Verbrechen der Aggression

Verbrechen der Aggression

Verbrechen der Aggression (engl. Crime of Aggression) ist ein Straftatbestand im Völkerstrafrecht, der gemäß Artikel 5, Absatz 1 Buchstabe d des Römischen Statuts in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) fällt. Es ist gleichzusetzen mit den drei anderen Straftatbeständen, die der Gerichtsbarkeit des IStGH unterliegen, dem Völkermord, dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit und dem Kriegsverbrechen. Das Verbrechen der Aggression wird in Artikel 8 bis des durch die Resolution RC/Res.6 am 11. Juni 2010 geänderten, „neuen“ IStGH-Statuts [1] definiert.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung und Definition

Die Grundlage der Definition von Aggression wird bereits in der UNO-Generalversammlung vom 14. Dezember 1974 gelegt. In der dort beschlossenen Resolution heißt es in Artikel 1: „Aggression ist die Anwendung von Waffengewalt durch einen Staat, die gegen die Souveränität, die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines anderen Staates gerichtet oder sonst mit der Charta der Vereinten Nationen unvereinbar ist, wie in dieser Definition ausgeführt.“. [2] Neben Artikel 1 wird auch Artikel 3 dieser UNO-Resolution wörtlich in das Rom-Statut übernommen. Er nennt Handlungen, die in jedem Fall als Angriffshandlungen zu werten sind.

Von 2003 bis 2009 und insbesondere im Februar 2009 hatte die Special Working Group on the Crime of Aggression (Sonderarbeitsgruppe zum Verbrechen der Aggression) die Vorarbeiten zu einer Definition des Aggressionsbegriffs geleistet. [3] Auf der ersten Revisionskonferenz des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs in Kampala, das gemäß Artikel 123 sieben Jahre nach Inkrafttreten desselben stattfinden muss, wurde diese Definition vorgelegt und konsensual akzeptiert. Es bot sich den Vertragsstaaten also die Gelegenheit, die seit Jahrzehnten diskutierte Frage nach dem Verbrechen der Aggression zu klären. Im Verhandlungsverlauf waren jedoch noch zwei kritische Punkte offen. Da das Verbrechen der Menschlichkeit im Römischen Statut einer gesonderte Regelung unterworfen war,[4] war unklar, ob die verdächtigten Staaten ihre Zustimmung für die Ausübung der Gerichtsbarkeit geben müssten. Unklar war darüber hinaus die Rolle des UN-Sicherheitsrates: Während eine Gruppe dafür plädierte, auch ohne ausdrückliche Zustimmung des Sicherheitsrates Gerichtsbarkeit zuzulassen, wenn er sechs Monate untätig bliebe, sprach sich eine andere dafür aus, dass vor jedem Verfahren der Sicherheitsrat an der Feststellung der Aggression des verdächtigten Staates mitgewirkt haben müsse.

In beiden Fragen konnte ein Kompromiss gefunden werden. Die Frage nach der Zustimmung wurde durch einen Vorschlag gelöst, der vorsieht, dass Nicht-Vertragsstaaten gar nicht der Gerichtsbarkeit unterworfen werden und Vertragsstaaten sich dieser per „Opt-Out“ entziehen können. Die Zustimmung des Sicherheitsrates wurde durch eine Stärkung dessen Kompetenz in der Suspendierung von laufenden Verfahren und eines Kompromisses in der Festlegung des Zeitpunktes der Aktivierung der Gerichtsbarkeit vorgenommen.

Anwendung

Gemäß Art. 5 Abs. 2 des Römischen Statuts kann der IStGH die Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression erst ausüben, wenn eine „Bestimmung angenommen worden ist, die das Verbrechen definiert und die Bedingungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit im Hinblick auf dieses Verbrechen festlegt.“ [5] Eine Definition konnte auf der ersten Revisionskonferenz Kampala gefunden werden. Auch die Bedingungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit fanden einen Konsens. Es müssen jedoch frühestens 2017 alle Vertragsstaaten des Rom-Statuts durch eine absolute Zweidrittelmehrheit (notwendig für Statusänderungen) dieser Ausübung der Gerichtsbarkeit zustimmen.[6] Dieser Zeitpunkt der Aktivierung ist Teil eines Kompromisses um die Kompetenzen des UN-Sicherheitsrates und trägt den Personen Rechnung, die auf der ersten Revisionskonferenz eine Ausübung der Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression noch für verfrüht hielten. Auf Grund dieser Aktivierungsklausel wird die Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression noch nicht ausgeübt.

Einzelnachweise

  1. Vgl.ICC-Resolution RC-Res.6 vom 11. Juni 2010
  2. Artikel 1 der Resolution A/RES/3314 (XXIX), online unter http://www.un.org/depts/german/gv-early/ar3314_neu.pdf
  3. Vgl. Report of the Special Working Group on the Chrime of Aggression
  4. Vgl. Artikel 5, Absatz 2 des Römischen Statuts im Gegensatz zu Artikel 12, Absatz 1 und den in Artikel 5, Absatz 2 fehlenden Verweis auf einen der beiden Absätze 4 oder 5 in Artikel 121
  5. Artikel 5, Abs. 2 Römisches Statut.
  6. Vgl. Artikel 15 bis, Absatz 2 bzw. Artikel 15 ter, Absatz 2 des durch die Resolution RC/Res.6 geänderten IStGH-Statuts.

Weblinks

  • F. Arndt: Die erste Überprüfungskonferenz des Internationalen Strafgerichtshofs: Auf dem Weg zu einer Definition des Verbrechens der Aggression. Aktueller Begriff der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Nr. 38/10, 31. Mai 2010 (PDF-Datei, 72,76 KB).
  • Stefan Barriga: Der Kompromiss von Kampala zum Verbrechen der Aggression. Ein Blick aus der Verhandlungsperspektive. in Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik, Heidelberg, Nr. 11/2010, S. 644–648 (PDF-Datei, 80 KB).
  • Christian Schaller: „Der Internationale Strafgerichtshof und das Verbrechen der Aggression. Durchbruch auf der Überprüfungskonferenz in Kampala?“, in SWP aktuell, Nr. 45, Berlin im Mai 2010, ISSN 1611-6364 (PDF-Datei, 83,1 KB).
  • Anja Seibert-Fohr: „Das Verbrechen der Aggression im Rom-Statut: Fragen der Vertragsänderung und Jurisdiktion.“ in Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik, Heidelberg, Nr. 8/2008, S. 361–366 (PDF-Datei, 79 KB).

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