Euthyphron-Dilemma

Euthyphron-Dilemma

Das Euthyphron-Dilemma geht auf Platons Dialog Euthyphron zurück und hat den Anspruch zu zeigen, dass eine Bestimmung dessen, was als fromm bzw. allgemeiner als moralisch gut gilt, nicht im Rückgriff auf einen Gott erfolgen könne. Im Dialog fragt Sokrates seinen Gesprächspartner, den Philosophen und Weissager Euthyphron, was das Fromme (τὸ ὅσιον) sei. Dieser antwortet darauf: „Was also den Göttern (οἱ θεοί) lieb ist, ist fromm; was nicht lieb, ruchlos.“ Das sich daraus ergebende Dilemma formuliert Sokrates so: „Bedenke dir nämlich nur dieses, ob wohl das Fromme, weil es fromm ist, von den Göttern geliebt wird, oder ob es, weil es von den Göttern geliebt wird, fromm ist?“

Das Euthyphron-Dilemma soll zeigen, dass ethische Fragen wie die Frage nach dem, was als fromm gilt, ohne einen Bezug auf eine göttliche Instanz beantwortet werden müssen. Dieses Dilemma lässt sich nicht nur auf Frömmigkeit oder Gottgefälligkeit anwenden, sondern betrifft die Bestimmung von moralischen Werten und des moralisch Guten überhaupt. Die ursprünglich polytheistische Fassung des Dilemmas bei Platon lässt sich auch auf Monotheismen übertragen. Das Dilemma lautet dann: „Wird das moralisch Gute deswegen von Gott befohlen, weil es das moralisch Gute ist, oder ist es deswegen moralisch gut, weil es von Gott befohlen wird?“ In dieser Form wurde das Euthyphron-Dilemma seit der Antike immer wieder zum Thema theologischer und philosophischer Debatten.

In seiner 1927 erschienenen Schrift „Warum ich kein Christ bin“ (Why I am not a Christian) hat Bertrand Russell das Dilemma auf den christlichen Theismus bezogen, um auf die logischen Widersprüche theistischer Moralbegründung hinzuweisen:

„If you are quite sure there is a difference between right and wrong, you are then in this situation: Is that difference due to God's fiat or is it not? If it is due to God's fiat, then for God Himself there is no difference between right and wrong, and it is no longer a significant statement to say that God is good. If you are going to say, as theologians do, that God is good, you must then say that right and wrong have some meaning which is independent of God's fiat, because God's fiats are good and not good independently of the mere fact that he made them. If you are going to say that, you will then have to say that it is not only through God that right and wrong came into being, but that they are in their essence logically anterior to God.

Wenn Sie sich sicher sind, dass es einen Unterschied zwischen Falsch und Richtig gibt, sind Sie in dieser Situation: Besteht dieser Unterschied aufgrund von Gottes Geboten oder nicht? Falls er aufgrund von Gottes Geboten besteht, dann besteht für Gott selbst kein Unterschied zwischen Gut und Böse und es ist somit nicht länger eine sinnvolle Aussage, zu sagen, dass Gott gut ist. Falls Sie sagen werden, wie Theologen es tun, dass Gott gut ist, müssen Sie auch sagen, dass Falsch und Richtig eine Bedeutung haben, welche von Gottes Geboten unabhängig ist, da Gottes Gebote gut und nicht gut sind, unabhängig von dem bloßen Fakt, dass er sie geschaffen hat. Falls Sie das sagen werden, müssen Sie auch sagen, dass Falsch und Richtig nicht lediglich durch Gott entstanden sind, sondern ihm in ihrem Wesen logisch vorausgingen.“

Bertrand Russell, Why I Am Not a Christian. New York: Touchstone, Simon & Schuster, 1957, S. 12.


In jüngerer Zeit wurde das Argument unter anderem von Michael Schmidt-Salomon aufgegriffen, der die Argumentation des Sokrates im Sinne einer Kritik göttlicher Moralgebote neu formulierte:

„Sokrates’ Argumentationsfigur beruht im Kern auf zwei einfachen Fragen: 1. Sind Gottes Gebote deshalb gut, weil Gott sie gebietet? 2. Wenn ja, wäre es dann moralisch gerechtfertigt, Kinder zu foltern oder zu ermorden, wenn Gott ein entsprechendes Gebot aufstellte?
Diese Fragestellung bringt den Gläubigen in ein ethisches Dilemma. Entweder er gibt die These auf, Werte seien über Gottes Gebote begründet (was eventuell seinem Glauben widersprechen würde) oder aber er muss akzeptieren, dass Gottes Gebote auch dann noch gültig sind, wenn sie offensichtlich Inhumanes einfordern.“[1]

Literatur

  • Robert Merrihew Adams: Finite and Infinite Goods. A Framework for Ethics. Oxford University Press, New York 2002 ISBN 0-19-515371-5
  • Paul Helm (Hrsg.): Divine Commands and Morality. Oxford University Press, Oxford 1981, ISBN 0-19-875049-8
  • Norman Kretzmann: Abraham, Isaac, and Euthyphro: God and the basis of morality. In: Eleonore Stump und Michael J. Murray (Hrsg.): Philosophy of Religion: The Big Questions. Blackwell, Oxford 1999, ISBN 0-631-20604-3

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Michael Schmidt-Salomon: „Existiert Gott?“

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