Ein Flugzeug über dem Haus

Ein Flugzeug über dem Haus

Der Erzählband Ein Flugzeug über dem Haus erschien 1955 als erste Buchpublikation Martin Walsers. Nachdem 1955 eine darin enthaltene Erzählung (Templones Ende) von der Gruppe 47 ausgezeichnet worden war, vermittelte Walsers Kommilitone Siegfried Unseld diese Anthologie an Peter Suhrkamp.

Walser sollte drei der 12 Erzählungen entfernen, sowie den eigentlichen Titel „Meine soziale Lage“ umändern. Der Suhrkamp Verlag argumentierte, ungeachtet der Auszeichnung der Gruppe 47, zum einen Walsers bis dahin literarisches Schaffen an ein größeres Lesepublikum bringen zu wollen. Zum anderen sollte in einigen der Erzählungen die Nähe zu Franz Kafka nicht verdeckt werden. Außerdem argumentierte der Verlag mit der Veröffentlichung des Bandes so, um Walser Mut zu seiner Eigenart zu geben. Der überarbeitete Band fand eine recht freundliche Aufnahme, dennoch wird das Kafkaeske in Walsers Erzählungen bestätigt. Es fielen Schlagwörter wie Nachahmer Kafkas oder Epigone Kafkas.

In Walsers Erzählband werden Versuche dargestellt Schicksale der Menschen in jener Zeit (Nachkriegszeit) in Gleichnissen sichtbar zu machen. Dennoch erfährt man über die Charaktere wenig oder nichts. Der Autor legt das Augenmerk auf Handlungen, wenig auf Denken, Fühlen, dass erscheint ihm gleichgültig und nebensächlich. Die Figuren sehen sich einer Welt ausgeliefert, die sie als fremd oder feindlich empfinden und fühlen sich von einer allmächtigen Instanz bedroht, der sie schließlich zum Opfer fallen.

Obwohl im Klappentext auf Kafkas Schule hingewiesen wird, wird der Erzählband recht freundlich aufgenommen. Kritiker schätzen dennoch den Band als Stilübungen des jungen Walser ein. Eine Entwicklung und Abwendung vom kafkaesken Stil findet mit „Die Klagen über meine Methoden“ statt. Dort versuchen beide Helden zu existieren, ohne ihre Eigenart einzubüßen, wobei sie aber an der Weltordnung scheitern und eben nicht an der eigenen Unzulänglichkeit.

Templones Ende

In „Ein Flugzeug über dem Haus und andere Geschichten“ erschien auch die von der Gruppe 47 prämierte Kurzgeschichte „Templones Ende“. Der Einfluss Kafkas ist in dieser Erzählung bedeutsam, denn Walsers frühe Erzählform ist durch Kafka geprägt. Es herrschen zentrale Konflikte entwicklungsunfähiger Figuren vor, wobei die Erzählform als nicht verstehbar und als fremd vom Leser empfunden wird. Aus Kafkas Schule stammt die Konstellation, dass der Held mit einer anonymen Instanz konfrontiert wird, der man nicht entrinnen kann und Kafkas Figuren erleiden einen radikalen Mangel an Entwicklungsmöglichkeit. Diese Figuren sind determiniert bis in die feinsten Bewegungen und können sich nur dann verändern, wenn sich ihre Funktion ändert.

Auch typisch für Martin Walser ist daher, dass ein konfliktreiches Verhältnis der Figuren zur umgebenden Erzählwelt besteht. Es herrscht eine Grundstruktur der Niederlage sowie des Unbekannten und der Angst. Auch seine Figuren scheinen entwicklungsunfähig, die in einer nicht verstehbaren und als fremd empfundenen Ordnung existieren. In „Templones Ende“ herrschen Motive der Entfremdung und Vereinsamung vor.

Die groteske Erzählung reflektiert über das senile Scheitern durch Entfremdung und dem Scheitern an den eigenen Gesetzen. Am Schluss der Kurzgeschichte schiebt Walser eine Pointe ein, die den Schlusssatz wie angehängt wirken lässt. Walser verlässt den eigentlichen Handlungsraum und erweitert das limitierte Wissen des Lesers. Der Protagonist Templone wehrt sich gegen den Tod, dennoch dringt die von ihm bedrohlich gefährlich empfundene Außenwelt nicht in seinen Handlungsbereich bzw. Besitz ein. Templone wird vom Gasmann gefunden und die Nachbarn tragen ihm nichts nach und richten die Beerdigung aus. Der Schluss ist entscheidend, da hier ein Perspektivenwechsel stattfindet.

Das gesellschaftliche Umfeld, nämlich die (neuen) Nachbarn verlieren ihre Bedrohlichkeit und Templone verliert seine Rolle als Opfer dieser (un)sozialen Zustände. Aus ihm wird ein Anti-Held. Denn Templone kann den Anforderungen der Zeit nicht begegnen. Er verweigert jede Kommunikation und es stellt eine inszenierte Störung der im Beziehungsgeflecht zw. Gemeinschaft (Nachbarn)/ Einzelnen (Templone) dar. Templone erkennt durch seinen Tod die Zerbrechlichkeit seiner Existenz sowie den unaufhaltsamen Ablauf der Zeit und die Veränderungen des Lebens.

Das Kafkaeske wird mit der Ironie vermischt und Walser verzerrt geschickt eine Darstellung des Grauens, die noch gestärkt wird durch die Lächerlichkeit des Protagonisten. Der Kern der Erzählung ist die unbestimmte, unbegründete, eingebildete Angst. Martin Walser sagt dazu:

In dieser und anderen Geschichten will ich auf die psychologische Anfälligkeit der Menschen verweisen, ob diese sich nun als Verführbarkeit, als Zwangsdenken, als Identitätsverlust oder ganz allgemein als Ängstlichkeit zeigen mag. Überhaupt empfinden die meisten Menschen in diesen Geschichten Angst, sind unsicher, kommen sich bedroht vor. Das Angstgefühl ist aber weder das Ergebnis zwischenmenschlicher Konflikte, noch ist es etwa die Folge privat bedingter Schuldgefühle. Nein, diese Angst ist viel tiefgründiger, unbestimmbarer, unerfassbarer und – in „Templones Ende“ – sogar vollkommen unbegründet, also eingebildet. (In. )

Literatur

  • Martin Walser: Ein Flugzeug über dem Haus und andere Geschichten. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1997, ISBN 3-518-39288-3.
  • Anthony Wayne: „Templone's Ende“ and Walser's arrival. In: Stuart Parkes (Hrsg.): The Gruppe 47. Fifty years on a re-appraisal of its literary and political significance. Rodopi, Amsterdam 1999, ISBN 90-4200677-3, S 127-137.

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