Eugène Sue

Eugène Sue
Eugène Sue

Eugène Sue, eigentlich Joseph-Marie Sue (* 10. Dezember 1804 in Paris; † 3. August 1857 in Annecy) war ein französischer Schriftsteller.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Schaffen

Dieser heute kaum mehr bekannte Autor war in den 1840er Jahren einer der meistgelesenen und einflussreichsten Romanciers Frankreichs. Er ist in die Literaturgeschichte eingegangen als einer der Begründer des Fortsetzungsromans in Tageszeitungen und als Verfasser des vielleicht erfolgreichsten Zeitungsromans überhaupt, Les mystères de Paris.

Sue wuchs auf als Sohn eines wohlhabenden und hochangesehenen Chefarztes und dessen zweiter Frau. Er verließ mit 16 vorzeitig das Gymnasium und ging als Arzthelfer ohne akademische Ausbildung zunächst bei seinem Vater in die Lehre. 1823 nahm er als Hilfschirurg am Spanienfeldzug der französischen Armee teil und blieb noch eine Weile bei den in Cádiz stationierten Truppen. 1825 wechselte er zur Marine nach Toulon. Hier übte er erstmals nebenher seine Feder als Journalist. 1826 machte er als junger Marinearzt zwei längere Seereisen (Südsee und Antillen) und war 1827 beim Sieg der vereinigten englisch-französisch-russischen Flotte gegen die türkisch-ägyptische Flotte vor Navarino dabei, der entscheidend zur Unabhängigkeit Griechenlands beitrug.

1828 zurück in Paris interessierte Sue sich für Malerei, betätigte sich aber auch als Journalist mit Artikeln für die Zeitschrift La Mode von Émile de Girardin, der in den Folgejahren durch die Einführung der Annonce und die dadurch mögliche Verbilligung der Zeitungen die französische Presse revolutionierte. Für La Mode verfasste er erste erzählende Texte, z.B. Kernock le pirate und El Gitano (span. „Der Zigeuner“).

1830 erbte er von seinem Vater ein bedeutendes Vermögen und begann ein Dandy-Leben in besten Pariser Kreisen. Nebenher schrieb er weiter Erzählungen und Romane für diverse Zeitschriften. In den Jahren von 1835 bis 1837 publizierte er eine fünfbändige Histoire de la marine française. Nachdem er 1838 das väterliche Erbe fast aufgebraucht hatte, suchte er mit der Schriftstellerei seinen Unterhalt zu verdienen. Hierbei betätigte er sich zunächst überwiegend im gerade modischen Genre des „Sittenromans“, versuchte sich aber auch mit einem Co-Autor als Dramatiker.

1841 wandelte Sue sich vom unpolitischen Dandy zum engagierten Sozialisten, der sich für die Probleme des mit der Industrialisierung rasch wachsenden Pariser Proletariats zu interessieren begann und dieses Interesse literarisch umzusetzen versuchte.

Schlagartig berühmt wurde Sue dann 1843 mit den Mystères de Paris (Die Geheimnisse von Paris), die von Juni 1842 bis Oktober 1843 fast täglich in der (eher konservativen) Tageszeitung Le Journal des Débats erschienen und zu einem literarischen und sozialen Ereignis ersten Ranges wurden. Dieses keinem zielstrebigen Plan folgende, aus einer Serie locker gereihter Episoden bestehende Werk, in das auch zahllose Leser-Vorschläge aus allen Bevölkerungsgruppen eingeflossen sind, handelt von intriganten Adelsparteien und besonders dem Pariser Unterschichten-Milieu, dessen schwieriger Alltag zwischen Arbeit, Elend und Verbrechen von Sue teils realistisch, teils pittoresk idealisierend, aber immer spannend und mit wachsender Anteilnahme geschildert wird. Eine zentrale Person und Identifikationsfigur des Autors ist hierbei der Comte (dt. „Graf“) de Gérolstein, der sich als „Rodolphe“ inkognito unter das Volk begibt und rettend und rächend als Superman auftritt. Auch eine siebenstündige Theaterversion, die Sue mit einem Co-Autor 1844 herstellte, war ein großer Erfolg.

Hiernach führte er die Romanform der Mystères fort mit Le Juif errant (Der ewige Jude), der von Juni 1844 bis Oktober 1845, nunmehr im eher linken Blatt Le Constitutionnel, herauskam und worin er sein soziales und vor allem sein politisches Engagement noch verstärkte, und zwar im Sinne eines radikalen Antiklerikalismus.

Weniger erfolgreich war ein weiterer Versuch Sues im Constitutionnel mit dem sozial engagierten Roman Martin l'enfant trouvé (dt. „Martin das Findelkind“) im den Jahren 1846/47. Ebenfalls nur mäßig erfolgreich war das wieder dem Sittenroman nahestehende Fortsetzungswerk Les sept péchés capitaux (dt. „Die sieben Hauptsünden“) 1847–51.

Bei der Februarrevolution 1848 trat Sue als linker Journalist und Politaktivist auf den Plan, der 1850 auch zum Abgeordneten gewählt wurde.

Nach dem Staatsstreich von Louis-Napoléon Bonaparte 1851 wurde er kurz verhaftet und emigrierte ins damals (bis 1860) noch piemontesische Savoyen. Hier schrieb er, neben anderen fiktionalen und politischen Texten, ein schon 1849 begonnenes Werk zu Ende, das schließlich rund 6000 Seiten umfasste: Les Mystères du peuple (Die Geheimnisse des Volkes). Es ist eine gewissermaßen aus der Perspektive von unten gesehene Geschichte Frankreichs von der Keltenzeit um 50 v. Chr. bis 1848, dargestellt als Familiensaga einer bretonischen Unterschichtenfamilie.

Nach dem Abschluss dieses Buches 1856 unternahm Sue eine größere Europareise und starb einige Monate nach der Rückkehr. Ein weiteres monumentales Werk, Les Mystères du monde (Die Geheimnisse der Welt), das Ungerechtigkeiten und Nöte in aller Welt darstellen sollte, kam über Anfänge nicht hinaus.

Sues Fortsetzungsromane der 1840er Jahre und ihre zahllosen Übersetzungen und Nachahmungen in ganz Europa bedeuteten den Durchbruch des neuen Genres des Fortsetzungsromans im Feuilleton der vielen neu gegründeten Tageszeitungen, die sich ihrerseits von leicht konsumierbarem Lesestoff für ein breites Publikum höhere Käuferzahlen und größere Marktanteile erhofften.

Der Beitrag Sues zur Bewusstmachung der sozialen Probleme der Zeit ist ebenfalls kaum zu überschätzen. Ein Zeuge hierfür ist Friedrich Engels, der im Februar 1844 schreibt: „Der wohlbekannte Roman von Eugène Sue, die Geheimnisse von Paris, hat auf die öffentliche Meinung, ganz besonders in Deutschland, tiefen Eindruck gemacht; die eindringliche Art, in der dieses Buch das Elend und die Demoralisierung darstellt, die in großen Städten das Los der 'unteren Stände' sind, musste notwendig die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Lage der Armen im allgemeinen lenken.“ Eine andere Wirkung ist die Aufnahme von Passagen aus Les Mystères du Peuple durch Maurice Joly in seinen Gesprächen in der Unterwelt zwischen Machiavelli und Montesquieu von 1864, die wiederum eine wesentliche Grundlage der bis heute weitverbreiteten antisemitischen Kampfschrift Protokolle der Weisen von Zion bilden.

Im Oktober 2008 verlegte der Insel Verlag Die Geheimnisse von Paris vollständig in zwei Teilen.

Werke (Auswahl)

  • Der ewige Jude. ein phantastischer Kolportage-Roman („Le Juif errant“). Bastei-Lübbe Verlag, Bergisch-Glasdbach 1983, ISBN 3-404-72032-6.
  • Die Geheimnisse von Paris („Les Mystères de Paris“). Insel-Verlag, Frankfurt/M. 2008, ISBN 978-3-458-35088-0 (2 Bde., übersetzt von Helmut Kossodo).
  • Die Kunst zu gefallen. Novelle („L'Art de Plaire“). Wigand Verlag, Leipzig 1844 8übersetzt von Ludwig von Alvensleben).
  • Der Salamander. Ein Roman aus dem Seeleben („La Salamandre“). Wigand Verlag, Leipzig 1845 (übersetzt von Ludwig von Alvensleben).
  • Das Mährlein von Fletsch und Winzelchen : Eine hübsche und belehrende Geschichte für Kinder. Nach Eugène Sue, bearbeitet von Franz Lauter. - Frankfurt a. M : Ullmann, 1844. Digitalisierte Ausgabe der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf

Literatur

  • Peter Heidenreich: Textstrategien des französischen Sozialromans im 19. Jahrhundert am Beispiel von Eugene Sues "Les mystères de Paris" und Victor Hugos "Les miserables". Tuduv, München 1987. Reihe Sprach- und Literaturwissenschaften Bd. 22. - Seit 2004: Herbert Utz Verlag ISBN 3-88073-219-1
  • Walburga Hülk: Als die Helden Opfer wurden. Grundlagen und Funktion gesellschaftlichen Ordnungsmodelle in den Feuilletonromanen „Les mystères de Paris“ und „Le juif errant“ von Eugène Sue. Winter, Heidelberg 1985. Reihe: Studia Romanica Bd. 61. ISBN 3-533-03686-3
  • Kurt Lange: Eugen Sue's Seeromane. Ihre Herkunft und Eigenart. Adler, Greifswald 1915.
  • Materialien zur Kritik des Feuilleton-Romans. „Die Geheimnisse von Paris“ von Eugène Sue. Hg. Helga Grubitzsch. Athenaion, Wiesbaden 1977. Reihe Literaturwissenschaft Bd. 3. ISBN 3-7997-0675-5
  • Achim Ricken: Panorama und Panoramaroman. Parallelen zwischen der Panorama-Malerei und der Literatur im 19. Jahrhundert, dargestellt an Eugène Sues "Geheimnissen von Paris" und Karl Gutzkows "Rittern vom Geist". Peter Lang, Frankfurt 1991. Reihe: Europäische Hochschulschriften, R. 1: Deutsche Sprache und Literatur; Bd. 1253. ISBN 3-631-43725-0
  • Bodo Rollka: Die Reise ins Souterrain. Notizen zur Strategie des aufklärerischen Erfolgs. Eugène Sues „Geheimnisse von Paris“ und Günter Wallraffs „Ganz unten“. Arsenal, Berlin 1987. Reihe: Berliner Beiträge zum Vergnügen des Witzes und Verstandes; 7. ISBN 3-921810-92-2
  • Cornelia Strieder: Melodramatik und Sozialkritik in Werken Eugène Sues. Palm & Enke, Erlangen 1986 (= Erlanger Studien; 66) ISBN 3-7896-0166-7
  • Margrethe Tanguy Baum: Der historische Roman im Frankreich der Julimonarchie. Eine Untersuchung anhand von Werken der Autoren Frédéric Soulié und Eugène Sue. Peter Lang, Frankfurt 1981. (= Bonner romanistische Arbeiten; 9) ISBN 3-8204-6175-2

Weblinks

 Commons: Eugène Sue – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

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