int. J. Dev. Biol. 45:1-11 (2001).

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