Siamesische Zwillinge

Siamesische Zwillinge
Die siamesischen Zwillinge Chang und Eng Bunker (1811–1874), auf welche die Bezeichnung Siamesische Zwillinge zurückgeht

Siamesische Zwillinge (auch Doppelfehlbildung) bezeichnen eine Fehlentwicklung, bei der eineiige Zwillinge im Verlauf ihrer intra-uterinen Entwicklung und nach der Geburt körperlich miteinander verbunden bleiben.

Bei eineiigen (monozygoten), monochorial-monoamnioten Zwillingen teilt sich die befruchtete Eizelle in zwei eigenständige Embryonalanlagen auf. Bei einer unvollständigen Durchschnürung des Embryoblasten im späten Entwicklungsstadium der Blastozyste nach dem 13. Tag nach der Befruchtung bleiben die beiden Feten miteinander verbunden.

Die statistische Wahrscheinlichkeit für eine Doppelfehlbildung liegt zwischen 1:60.000 und 1:200.000. Dies entspricht einer Frequenz bei monozygoten Zwillingsschwangerschaften von 1:300. Da jedoch durchschnittlich drei von zehn siamesischen Zwillingen pränatal versterben, kommt nur etwa ein siamesisches Zwillingspaar auf eine Million Lebendgeburten. Wenn bekannt ist, dass es sich um ein siamesisches Zwillingspaar handelt und sich die Schwangere bzw. das Elternpaar nicht zu einem Schwangerschaftsabbruch entschließt, wird die Geburt in der Regel per Kaiserschnitt durchgeführt, um die gesundheitlichen Risiken für Mutter und Kinder möglichst gering zu halten.

Inhaltsverzeichnis

Ausprägungen

Skelettpräparat eines Kalbes mit zwei Wirbelsäulen
Präparierte siamesische Welpen

Die Verbindung kann sowohl bis zu den inneren Organen reichen oder auch nur äußeres Gewebe betreffen. So kann es vorkommen, dass ein siamesisches Zwillingspaar nur ein Herz oder eine Lunge hat.

In der Medizin wird nach Art und Ausmaß der Verwachsung unterschieden. Verwachsungen können in verschiedenen Körperbereichen auftreten:

  • Brustbereich (Thorakopagus, ca. 70 % der Fälle)
  • Hüftenbereich (Ischiopagus, ca. 5 % der Fälle)
  • Kopf (Kraniopagus (Kephalopagus), weniger als 2% der Fälle)
    • Sonderform: Dizephalie: einzelner Körper mit zwei Köpfen
    • Sonderform: Janiceps (nach dem zweigesichtigen Gott Ianus): am Kopf zusammengewachsene siamesische Zwillinge, deren Gesichter in entgegengesetzte Richtungen blicken
  • Bauchbereich (Omphalopagus)
  • Steißbereich (Pygopagus)
  • fetale Inklusion oder Foetus in foeto, wobei intrauterin ein Zwilling vom anderen absorbiert wird.

Ist eine Trennung möglich und innerhalb der ersten drei Wochen nach der Entbindung erforderlich, liegt die Sterblichkeit bei durchschnittlich 50%, während zwischen der vierten und 14. Woche die Überlebenschance bei 90 % liegt. Die (vor- und nachgeburtliche) Prognose ist jedoch stets abhängig von Art und Ausmaß der Fusion der Kinder.

Die Teilung muss nicht immer symmetrisch sein. Entwickelt sich zum Beispiel das Zellmaterial eines Zwillings nur unvollständig, kann es auch zu asymmetrischen (oder auch parasitären) Doppelfehlbildungen kommen.

Das weiter entwickelte Kind, in diesem Fall auch Autosit genannt, trägt das weniger entwickelte Kind, den „Parasiten“, am oder im Körper. Im Extremfall kann das weniger entwickelte Kind nur aus einem tumorähnlichen Zellhaufen bestehen.

Trennung

Trennung siamesischer Zwillinge

Je nach Art und Umfang der Verbindung ist eine chirurgische Trennung der beiden Zwillinge möglich. Dabei müssen einige Voraussetzungen gegeben sein:

  • Die beiden Zwillinge müssen jeweils alle lebensnotwendigen Organe besitzen.
  • Die lebensnotwendigen Prozesse wie Stoffwechsel und Atmung dürfen nicht zu kompliziert verflochten sein (z. B. gemeinsame Blutbahnen oder nur einzeln vorhandene mehrere Organe wie Herz und Leber).

Bis September 2004 überlebten 30 an der Schädeldecke zusammengewachsene Kinder eine Trennung, 17 von ihnen waren jedoch nach dem Eingriff behindert.

Berühmte Fälle

Die Biddenden Maids auf einer Darstellung von 1808
Daisy und Violet Hilton

Zu den ersten Überlieferungen über siamesische Zwillinge zählt die Legende von Mary und Eliza Chulkhurst aus Biddenden, die unter dem Namen Biddenden Maids bekannt wurden, und am Anfang des 12. Jahrhunderts gelebt haben sollen.

Lazarus und Joannes Baptista Colloredo bereisten im 17. Jahrhundert zahlreiche Länder. Lazarus soll mit seinem parasitischen Zwillingsbruder viel Geld verdient haben.

Der Name Siamesische Zwillinge kommt vom Zwillingspaar Chang und Eng Bunker (1811–1874), deutsch wird als Name meistens Bunkes statt Bunker angegeben. Die beiden Brüder wurden in Siam (heute Thailand) geboren, wurden unter dem Namen Die siamesischen Zwillinge als Jahrmarktsattraktion bekannt und gaben so dieser Fehlbildung den Namen. Die Brüder heirateten die zwei Schwestern Adelaide und Sarah Yates und zeugten mit ihnen insgesamt 18 Kinder. Beide Brüder starben nur wenige Stunden nacheinander.

Ritta und Christina Parodi hingegen durften nicht öffentlich ausgestellt werden, obwohl das Interesse der Öffentlichkeit und besonders auch der Medizin groß war. Die beiden kleinen Mädchen starben schon im Kindesalter.

Giovanni Battista und Giacomo Tocci wurden 1877 geboren und schon im Alter von vier Wochen zur Schau gestellt. Nachdem sie volljährig waren, zogen sie sich hinter die hohen Mauern ihres Anwesens in Italien zurück, um nie wieder neugierigen Blicken ausgesetzt zu sein.

Die 1908 geborenen Schwestern Daisy und Violet Hilton waren an Becken und Rücken verwachsen. Ihrer Mutter kurz nach der Geburt abgekauft, wurden sie wie andere siamesische Zwillingspaare auf Jahrmärkten ausgestellt. Als Erwachsene führten sie ihre Showkarriere auf eigene Faust fort und spielten in zwei Filmen mit.

Bekanntheit erreichten auch die beiden 29-jährigen Schwestern Ladan und Laleh Bijani aus dem Iran (* 17. Januar 1974), die am Kopf zusammengewachsen waren und ab dem 7. Juli 2003 durch eine aufwändige Operation einer Ärztegruppe in Singapur getrennt wurden. Kurz nach der Trennung verstarb Ladan Bijani, wenige Stunden später auch ihre Schwester Laleh. Todesursache war laut Aussage der Ärzte Kreislaufversagen aufgrund zu hohen Blutverlustes während der Operation.

Siamesische Zwillinge bei Tieren

Fehlende Trennung zweier eineiiger Zwillinge kommt auch bei Tieren vor. Außer im Falle von Haustieren, bei denen sich der Besitzer darum kümmert, führt dies dabei meist zu einer Verstoßung der Zwillinge durch die Mutter im Falle von Säugetieren und damit zum frühzeitigen Tod.

Häufigste Form ist die Dicephalie d.h. zwei vollständig vom Hals her oder erst im Gesicht und Gehirn doppelte vorhandene Köpfe bei gemeinsamem Rumpf und gemeinsamen Extremitäten. Während in ersteren solchen Fällen beim Menschen (dicephalus dipus) meist von zwei Individuen ausgegangen wird, wird inkonsequenterweise bei Tieren in solchen Fällen von einem Tier mit zwei Köpfen gesprochen. Die Dicephalie ist dabei nicht nur auf Säugetiere beschränkt, sondern wurde auch schon unter anderem bei Amphibien und Reptilien (z.B. Schlangen) beobachtet.

Von der Dicephalie zu unterscheiden ist jedoch die ursächlich auf andere Gründe zurückzuführende Fehlbildung Diprosopus, d.h. die Zweigesichtigkeit mit einem einzigen Kopf, Rumpf und Satz von Extremitäten. Auch diese Fehlbildung kommt sowohl bei Mensch (selten dokumentiert) und Tier vor. Eine gewisse Bekanntheit hat dabei in den USA der vergangenen zehn Jahre das Schwein Ditto erlangt, das jedoch als Folge gleichzeitigen Fressens und Atmens durch die beiden vorhandenen Mundöffnungen verstarb.

Siamesische Zwillinge bei Mehrlingen (neben Zwillingen)

Grundsätzlich nicht ausgeschlossen sind auch siamesische Mehrlinge mit mehr als zwei Beteiligten. Da allerdings bereits Drillings-Geburten relativ selten sind, sind solche mit unvollständigen Mehrlingen noch seltener und entsprechend kaum in der Fachliteratur dokumentiert.

Siamesische Zwillinge in der Kunst

Literatur

Rudolf Virchow: Die siamesischen Zwillinge, Vortrag vor der Berliner Medizinischen Gesellschaft, 1870
  • Juliet Butler: Masha & Dasha. Autobiographie eines siamesischen Zwillingspaars. Scherz, Bern [u. a.] 2000, ISBN 3-502-15097-4, auch Droemer Knaur, München 2003, ISBN 3-426-77607-3 (Masha und Dasha Kriwoschljapowa (* 3. Januar 1950 in Moskau; † 2003) waren an der Taille verwachsen. Sie hatten zwei Oberkörper, teilten sich aber einen Unterkörper.)
  • Angelika Friederici: Siamesische Zwillinge in den Berliner Panoptika. In: Castan's Panopticum. Ein Medium wird besichtigt, Heft 9, Schütze, Berlin 2010, ISBN 978-3-928589-23-9.
  • Stephanie Möller und Henning Röhl: Lea und Tabea. So Gott will. Die bewegende Geschichte der siamesischen Zwillinge. Brunnen-Verlag, Gießen-Basel 2005, ISBN 3-7655-3867-1
  • Lori Lansens: An meiner Seite; Berlin: Ullstein, 2007; ISBN 978-3-548-26674-9 (Autobiografischer Roman)

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: siamesischer Zwilling – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wikisource: Die siamesischen Zwillinge – Quellen und Volltexte
 Commons: Siamesische Zwillinge – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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