Deutsche Sondergotik

Deutsche Sondergotik
Heilig-Kreuz-Münster in Schwäbisch Gmünd. Gotische Hallenkirche (ab 1330)
Chor des Gmünder Münsters
Netzgewölbe des Chors (ab 1491)

Die Deutsche Sondergotik ist ein Begriff der Baustilkunde. Dank seiner starken ideologischen Färbung ist er jedoch mittlerweile umstritten. [1] Er wurde im Jahr 1913 durch das gleichnamige Buch von Kurt Gerstenberg eingeführt und bezeichnet eine Sonderform der Gotischen Architektur, die sich im 14. und 15. Jahrhundert in Deutschland entwickelte. Mit dem Begriff sollte die nationale Eigenständigkeit der deutschen Entwicklung gegenüber der französischen Kathedralgotik herausgestellt werden. Einer der ersten Vertreter ist das Heilig-Kreuz-Münster zu Schwäbisch Gmünd, an dem die Baumeisterfamilie Parler viele Elemente der Deutschen Sondergotik erstmals konstruierte.

Die Deutsche Sondergotik zeichnet sich durch Elemente aus, die in Frankreich, dem Ursprungsland der Gotik durchaus unüblich sind. Von den französischen Vorbildern und ihrem System unterscheidet sie sich sowohl durch Reduktionen als auch durch Bereicherungen.

In der Baukunst der Bettelorden, aber auch außerhalb dieser verzichtet man in verschiedenen Ländern Europas bei der Einführung und Weiterentwicklung der in Frankreich entstandenen Gotik vielerorts auf Elemente des vollständigen Kathedralbaus. Diese von deutschen Kunsthistorikern (Georg Dehio) als „Reduktionsgotik“ bezeichnete Stiltendenz verbreitet sich um 1300 und schafft gewisse Voraussetzungen für die "Deutsche Sondergotik". Zu den Reduktionen gehören der Wegfall von Chorumgang, Kapellenkranz und Triforium, des Weiteren wird (nach dem Bau des Straßburger Münsters und des Kölner Doms) auch auf die Wimperge verzichtet. Kapitelle fehlen ganz. Die Verwendung einfacher runder oder achteckiger Stützen statt komplizierter Bündelpfeiler beruhigt die Erscheinung. Die Anpassung der Höhe der Seitenschiffe an das Hauptschiff, das heißt, die Entwicklung zur Hallenkirche mit ihrem weiten, ausgewogenen Innenraum schafft einen neuen Raumtypus, der als eine Alternative zum basilikalen Kathedralbau erscheint. Als Höhepunkte gelten die Hallenkirchen wie in Annaberg und Schneeberg in Sachsen und Dinkelsbühl und Nördlingen in Bayern. Den in Frankreich üblichen Doppeltürme der Bischofskirchen stehen die Eintürme der Stadtpfarrkirchen gegenüber. Der immer höher gesteigerte Turmbau gilt als Besonderheit der deutschen Entwicklung. Bereicherungen treten vor allem in der Spätgotik auf. Sie betreffen insbesondere die immer komplizierteren Formen der Gewölbe, Dienste und Rippen. Typisch sind Stern-, Netz- und Schlinggewölbe sowie spiralenförmige Pfeiler.

Die in die Deutsche Sondergotik eingeordneten Bauten lassen sich in drei Gruppen unterteilen:

Während sich in Norddeutschland die Kirchenschiffe unter einzelnen Dächern befinden, wird in Bayern und Baden-Württemberg die gesamte Kirche von einem einzigen Dach bedeckt.

Obwohl Gerstenbergs These von einem sondergotischen Hallenraum als epochale Sonderleistung einer germanischen "Rasse" längst als einseitig und sozialgeschichtlichich verfehlt erkannt ist[2], ging der Begriff in das Vokabular der Spätgotik-Forschung ein, ohne kritisch genauer hinterfragt zu werden.

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Lexikon der Kunst, Seemann Verlag, Leipzig 2004. Vgl. hier den Artikel in Band 6 auf den Seiten 744–745.
  2. Lexikon der Kunst, Leipzig 2004, Seite 745. Ausführliche Kritik bei: Norbert Nussbaum, Deutsche Kirchenbaukunst der Gotik, Köln 1985, S. 86-95 / 124-133 / 214-218.

Literatur

  • Wilfried Koch: Baustilkunde. Europäische Baukunst von der Antike bis zur Gegenwart. Orbis Verlag, München 1988, S. 151–152, ISBN 3-572-05927-5.
  • Kurt Gerstenberg: Deutsche Sondergotik. Delphin, München 1913 (2. durchgesehene Auflage: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1969).

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Sondergotik — (German for special Gothic ) is the style of Late Gothic architecture prevalent in Austria, Bavaria, and Bohemia between 1350 and 1550. The term was invented by art historian Kurt Gerstenberg in his 1913 work Deutsche Sondergotik , in which he… …   Wikipedia

  • Sondergotik — Sondergotik,   von K. Gerstenberg 1913 eingeführte, umstrittene Bezeichnung für die deutsche spätgotische Architektur nach 1350 …   Universal-Lexikon

  • Gotik — Hochgotische Kathedrale Notre Dame de Reims, ein herausragendes Beispiel französischer Gotik …   Deutsch Wikipedia

  • Architektur der Gotik — Die Kathedrale Notre Dame de Reims, ein herausragendes Beispiel französischer Gotik Lichtdurchfluteter Raum: Chor des …   Deutsch Wikipedia

  • Gotische — Die Kathedrale Notre Dame de Reims, ein herausragendes Beispiel französischer Gotik Lichtdurchfluteter Raum: Chor des …   Deutsch Wikipedia

  • Hochgotik — Die Kathedrale Notre Dame de Reims, ein herausragendes Beispiel französischer Gotik Lichtdurchfluteter Raum: Chor des …   Deutsch Wikipedia

  • Spätgotik — Die Kathedrale Notre Dame de Reims, ein herausragendes Beispiel französischer Gotik Lichtdurchfluteter Raum: Chor des …   Deutsch Wikipedia

  • Spätgotisch — Die Kathedrale Notre Dame de Reims, ein herausragendes Beispiel französischer Gotik Lichtdurchfluteter Raum: Chor des …   Deutsch Wikipedia

  • Architekturepoche — Sana a Die Geschichte der Architektur umfasst die technische, funktionale und ästhetische Entwicklung der Architektur und der Bauwerke über alle historischen Epochen vom Beginn menschlicher Bautätigkeit bis heute. Lange Zeit prägten sich dabei in …   Deutsch Wikipedia

  • Heilig-Kreuz-Münster — Langhaus von Südwest (ab 1330) Das Heilig Kreuz Münster (offiziell: Münster zum Heiligen Kreuz) in Schwäbisch Gmünd ist ein ab 1330 als Gemeindekirche errichteter gotischer Kirchenbau anstelle eines etwa 200 Jahre älteren Vorgängerbaus. Das… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”