Der blinde Mörder

Der blinde Mörder

Der blinde Mörder (englisch: The Blind Assassin, 2000) ist ein Roman der Schriftstellerin Margaret Atwood, der im Jahr 2000 mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde.

Inhalt

Erzählt wird das Heranwachsen der beiden Industriellentöchter Iris und Laura Chase in der kanadischen Provinz Ontario vor dem Zweiten Weltkrieg. Die von der Außenwelt abgeschirmt aufwachsenden Töchter aus wohlhabender Familie geraten in einen Strudel unheilvoller Ereignisse. Die junge, weltfremde Laura verliebt sich in den kommunistischen Agitator Alex Thomas, der für Brandstiftung an der väterlichen Fabrik verantwortlich gemacht wird. Aber auch für die ältere Schwester Iris ist es eine scheinbare Selbstverständlichkeit, ihm im eigenen Haus Unterschlupf zu gewähren.

Der Vater begeht den folgenschweren Fehler, seine Tochter Iris in die Ehe mit seinem größten wirtschaftlichen Konkurrenten zu geben, einem heuchlerischen, skrupellosen, machthungrigen Mann. Für die Töchter geht es trotz äußerlich bewahrtem Reichtum nur noch bergab: Der Tod des Vaters, der Ruin der väterlichen Fabrik, eine alptraumhafte Ehe für Iris, Laura landet in einer Klinik. Während all der Jahre läuft eine heimliche, sexuelle Affäre zu dem in den Untergrund gegangenen Alex Thomas. Die Schwestern entfremden sich voneinander, die Ereignisse nehmen ihren Lauf, Laura begeht Selbstmord.

Aber warum lehnt die Tochter von Iris auch in den späteren Jahren den Kontakt zu ihrer Mutter ab? Warum besteht kein Kontakt zu ihrer Enkeltochter? Als alte Frau deckt die Erzählerin im Rückblick die Geschehnisse auf, die zu der zerrütteten Familiengeschichte geführt haben. Ihr Wunsch ist es, der einzig verbliebenen Enkeltochter Klarheit zu verschaffen, ohne die die Schatten der Vergangenheit nie vergehen werden. Das ist ihre Motivation dafür, den Roman ihres Lebens niederzuschreiben. Zum Ende ihres Lebens ist es ihr zu einem dringenden Bedürfnis geworden, dem Schmerz über das unheilvolle Schicksal Ausdruck zu verleihen. Sie sehnt sich nach dem persönlichen Kontakt zu ihrer Enkelin, von der sie eine Überwindung der düsteren Familiengeschichte erhofft, vielleicht eine posthume Absolution, denn auch die Ich-Erzählerin trägt eine Verantwortung am Verlauf der eigenen Lebensgeschichte – eine schmerzhafte Einsicht der alten Frau, die auch den Leser nicht ganz unberührt lässt.

Struktur

Besonders die verschiedenen Erzählstränge zeichnen den Roman aus: Die Rahmenerzählung umfasst die Jahre 1998–1999. In der Ich-Perspektive nimmt die hochbetagte Erzählerin eine Rückblende auf ihr Leben vor. Bestimmend für ihr Leben sind die Jahre bis zum Tod ihrer Schwester Laura 1945; demgemäß stellt dieser Zeitraum die Binnenerzählung und zugleich die Haupthandlung dar. Die Jahre 1947–1997 bleiben im Wesentlichen unerwähnt. Was in ihnen geschah, erschließt sich dem Leser nur durch kurze Sequenzen, die das Buch durchziehen (S. 573–582, 632–637, 678–681).

Die Autorin greift auf ein geschicktes Mittel zurück, zu einem frühen Zeitpunkt auf den Fortgang der Handlung zu verweisen, indem sie eine Reihe fiktiver Zeitungsartikel einflicht. Durch sie werden einige Fakten und Eindrücke vermittelt, die für das Verständnis des Geschehens unverzichtbar sind. Gleichzeitig wird mit diesem Stilmittel fiktiver Zeitungsartikel eine neue Erzählperspektive geschaffen, die eine geraffte Erzählung mehrerer Jahrzehnte möglich macht und eine detaillierte Schilderung der Ereignisse im späteren Verlauf des Buches überflüssig macht.

Hinzu kommt der Wechsel von zwei Erzählperspektiven, der das gesamte Buch bestimmt: In immer gleich überschriebenen Kapiteln, die den Titel des Buches tragen („Der blinde Mörder“), wird von einem auktorialen Erzähler die heimliche Liebesaffäre einer jungen Frau zu Alex Thomas geschildert, der sich wegen seiner Verstrickung in kommunistische Kreise versteckt halten muss. Dieses Verhältnis besteht zwischen 1935 und 1939 und endet, als Alex Thomas im Zweiten Weltkrieg stirbt. Der abgeschottete Charakter der heimlichen Treffen und die veränderte Erzählperspektive (auktorialer Erzähler anstelle der Ich-Erzählerin) verstärken den Charakter einer eigenständigen Nebenhandlung, obwohl sie von der Haupthandlung untrennbar ist.

Eine weitere Erzählebene kommt durch die Science-Fiction-Geschichte zustande, die der Liebhaber bei den ansonsten sexuell geprägten Treffen erfindet. Diese Fantasy-Erzählung dient als Parabel über Macht, Gewalt, Sex, Brutalität und Skrupellosigkeit. Die Parallelen dieser “Erzählung in der Erzählung” zur Haupthandlung des Romans sind offensichtlich. Der Roman enthält somit eine zweite klassische Binnenerzählung und es darf von einer verschachtelten Struktur gesprochen werden.


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Der blinde Geronimo und sein Bruder — ist eine Erzählung von Arthur Schnitzler, die ab dem 22. Dezember 1900 in Fortsetzungen in der Zeitung Die Zeit in Wien erschien.[1] Schnitzler, der diese psychologische Novelle zwischen dem 19. und 27. Oktober 1900 schrieb, thematisiert darin… …   Deutsch Wikipedia

  • Der Mörder — ist eine Erzählung von Arthur Schnitzler, die, 1910 entstanden, am 4. Juni 1911 in der Neuen Freien Presse in Wien erschien. Der Autor nahm das kleine Werk in seine 1912 erschienene Novellensammlung „Masken und Wunder“ auf.[1] Inhaltsverzeichnis… …   Deutsch Wikipedia

  • Der Richter und sein Henker — ist ein Roman des Schweizer Schriftstellers Friedrich Dürrenmatt, der vom 15. Dezember 1950 bis zum 31. März 1951 in acht Folgen in der Wochenzeitschrift Der Schweizerische Beobachter erschien. Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 2… …   Deutsch Wikipedia

  • Der dunkle Spiegel — ist ein historischer Roman von Andrea Schacht. Das 2003 im Blanvalet Verlag erschienene Buch ist der erste Band einer fünfteiligen Mittelalter Saga über die Begine Almut Bossart. Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 1.1 Die Beginengemeinschaft 1.2 …   Deutsch Wikipedia

  • Der Tod des Junggesellen — ist eine Novelle von Arthur Schnitzler, die, 1907 entstanden, 1908 in der Österreichischen Rundschau in Wien erschien. Der Autor nahm das kleine Werk in seine Novellensammlung Masken und Wunder (S. Fischer, Berlin 1912) auf.[1] Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

  • Der tote Gabriel — ist eine Novelle von Arthur Schnitzler, die am 19. Mai 1907 in der Tageszeitung Neue Freie Presse in Wien erschien. Der Autor nahm das kleine Werk in seine Novellensammlung „Masken und Wunder“ (S. Fischer, Berlin 1912) auf.[1] Inhaltsverzeichnis… …   Deutsch Wikipedia

  • Der Ehrentag — ist eine Novelle von Arthur Schnitzler, die 1897 in der Literaturzeitschrift Die Romanwelt in Wien erschien.[1] Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 2 Rezeption 3 Verfilmung 4 …   Deutsch Wikipedia

  • Der Gang zum Weiher — ist eine dramatische Dichtung in fünf Aufzügen von Arthur Schnitzler, die am 14. Februar 1931[1] im Burgtheater in Wien uraufgeführt wurde. Der Autor hatte die Darsteller persönlich ausgewählt unter anderem Albert Heine, Ferdinand Onno und Else… …   Deutsch Wikipedia

  • Der Weg ins Freie — ist der Romanerstling von Arthur Schnitzler. Der Autor begann 1902[1] mit der Arbeit am Manuskript. Im Juni 1908 erschien das Buch[2] bei S. Fischer in Berlin[3]. Inhaltsverzeichnis 1 Zeit und Ort 2 Titel …   Deutsch Wikipedia

  • Der junge Medardus — ist eine dramatische Historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen von Arthur Schnitzler, die am 24. November 1910[1] im Burgtheater in Wien unter der Regie von Hugo Thimig[2] erfolgreich[3] uraufgeführt wurde. Das Stück wurde in dem Hause bis… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”