Friedensstadt (Glau)

Friedensstadt (Glau)
Heilinstitut Friedensstadt; ehemaliger Wohnsitz von Joseph Weißenberg.

Die Friedensstadt (offiziell: Friedensstadt Weißenberg) im Trebbiner Ortsteil Glau (Landkreis Teltow-Fläming), 35 Kilometer südlich von Berlin, ist ein religiöses Siedlungswerk mit verschiedenen sozialen, medizinisch-therapeutischen und pädagogischen Einrichtungen. Sie wurde 1920 durch den Religions- und Sozialreformer Joseph Weißenberg (24. August 1855 – 6. März 1941) gegründet. Heute ist die Johannische Kirche Eigentümerin der Siedlung, in der zu Beginn des Jahres 2008 fast 400 Menschen in 260 Wohnungen bzw. Eigenheimen leben.

Die Friedensstadt ist ein markanter Ort im Land Brandenburg unweit des Blankensees mit großer kulturhistorischer Bedeutung, in dem die Brüche der deutschen Geschichte besonders deutlich sichtbar und spürbar werden. Dies wurde vom Brandenburgischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur sowie von der Europäischen Union bestätigt und durch die Förderung eines Besucherleitsystems zum Ausdruck gebracht.

Inhaltsverzeichnis

Gründung

Die Friedensstadt ist Teil der sozialen und religiösen Siedlungsbewegung, die nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland viele Einrichtungen entstehen ließ. Dennoch weist sie in diesem Kontext Besonderheiten auf. In baulicher Hinsicht wurde durch eine kleinteilige Bauweise und durch die Schaffung von für jedermann bezahlbaren Wohnraum eine Alternative zu den Berliner Mietshauskasernen errichtet. Darüber hinaus strebten die Siedler nach den leidvollen Erfahrungen des Krieges unter dem programmatischen Namen Friedensstadt ein soziales Gemeinwesen auf religiöser Grundlage an. Dies wurde durch die Schaffung von Wohnraum, Arbeitsplätzen und sozialen Einrichtungen (Altersheim, Schule, Gemeinschaftseinrichtungen) umgesetzt. Darüber hinaus verband die Bewohner ein religiöses Gemeinschaftserleben.

Errichtet wurde die Friedensstadt durch Spendenmittel, was in der Weimarer Republik eine Zeitung zu der Überschrift veranlasste: „Eine Stadt aus Trauringen erbaut“. Joseph Weißenberg forderte nach dem Ersten Weltkrieg die Anhänger seiner religiösen Sammlungsbewegung zu Spenden für dieses Siedlungsprojekt auf, mit dem noch vor der Inflation begonnen werden konnte. Als Genossenschaft organisiert, konnte die Friedensstadt auf eine große Zahl von Förderern und Unterstützern zählen.

Die Friedensstadt entwickelte sich in den 1920er Jahren zu der größten Privatsiedlung Deutschlands, was in der nationalen und internationalen Fachpresse entsprechend gewürdigt wurde. In nur 15 Jahren entstanden auf 80 ha etwa 40 Gebäude für 500 Bewohner: Wohnhäuser, Schule, Altersheim, Landwirtschaftsbetrieb, Werkstätten, die Kirche auf dem Waldfriedengelände im benachbarten Blankensee und anderes. Insgesamt gehörten zur Friedensstadt 400 ha Fläche. Wirtschaftlich war die Siedlung nach wenigen Jahren trotz Inflation und Weltwirtschaftskrise dank ihrer Betriebe (Landwirtschaft, Wäscherei, Gastronomie) weitgehend autark.

Enteignung

Dieses Siedlungswerk fand im NS-Regime ein jähes Ende. Die Vereine der 1926 aus Weißenbergs religiöser Sammlungsbewegung hervorgegangenen Evangelisch-Johannischen Kirche (seit 1975: Johannische Kirche) wurden im Zuge der so genannten Gleichschaltung in NS-Organisationen zwangseingegliedert. Ab 1934 wurden Joseph Weißenberg, die Evangelisch-Johannische Kirche sowie das Siedlungswerk in der NS-Presse verleumdet, 1935 die Kirche verboten, ihr Eigentum beschlagnahmt, Weißenberg verhaftet und – wie andere Systemgegner auch – in einem Unrechtsprozess als Sittlichkeitsverbrecher verurteilt.

Die Bewohner der Friedensstadt wurden bis 1938 von der Waffen-SS vertrieben, die Gelände und Gebäude besetzte. Von 1942 bis Januar 1945 befand sich hier ein Außenkommando des KZ Sachsenhausen.

Das NS-Regime ließ nichts unversucht, dieser Enteignung einen legalen Anstrich zu geben. Nachdem die Genossenschaftsvertreter sich trotz erheblichen Drucks durch die Geheime Staatspolizei einer Veräußerung der Siedlung widersetzten, wurde noch im Frühjahr 1945 der Zwangsverkauf gerichtlich vollzogen. Diese offenkundige Rechtsverletzung war Ausgangspunkt für die spätere Rückgabe der Friedensstadt an die Johannische Kirche.

Sowjetische Garnison

Ehemaliges Heizwerk der Garnison Glau.

Nach dem Zweiten Weltkrieg galt das Gelände der Friedensstadt als Militärobjekt und fiel somit in die Hände der Besatzungsmacht. Die Rote Armee der Sowjetunion errichtete dort die Garnison Glau. Die Rote Armee gab der Johannischen Kirche jedoch unmittelbar nach Kriegsende das Waldfriedengelände mit seiner charakteristischen Doppelbogen-Kirche zurück. Der damalige Kommandant forderte die alten neuen Eigentümer auf: „Beten Sie auch für Russland!“

Rückgabe und Wiederaufbau

Aus dieser Begebenheit entwickelten sich in den folgenden Jahrzehnten sehr gute Kontakte zur sowjetischen Garnison, die unter anderem die Rückgabe der Siedlung 1994 sehr erleichterten. Mitglieder der Johannischen Kirche – sie ist Rechtsnachfolgerin der Siedlungsgenossenschaft – konnten schon vor Rückgabe der Siedlung erste Bausicherungs- und Instandsetzungsmaßnahmen vornehmen, die einen reibungslosen Übergang ermöglichten. Im April 1994 erfolgte die offizielle Übergabe der Friedensstadt direkt durch die mittlerweile russische Armee.

Nahezu 60 Jahre militärische Fremdnutzung haben in der Friedensstadt deutliche Spuren hinterlassen. Viele Gebäude befanden sich zum Zeitpunkt der Rückgabe in einem sehr schlechten Zustand. Zu den ersten Aufgaben gehörten daher die Gebäudesicherung und der Aufbau der technischen Infrastruktur. Darüber hinaus ist die Modernisierung des Wohnraums wichtiges Ziel. Diese Arbeiten sind bei weitem noch nicht abgeschlossen und werden wie einst überwiegend durch Spendengelder und Patenschaften finanziert.

Literatur

Primärliteratur
  • Joseph Weißenberg: Das Fortleben nach dem Tode, Berlin 1912; Neuauflage 2005 im Verlag Weg und Ziel, ISBN 3-00-017531-8
  • Joseph Weißenberg: Meine Verhaftung und Internierung, o. J.
  • Joseph Weißenberg: Ein Lebensbild von meinem Dornenpfad, 1931.
  • Bildband Friedensstadt - Joseph Weißenbergs Siedlung von 1920 bis zur Gegenwart; Bildband, Berlin 2004, Dr. Gunnar Pommerening, Verlag Weg und Ziel, ISBN 3-00-015085-4
Sekundärliteratur
  • Dr. Andreas Schmetzstorff: Joseph Weißenberg (1855-1941). Leben und Werk Schneider Verlag Hohengehren; Auflage: 3., veränd. Neuaufl. (April 2006), ISBN 383400054X, ISBN 978-3834000545
  • Ulrich Linse: Geisterseher und Wunderwirker. Heilssuche im Industriezeitalter. Fischer TB 60164, 1996, 253 S., ISBN 3-596-60164-9, Studie über J. Weißenberg S. 89-211

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Friedensstadt Weißenberg — Heilinstitut Friedensstadt; ehemaliger Wohnsitz von Joseph Weißenberg. Die Friedensstadt (offiziell: Friedensstadt Weißenberg) im Trebbiner Ortsteil Glau (Landkreis Teltow Fläming), 35 Kilometer südlich von Berlin, ist ein religiöses… …   Deutsch Wikipedia

  • Bauernmuseum Blankensee — Das lange Zeit selbständige Dorf Blankensee ist seit 1998 ein Ortsteil der Stadt Trebbin im Brandenburger Landkreis Teltow Fläming. Benachbarte Dörfer sind Glau, Schönhagen, Stangenhagen, Mietgendorf und Schiaß sowie Breite, Stücken und Tremsdorf …   Deutsch Wikipedia

  • Schloss Blankensee — Das lange Zeit selbständige Dorf Blankensee ist seit 1998 ein Ortsteil der Stadt Trebbin im Brandenburger Landkreis Teltow Fläming. Benachbarte Dörfer sind Glau, Schönhagen, Stangenhagen, Mietgendorf und Schiaß sowie Breite, Stücken und Tremsdorf …   Deutsch Wikipedia

  • Blankensee (Brandenburg) — Das lange Zeit selbständige Dorf Blankensee ist seit dem 27. September 1998[1] mit 543 Einwohnern (Stand 2007) ein Ortsteil der Stadt Trebbin im Brandenburger Landkreis Teltow Fläming. Benachbarte Dörfer sind Glau, Schönhagen, Stangenhagen,… …   Deutsch Wikipedia

  • Johannische Kirche — Blankensee; Kirche der Friedensstadt Die Johannische Kirche ist eine 1926 von dem Religions und Sozialreformer Joseph Weißenberg (1855–1941) gegründete Religionsgemeinschaft. Ihre Glaubensgrundlage sind sowohl die Lehren und Offenbarungen… …   Deutsch Wikipedia

  • Trebbin — Wappen Deutschlandkarte …   Deutsch Wikipedia

  • Liste der Baudenkmale in Trebbin — In der Liste der Baudenkmale in Trebbin sind alle Baudenkmale der brandenburgischen Stadt Trebbin und ihrer Ortsteile aufgelistet. Grundlage ist die Veröffentlichung der Landesdenkmalliste mit dem Stand vom 30. Dezember 2009. Inhaltsverzeichnis 1 …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”