Frauenmorde von Ciudad Juárez

Frauenmorde von Ciudad Juárez

Als Frauenmorde von Ciudad Juárez wird eine seit 1993 andauerende Mordserie in der nordmexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez bezeichnet. Viele der Morde wurden bisher nicht aufgeklärt.

Laut Amnesty International wurden bis zum Februar 2005 mehr als 370 Leichen gefunden, und über 400 Frauen gelten als vermisst, anderslautenden Angaben zufolge sollen es über 600 sein. Die meisten Frauen waren zur Zeit ihrer Tötung oder ihres Verschwindens zwischen 13 und 25 Jahren alt. Viele der Opfer arbeiteten in den Maquilas, Fabriken internationaler Konzerne, die in Grenznähe errichtet wurden. Bei 137 Opfern konnte die Anwendung sexueller Gewalt festgestellt werden. 75 Leichen konnten nicht identifiziert werden, da sie zu stark entstellt waren.[1] Der mexikanische Menschenrechtsbeauftragte José Luis Soberanes sprach im November 2005 von bis dahin 28 ermordeten Frauen im laufenden Jahr, und dass die Stadt „eine Schande für das Land“ sei.[2]

Inhaltsverzeichnis

Kritik an den Ermittlungen

Da die Mordserie bis heute nicht gestoppt werden konnte, sehen sich die mexikanischen Ermittlungsbehörden wachsender Kritik aus dem In- und Ausland ausgesetzt. Den Ermittlungsbehörden wird Korruption, Inkompetenz und die Einschüchterung von Zeugen vorgeworfen. Besonders kritisiert wird, dass den Spuren des zu Hilfe geholten FBI seitens der einheimischen Behörden nicht weiter nachgegangen wird. Die Mordserie dauert trotz zahlreicher Verhaftungen weiter an. Die mexikanischen Behörden bestreiten die Existenz von Serienmorden in Juárez.[3] So sollen laut Bericht der Generalstaatsanwaltschaft über 60 % der offiziell registrierten Morde wegen innerfamilärer Konflikte begangen worden sein.[4] Über 30 % sollen sich laut der Ombudsfrau Patricia Gonzáles im Drogen- und Prostitutionsmilieu abgespielt haben.[5]

Angehörige der Opfer beklagen, dass sie von den zuständigen Behörden nicht ernst genommen werden und keine oder falsche Antworten zum bisherigen Ermittlungsstand erhalten.

Im Februar 2002 wurde der Anwalt Mario Escobedo Anaya, der den Angeklagten Gustavo González Meza verteidigte, von Polizeibeamten erschossen. Die Beamten behaupteten, in Notwehr gehandelt zu haben. Augenzeugen widersprachen den Aussagen der Beamten, dennoch wurde der Tod des Anwalts nicht weiter untersucht.

Verhaftungen

Zahlreiche Menschen wurden als Verdächtige im Zusammenhang mit den Morden verhaftet. Der mexikanischen Polizei wird vorgeworfen, dass gegen viele der Verdächtigen keine oder nur unzureichende Beweise vorlagen und deshalb die vermeintlichen Täter wieder aus der Untersuchungshaft entlassen werden mussten. Zusätzlich wird sie beschuldigt, Geständnisse erpresst zu haben, Beweise zu vertuschen und sogar selbst Frauen zu entführen. 2005 wurde der Busfahrer Víctor Javier García Uribe im Revisionsverfahren freigesprochen; zuvor war er wegen eines erzwungenen Geständnisses für den Mord an 8 Frauen zu 50 Jahren Haft verurteilt worden.[6]

Der erste Verdächtige, der verhaftet wurde, war der ägyptischstämmige Chemiker Abdul Latif Sharif. Er war 1994 nach Ciudad Juárez geflohen, um seiner drohenden Abschiebung zu entgehen. Ihm wurden in den USA mehrere Vergewaltigungen vorgeworfen. Nachdem er 1995 für den Mord an einer jungen Arbeiterin verurteilt worden war, nahm die Polizei zwei Gruppen junger Männer fest. Diese behaupteten, Sharif hätte sie aus dem Gefängnis heraus bezahlt, damit die Morde weitergingen und so seine Unschuld bewiesen würde. Trotz der Verhaftung von Sharif und seinen angeblichen Mittätern hörten die Morde nicht auf, was zu Spekulationen führte, dass die wirklichen Täter noch auf freiem Fuß seien oder die ursprünglichen Täter gefasst seien und seitdem Nachahmungstäter die Morde fortsetzen.

2003 wurde Cristina Escobar González ermordet. Der Täter wurde verhaftet, als er versuchte, ihren von Spuren schwerer Misshandlungen übersäten Körper in den Kofferraum seines Wagens zu verstauen. Er sagte aus, sie in Notwehr getötet zu haben und wurde zu drei Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Diese geringe Strafe wird von Menschenrechtsorganisationen als Indiz für Korruption bei den zuständigen Justizbehörden interpretiert.[7]

Weitere Reaktionen

Am 30. Mai 2005 sagte der mexikanische Präsident gegenüber Journalisten, dass die Mehrzahl der Morde in Juárez aufgeklärt worden seien und die Schuldigen hinter Gittern säßen. Er kritisierte die Medien dafür, dass sie dieselben 300 bis 400 Morde immer wieder aufwärmen würden und sagte, dass die Taten im richtigen Zusammenhang gesehen werden müssten.

Die Mütter, Familien und Freunde der Opfer haben sich in der NHRC (Nuestras Hijas de Regreso a Casa - Unsere Töchter sollen nach Hause zurückkehren) organisiert. Das Ziel der Organisation ist, die Öffentlichkeit auf die Situation in Juárez aufmerksam zu machen, Druck auf die Regierung auszuüben und das öffentliche Schweigen zu brechen, das die Straflosigkeit der Täter erst ermöglicht. Sie verlangen, dass die seit langer Zeit ungeklärten Morde endlich ordentlich untersucht und aufgeklärt werden. In Juárez werden sie wegen ihrer Arbeit bedroht und angefeindet.

Aufmerksamkeit in Medien

  • 1999 thematisierte Tori Amos die Morde in dem Song Juárez auf ihrem Album To Venus and Back.
  • 2000 machte die Band At the Drive-in mit ihrem Song Invalid Litter Dept.aus dem Album Relationship of Command und dem dazugehörigen Musikvideo auf das Geschehen in Juárez aufmerksam.
  • 2001 wurde von Lourdes Portillo die erste Dokumentation über die Opfer gedreht und veröffentlicht: „Señorita Extraviada“.
  • 2004 erschien Roberto Bolaños Roman 2666, in dessen Zentrum eine sehr ähnliche Mordserie in der fiktiven Stadt Santa Teresa im Bundesstaat Sonora steht.
  • 2006 veröffentlichte Zulma Aguiar eine Dokumentation über die Morde; die Mütter von Juárez kämpfen gegen die Frauenmorde. Sie wurde dabei von der NHRC unterstützt.
  • 2006 erschien der Spielfilm The Virgin Of Juarez von Regisseur Kevin James Dobson mit Minnie Driver und Esai Morales
  • 2007 erschien der Film Bordertown (mit Jennifer Lopez und Antonio Banderas), der sich ebenfalls des Themas der Morde in Juarez annimmt.
  • 2009 erschien der Film El traspatio (internat. Titel: Backyard) des mehrfach ausgezeichneten mexikanischen Regisseurs Carlos Carrera. Der Film handelt von einer jungen Kommissarin (Ana de la Reguera), die gerade erst ihren Dienst in Juárez angetreten hat und versucht, die Frauenmordserie in der Grenzstadt aufzuklären. Der Film war 2010 der mexikanische Beitrag im Rennen um den besten fremdsprachigen Film im Vorfeld der Oscarverleihung 2010.

Einzelnachweise

  1. Startseite | Amnesty International Deutschland
  2. AtencoResiste | Interview zu Ciudad Juárez
  3. James C. McKinley Jr.:Little Evidence of Serial Killings in Women's Deaths, Mexico Says in der New York Times vom 26. Oktober 2004 (engl.)
  4. poonal: Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 28. Februar 2006
  5. Junge Welt vom 23. März 2006
  6. poonal: Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 7. Februar 2006
  7. Femicide in Guatemala & Canada

Literatur

  • Die Killer kommen meist am Freitag. In: Der Spiegel. Nr. 35, 1998, S. 138 (24. August 1998, online).
  • Daniela Hrzán: "Austauschbare Arbeit – Austauschbares Leben." In: Menschenrechte für die Frau – Zeitschrift für Menschenrechte 1/ 2003. S. 12–15.
  • Teresa Rodriguez, Diana Montané, Lisa Pulitzer: The Daughters of Juarez: A True Story of Serial Murder South of the Border. Atria 2007, ISBN 978-0-7432-9203-0 (engl.)
  • Natalie Panther: Violence against Women and Femicide in Mexico: The Case of Ciudad Juarez. Vdm-Verlag 2008, ISBN 978-3-639-00538-7 (engl.)

Weblinks


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