Femizid

Femizid

Femizid (lat. femina „Frau“, caedere „töten“) ist ein Begriff des Feminismus für die Tötung von Frauen, vor allem durch Männer. Als Femizid wird auch die staatliche Duldung und Förderung dieses Verbrechens bezeichnet, wie es etwa in China, Indien und Guatemala geschieht. In neutralen, nicht-feministischen Zusammenhängen wird der Begriff Genderzid verwendet, wenn Menschen wegen ihres Geschlechtes getötet werden.

Von einigen Autoren, beispielsweise Ines Rummel, wird der Femizid unter dem Überbegriff des Feminizid eingeordnet: Der Feminizid integriert dabei den politischen Charakter des Begriffes und die Verantwortung des Staates für denselben. Diese definitorische Abgrenzung der beiden Begriffe wird in der aktuellen Literatur kaum vorgenommen: es wird in der Regel vom „Femizid“ gesprochen.

Feministische Ansätze sehen die Entstehung des Femizids im ideologischen und sozialen Umfeld des Machismo und der Frauenfeindlichkeit. Weitere Ursachen sehen Feministinnen neben der hauptsächlich auf Männer ausgerichteten Pornographie, in der so genannten „Gorenographie“ (engl.: to gore: aufspießen, durchbohren): also in Filmen und Magazinen, welche Gewalt als erotisches Stilmittel nutzen.

Nach Angaben des Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces (DCAF) werden jährlich weltweit zwei bis drei Millionen Frauen aufgrund des Geschlechts getötet. Nach Angaben des DCAF sterben diese durch: Ehrenmorde, häusliche Gewalt, bewaffnete Konflikte oder intendierte Vernachlässigung von Mädchen.

Inhaltsverzeichnis

Kennzeichen nach Gerstendörfer

Die Kennzeichen des Femizids sind laut Gerstendörfer[1] die brutale Gewaltanwendung, das Schweigen auf Täter- und Opferseite und die damit verbundene hohe Dunkelziffer. Begünstigende Faktoren des Femizids sind in Vergewaltigung, Folter, sexueller Sklaverei, inzestuösem und außerfamiliärem Kindesmissbrauch, physischer und emotionaler Grausamkeit, genitaler Verstümmelung, in unnötigen gynäkologischen Operationen oder Zwangssterilisationen zu finden.

Perspektive als politisches Phänomen oder persönlicher Mord

In der aktuellen Literatur ist Femizid, entsprechend der obigen Begriffsbestimmung, unter zwei Perspektiven dargestellt: Eine Betrachtungsweise bezieht sich dabei auf die versuchte oder vollendete Tötung an Frauen durch Ehemänner, Partner, Bekannte oder Fremde (mikrokriminologische Perspektive). Ein weiterer, hauptsächlich feministischer Blickwinkel sieht Femizid unter dem Gesichtspunkt eines politisch motivierten Genozids (makrokriminologische Perspektive). Beide Phänomene können nicht klar voneinander getrennt werden, da sich der Übergang vom einen zum anderen fließend gestaltet.

Mikrokriminologische Perspektive

In einer retrospektiven Studie zum Femizid in Australien[2] wurden nachfolgende Merkmale gefunden: Frauen wurden entweder im ersten Lebensjahr oder in einem Alter zwischen 21 und 23 Jahren am häufigsten Opfer eines Femizids. Die Täter-Opfer-Beziehung gestaltete sich in der Mehrheit als Ehe oder Partnerschaft, wobei in der Regel häusliche Konflikte zugrunde lagen. In Übereinstimmung mit dieser Konstellation fand der Femizid zum Großteil in privaten Wohnungen statt. Im Vergleich von Tätern und Opfern fand sich, dass mit zunehmendem Alter der Täter die Beziehung zum Opfer eine engere war und dass in der Regel Täter und Opfer den gleichen ethnischen Hintergrund hatten. Diese Ergebnisse bestätigen sich durch ähnliche Befunde anderer Studien, in welchen weitere Risikofaktoren wie der Besitz einer Handfeuerwaffe, ein Stiefkind des Täters im Haushalt, Stalking, erzwungener Geschlechtsverkehr und Missbrauch während der Schwangerschaft genannt werden.

Kerry[3] legt dem Femizid ein binäres Modell zugrunde, nach dem Femizid zwei Ausgangspunkte aufweist: Ausgangspunkt 1 sieht das Opfer als unterdrückte Frau, die es aufgegeben hat, sich zu emanzipieren. Ausgangspunkt 2 nimmt im Gegenteil an, dass es sich beim Täter um einen sozial unbeholfenen und abhängigen Mann handelt, welcher erst seine emanzipierte Partnerin tötet und dann sich selbst suizidiert. Parallel nimmt das Modell eine chronologische Abfolge des Tatgeschehens an:

Stufe 1
„Pre-Murder“ (wie definiert der Mann seine Maskulinität und welche Einstellung hat er zu Frauen)
Stufe 2
„Precipitating Event“ (welche Gedanken des Täters lösen den darauf folgenden Mord aus)
Stufe 3
„Lethal Act“ (betrachtet den Mord)
Stufe 4
„Post-Murder“ (befasst sich mit der Zeit unmittelbar nach dem Mord)
Stufe 5
„Adjustment to Incarceration“ (welche Einstellungen hat der Täter zu seiner Inhaftierung, zu seiner Tat und zu seinem Opfer)

Makrokriminologische Perspektive

Laut Schätzungen der UN aus den 1990er Jahren „fehlten“ weltweit 60 bis 90 Millionen Frauen und Mädchen. Vor allem in Ländern wie Indien liegen die Ursachen unter anderem in der Abtreibung weiblicher Föten; weibliche Neugeborene werden ausgesetzt, misshandelt, getötet oder sie sterben einen Hungertod. Ein ähnliches Bild zeigt sich in China, welches die „Ein-Kind-Politik“ betreibt. In Ländern, in welchen die Kinderehe üblich ist, werden Mädchen in einem Alter geschwängert, in dem die Gefahr der Todesfolge sehr hoch ist.

Auch in Guatemala wird seit Beginn des 21. Jahrhunderts zunehmend von Femizidfällen berichtet: Laut dem amnesty-Report vom Juni 2005 wurden zwischen 2001 und 2004 1.188 Frauen ermordet. Damit verzeichnet die Gewalt gegen Frauen von 2000 bis 2004 einen Zuwachs von über 100 %. Die Mehrheit der Frauen wird vor ihrem Tod vergewaltigt und gefoltert. Die Opfer stammen in der Regel aus ärmeren und jüngeren Gesellschaftsschichten (bis 40 Jahre). Feministinnen sehen die Ursachen für den guatemaltekischen Femizid in den historisch – kulturellen Wurzeln der Gesellschaft, in denen Frauen eine untergeordnete Rolle innehaben. Dieser Faktor würde die zunehmende Gewalt gegen Frauen vor allem in den guatemaltekischen Großstädten begünstigen, in denen Armut, Anonymität und staatliche Ignoranz anzutreffen wären. (Ähnliche Phänomene finden sich ebenfalls in Mexiko: Frauenmorde von Ciudad Juárez). Sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene gibt es Bemühungen, das guatemaltekische Strafgesetzbuch an diese Form der Kriminalität anzupassen, um den (potentiellen) Opfern mehr Schutz gewährleisten zu können.

Literatur

  • J. C. Campbell u. a.: Risk Factors for Femicide in Abusive Relationships: Results From a Multisite Case Control Study. In: American Journal of Public Health. Bd. 93, Nr. 7, 2003.
  • M. Gerstendörfer: Femizid: Tödliche Gewalt gegen Frauen. 1998. Verfügbar unter: http://www.uni-muenster.de/PeaCon/wf-98/9841900m.htm [20. Januar 2007].
  • J. M. McFarlane u. a.: Stalking and Intimate Partner Femicide. In: Homicide Studies. Bd. 3, Nr. 4, 1999.
  • G. P. Kerry: Intimate Femicide: An Analysis Of Men Who Kill Their Partners. In: Education Wife Assault Newsletter. Bd. 9, Nr. 1, 1998.
  • J. Mouzos: Femicide: An Overview of Major Findings. In: Trends and Issues in Crime and Criminal Justice. Bd. 124, 1999.
  • I. Rummel: Frauenmorde in Guatemala. 2005. Verfügbar unter: http://www.guatemala.de/Infos/Frauenmorde.html [20. Januar 2007].
  • P. Sharps u. a.: Paternity: Risk For Intimate Partner Femicide. 2002. Verfügbar unter: http://stti.confex.com/stti/sos13/techprogram/paper_12189.htm [23. Januar 2007].

Einzelnachweise

  1. Uni Münster: „M. Gerstendörfer: Femizid: Tödliche Gewalt gegen Frauen“. 1998
  2. Australian Institut for Criminology in Research and Public Policy Series No. 18: Femicide : the killing of women in Australia 1989-1998
  3. G. P. Kerry: Intimate Femicide: An Analysis Of Men Who Kill Their Partners. In: Education Wife Assault Newsletter. Bd. 9, Nr. 1, 1998

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