Die neuen Leiden des jungen W.

Die neuen Leiden des jungen W.

Die neuen Leiden des jungen W. ist ein Montageroman und Bühnenstück von Ulrich Plenzdorf und zieht Parallelen zwischen Goethes Werther (aus Die Leiden des jungen Werther), Salingers Holden (aus Der Fänger im Roggen) und Edgar Wibeau als 17-jährigen Ostdeutschen in der damaligen DDR.

Plenzdorf schrieb 1968 eine Urfassung als Filmszenarium, die er bei der DEFA einreichte, welche aber abgelehnt wurde. Darauf schrieb Plenzdorf Die neuen Leiden des jungen W. als Prosa und bot es mehreren Verlagen an. 1972 wurde in der DDR-Literaturzeitschrift Sinn und Form der Prosatext veröffentlicht. 1973 bot der Hinstorff Verlag Plenzdorf eine Buchveröffentlichung mit einer größeren Seitenzahl als die Sinn und Form-Veröffentlichung an. So konnte Plenzdorf seinen Prosatext überarbeiten.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Plenzdorf schrieb sein gesellschaftskritisches Bühnenstück Die neuen Leiden des jungen W. im Jargon der DDR-Jugend der 1970er Jahre. Es erzählt die Geschichte eines Jugendlichen, der aus seiner kleinbürgerlichen Umwelt ausbrechen will und beim Lesen von Goethes Werk Die Leiden des jungen Werthers immer wieder Ähnlichkeiten mit seinem eigenen Leben entdeckt. Die Uraufführung des Stücks am 18. Mai 1972 in Halle (Saale) mit Reinhard Straube in der Titelrolle war ein Erfolg. In den folgenden Jahren wurde das Stück an mehreren Bühnen in der DDR aufgeführt und ein großer Teil der DDR-Jugend und auch die FDJ nahm Anteil an dem Stück.

Zwischen 1972 und 2010 wurden Die neuen Leiden des jungen W. an verschiedenen Bühnen im deutschen und auch außerdeutschen Sprachraum aufgeführt.

1976 Die neuen Leiden des jungen W. Erstsendung im ARD.

Die neuen Leiden des jungen W. wurde als Buch (oder in einem Buch), in folgenden Sprachen veröffentlicht: 1972 (deutsch), 1973 (tschechisch-Theatermanuskript), 1973 (italienisch, schwedisch), 1974 (finnisch, niederländisch, norwegisch, polnisch), 1975 (französisch), 1976 (estnisch, japanisch, norwegisch, ungarisch), 1977 (rumänisch, slowakisch), 1978 (serbokroatisch), 1979 (dänisch, englisch- Translated by K.Wilcox.New York), 1980 (litauisch), 1982 (georgisch, slowenisch), 1984 (spanisch), 1986 (tschechisch), 1991 (türkisch, Nuran Özyer, Ankara)

Inhalt

Edgar Wibeau wurde von seinem Vater verlassen, als er fünf Jahre alt war. Nach dem Tod Edgars mit 17 Jahren befragt sein Vater Personen, die seinem Sohn nahe standen, um ihn im Nachhinein kennenzulernen.

Edgar wächst in DDR-Zeiten bei seiner Mutter als Musterschüler und Vorzeigeknabe auf. Nach einem Streit mit seinem Lehrmeister Flemming tut er, was er schon lange tun wollte – er verschwindet mit seinem Freund Willi aus seinem Heimatort, der fiktiven Kleinstadt Mittenberg, und geht nach Berlin. Willi zieht es jedoch bald wieder nach Mittenberg zurück. Edgar bleibt allein in Berlin, wo er in einer verlassenen Laube neben einem Kindergarten unterkommt. In diesem Kindergarten arbeitet die 20-jährige Charlie, in die er sich bald verliebt. Dieter, ihr Verlobter und späterer Ehemann, und Charlie selbst geben Edgar viel zu denken. Der einzige, mit dem Edgar Kontakt hält, ist sein Jugendfreund Willi. Diesem schickt er regelmäßig Tonbänder mit Zitaten aus Goethes Werther, die seine eigene Lage gut beschreiben. „Old Werther“ heißt auch später Edgars „Wertherpistole“, die er gerne einsetzt, wenn Situationen unangenehm werden oder er sich seiner Sache nicht mehr ganz sicher ist. Nachdem der junge Rebell in einer Kunsthochschule nicht aufgenommen worden war, sich selbst als verkanntes Genie aber nie ganz abschreibt, nimmt er eine Arbeit als Anstreicher auf. Um Addi und Zaremba, seinen Arbeitskollegen, etwas zu beweisen, versucht er, ein „nebelloses Farbspritzgerät“ zu entwickeln, von dem Addi auf der Arbeit immer wieder spricht. Beim ersten Versuch, die selbstgebaute Maschine in Betrieb zu nehmen, wird Edgar durch einen Stromschlag getötet.

Erzählstruktur

Zu Beginn der Handlung ist die Hauptfigur, der siebzehnjährige Lehrling Edgar Wibeau, bereits tot. Die Handlung setzt kurz nach dem Erscheinen der Todesanzeigen damit ein, dass Edgars Vater die Wohnung der Mutter, die Edgar allein großgezogen hat, aufsucht. Im weiteren Verlauf versucht der Vater Details über Edgars Leben herauszufinden, um seinen Sohn im Nachhinein „kennenzulernen“. Zu diesem Zweck spricht er auch mit Willi, Charlie und Edgars Meister Addi. Die in den Gesprächen angerissenen Themen und Fragen schildert, berichtigt und kommentiert Edgar aus dem Jenseits in längeren Monologen. Seine innere Verfassung drückt Edgar mit Hilfe von Zitaten aus Goethes „Werther“ aus, die er, auf Tonband gesprochen, an Willi geschickt hatte.

Personen

  • Edgar Wibeau
Edgar Wibeau ist 17 Jahre alt und geboren in Mittenberg, wo er eine Ausbildung an einer Berufsschule beginnt und später abbricht, um nach Berlin zu gehen. Nachdem er zuerst arbeitslos in Berlin ist, arbeitet er später in einer Malerbrigade.
Aus Gesprächen seiner Mutter und seines Vaters ist zu erkennen, dass Edgars Vater die Familie früh verließ und nach Berlin ging, wo er, wie wir später erfahren, nicht als Maler, wie Edgar behauptet, sondern als Statiker arbeitet. Edgars Mutter arbeitet an der Berufsschule in Mittenberg als Leiterin eben jener Schule.
Nachdem Edgar mit seinem besten Freund Willi aus Mittenberg nach Berlin gezogen ist, lebt er mit Willi in einer Laube, die Willis Eltern gehört, und die neben einem alten Kindergarten steht, in dem Charlie arbeitet, die zu Edgar ein ähnliches Verhältnis hat wie Charlotte zu Werther in den Goethes „Leiden des jungen Werther“.
Edgar zu charakterisieren ist insofern schwer, als Edgar von den Personen seines Umfelds als komplett verschiedene Person beschrieben wird. Während Willi ihn als guten Maler, kreativ, „Chef in allen Fächern“ und konsequentes Genie bezeichnet, denken andere wie Addi und Charlie eher negativ über ihn, und bezeichnen ihn als „vernagelten Idioten“, „Nichtskönner“ und Angeber.
Aus all diesen verschiedenen Aspekten kann man sehen, dass Edgar eine eher exzentrische Person ist, die der Person, die ihm gegenüber steht, genau zeigt, was er von ihr denkt. Er ist aber eher schüchtern gegenüber Charlie, was es schwer macht, einzuschätzen, wie seine Beziehung zu ihr ist, ob er sie nun wirklich liebt oder ob sie für ihn einfach nur ein Mädchen oder „Flirt“ ist. Ihm ist es im Laufe des Buches egal, was die anderen Charaktere von ihm denken, er ist antiautoritär, und wir können annehmen, dass er nichts vom kommunistischen System hält. Andererseits finden wir keine entsprechend klare Äußerung, nur sein Verhalten lässt darauf schließen, da er nichts tut und auch in der Malerbrigade kaum arbeitet.
Nachdem er in seinem fünften Lebensjahr von seinem Vater verlassen worden war, wird er unter der Obhut seiner Mutter zu einem absoluten Musterschüler, der sich nie an Streichen beteiligt, sogar wenn die Ideen von ihm stammen. Irgendwann reicht es ihm, und er reißt zusammen mit seinem Freund Willi nach Berlin aus. Edgar wird ein typischer Rebell, der sich nichts gefallen und sich von fremden Vorschlägen nicht beeinflussen lässt. Mit seiner Liebe zu Charlie kommt er ganz gut zurecht, wenn man bedenkt, dass er keine Chancen bei ihr hat und dies auch weiß. Edgar würde sich selbst wahrscheinlich als „Steher“ bezeichnen, der sich weder von anderen beeinflussen lässt noch mit dem Mainstream mitschwimmt, sondern sich seine eigene Meinung bilden kann. Trotz seines wahrscheinlich guten und intellektuellen Charakters ist unverkennbar, dass er eben doch noch ein wenig Kind ist und es ihm an Erfahrung fehlt.
  • Charlie Schmidt
Charlie weiß nie, was sie von Edgar denken soll. Sein Wesen erschließt sich ihr von Anfang bis Ende nie vollständig. Offensichtlich mag sie Edgar als Person, seinen Lebensstil jedoch nicht. Sie ist eine „starke“ Frau, die sich nicht so schnell unterkriegen lässt, erst recht nicht von Dieter, ihrem Verlobten. Manchmal bekommt man den Eindruck, sie wolle Dieter mit Edgar betrügen, was dann aber, bis auf einen Kuss, nie passiert. Charlie ist hübsch, intelligent und freundlich, andererseits ignorant, arrogant und streitlustig und damit eine Protagonistin, die nur mit widersprüchlichen Kategorien zu beschreiben ist.
  • Dieter
Dieter ist ein „Spießer“. Er ist arrogant und egozentrisch, wenn auch möglicherweise ein guter Kerl. Er lebt streng nach Regeln und Richtlinien und braucht diese auch, um sein Leben zu strukturieren. Sein „Charme“ ist beeindruckend und wird funktionalisiert, um Charlie bei ihm, dem Möchtegern-Gentleman, zu halten. Wenn Charlie nicht wäre, hätten Dieter und Edgar wahrscheinlich ganz gut miteinander auskommen können.
  • Vater, Herr Wibeau
Edgars Vater ist 36 Jahre alt und wohnt mit seiner jungen Freundin in einem Penthouse in Berlin. Er verließ seine Frau und sein Kind und interessiert sich erst nach dem Tod seines Sohnes um dessen Leben.
  • Else Wibeau, Leiterin, klassenbewusst und Edgars Mutter
Mutter Wibeau hat sich nie allzu sehr um ihren Sohn gekümmert, verlangte ihm immer viel ab und war vermutlich sehr gekränkt, nachdem Edgar Mittenberg verlassen hatte. Dennoch liebt sie Edgar und unterstützt ihn, so gut es geht. Nachdem er ausgerissen war, scheint es, als kümmere sie sich nicht mehr besonders um ihn. Dennoch erzwingt sie von Willi den Aufenthaltsort von Edgar in Berlin.
  • Addi Berliner
Brigadeleiter einer Malerbrigade ist recht jähzornig und ein guter Mensch. Edgar beschreibt ihn als Steher, wahrscheinlich Edgars größte Auszeichnung. Auch wenn Addi öfter mit ihm streitet, verstehen sie sich ganz gut. Nach Edgars Rauswurf bekommt Addi ein schlechtes Gewissen, das er auch nach dessen Tod behält.
  • Zaremba
Edgar hält viel von Zaremba, vor allem weil dieser – trotz seines Alters – noch so fit und aktiv ist. Er rückt Zaremba in die Nähe seiner Idole aufgrund der Tatsache, dass der Über-Siebzigjährige noch immer arbeitet, obwohl er längst in Rente gehen könnte. Der Anstreicher ist sehr diplomatisch und schlichtet des Öfteren Streit zwischen Addi und dem jungen Wibeau. Als überzeugter Sozialist repräsentiert Zaremba den Typus des idealen Kollektivmitglieds, das sich für den gesellschaftlichen Arbeitserfolg auch über autoritäre Umgangsweisen mit den anderen Kollektivmitgliedern, einschließlich des Außenseiters Wibeau, hinwegsetzt.War im spanischen Bürgerkrieg, hadert mit der Gewerkschaft und der Partei.
  • Willi
Willi ist Edgars alter Jugendfreund und die einzige Person, mit der er Kontakt hält. Der „Verrat“ an Edgars Mutter ist leicht verständlich und nachvollziehbar. Man erfährt nicht sehr viel von Willi, außer, dass Edgar sich Willi mit Zitaten aus Goethes Werther per Tonband anvertraut.

Einzelnachweise


Literatur

  • Die neuen Leiden des jungen W. – Stück in 2 Teilen. Unverkäufliches [Bühnen-]Manuskript. Berlin: Henschelverlag, Abt. Bühnenvertrieb, 1972, 78 Seiten
  • Die neuen Leiden des jungen W. 2. Auflage, Rostock: Hinstorff, 1973, 108 Seiten

Sekundärliteratur

  • Rüdiger Bernhardt: Erläuterungen zu Ulrich Plenzdorf: Die neuen Leiden des jungen W. C. Bange Verlag, Hollfeld 2004, ISBN 3-8044-1795-7 (Königs Erläuterungen und Materialien 304).

Weblinks


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