Gaston Salvatore

Gaston Salvatore
Gaston Salvatore (1977)

Gaston Salvatore (* 29. September 1941 in Valparaíso) ist ein deutschsprachiger Schriftsteller chilenischer Herkunft.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Gaston Salvatore wurde als Sohn einer Chilenin und eines Italieners am 29. September 1941 in Valparaiso/Chile geboren. Seine chilenische Mutter Maria Pascal Lyon und sein italienischer Vater Ernesto Salvatore Vocca hatten in Rom geheiratet, wo 1937 seine Schwester geboren wurde. Salvatores Vater geriet während des Krieges in japanische Gefangenschaft und wurde von den Amerikanern befreit. Die Familie kam nach dem Krieg wieder in Chile zusammen. Er ist ein Neffe von Salvador Allende. Er besuchte die amerikanische Schule St. George's College, studierte Jura an der Universität von Chile, und schloss das Studium als Volljurist und mit dem Anwaltstitel ab. Parallel dazu studierte er Volkswirtschaft und schloss mit einem Diplom als Agrarökonom ab.

Mit einem Postgraduierten-Stipendium kam er 1965 nach Berlin und studierte dort an der FU Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaften. Während der Studentenzeit lernte er Hans Magnus Enzensberger kennen, mit dem er seitdem befreundet ist. Es war Enzensberger, der Salvatore ermutigte, in deutscher Sprache zu schreiben. Am 11. September 1973 wurde in Chile die Regierung der Unidad Popular gestürzt, der Präsident Allende kam dabei ums Leben. Gaston Salvatore, der seit seiner Kindheit mit seinem Onkel Salvador Allende eng verbunden war, erlebte den Putsch in Deutschland, wo man ihm seinen chilenischen Pass wegnahm. Salvatore blieb in Berlin. Salvatore war als enger Freund Rudi Dutschkes in der Studentenbewegung der 1960er Jahre aktiv. 1969 wurde er wegen Landfriedensbruchs zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. 1975 ließ sich Gaston Salvatore in Venedig nieder, wobei er seinen Wohnsitz in Berlin beibehielt. Salvatore, der seit seiner Übersiedlung nach Deutschland auf Deutsch schreibt, gab ab September 1980 mit Hans Magnus Enzensberger die Zeitschrift TransAtlantik heraus, die er 1978 gegründet hatte.[1] Von 1983 bis 1984 war Salvatore fester freier Mitarbeiter bei der Zeitschrift Stern, wo er Porträts von führenden Personen der BRD schrieb.

Werk

Im Jahr 1969 wurde in London Salvatores Gedicht Versuch über Schweine, das von Hans Werner Henze vertont wurde, in der Elizabeth Hall uraufgeführt. 1971 fand in Rom die Uraufführung des von Hans Werner Henze vertonten Gedichtzyklus Der langwierige Weg in die Wohnung der Natascha Ungeheuer statt, die europaweit im Radio übertragen wurde. Diese abendfüllende Show mit 17 wurde anschließend in Berlin, Washington u. a. Opernhäusern aufgeführt.

1970 arbeitete Gaston Salvatore für den Filmregisseur Michelangelo Antonioni an der Fertigstellung von Zabriskie Point und bereitete einen Film Der Kaiser von China vor, der von dem Erbauer der ersten Mauer in China erzählt. Dieser Film wurde nie realisiert; Gaston Salvatore verarbeitete diese Recherchen in seiner langen Erzählung Der Kaiser von China. Leben und Tod des Kaisers Ch’in Schi Huang Ti, die 1980 beim Carl Hanser Verlag publiziert wurde.

Am 7. Oktober 1972 wurde zur Eröffnung des Hessischen Staatstheaters in Darmstadt sein Stück Büchners Tod uraufgeführt, das am selben Tag im Suhrkamp Verlag erschien.

Im Jahre 1973 arbeitete Salvatore in Berlin an der Nonfiction Novel Der Mann mit der Pauke, die das Leben von Wolfgang Neuss erzählt. Das Buch erschien 1974 im S. Fischer Verlag.

In den Jahren 1975 bis 1976 schrieb er in Berlin die Theaterstücke Tauroggen, Fossilien und Freibrief. Das Stück Freibrief kam 1977 in Bochum zur Uraufführung, es folgte eine Aufführung im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Daneben arbeitete Salvatore zusammen mit Peter Zadek an dem Drehbuch zu dem Film Frühlings Erwachen nach Wedekind. Zadek plante die Verfilmung von Freibrief.

Bis 1982 wurde jeden Monat in der von ihm und Hans Magnus Enzensberger gegründeten und herausgegebenen Monatszeitschrift Trans-Atlantik eine von Gaston Salvatore verfasste Erzählung aus der Reihe Waldemar Müller veröffentlicht, die später in mehreren Verlagen in Buchform vorgelegt wurde. Die erweiterte Ausgabe von 1993 (Die Andere Bibliothek, Hrsg. Hans Magnus Enzensberger, Eichborn Verlag) schließt auch Erzählungen ein, die nach dem Mauerfall angesiedelt sind.

Nach langen Jahren der Vorbereitung entstand 1985 in Venedig das Theaterstück Stalin, das 1987 beim Suhrkamp Verlag erschien. Die Uraufführung fand im Oktober 1987 am Schiller-Theater in Berlin statt. Inhaltsangabe vom Suhrkamp Verlag: „Das Stück spielt 1952/1953 in der Datscha Stalins, 32 km von Moskau entfernt. Itsik Sager, ein alter Schauspieler und Intendant des Moskauer Künstlertheaters, der gerade den Lear spielt, wird noch im Kostüm von der Vorstellung zu Stalin gebracht. Sagers Angst und Befürchtung legen sich zunächst, als Stalin ganz umgänglich und interessiert mit ihm ein Gespräch über den Lear beginnt und beide mit verteilten Rollen den Text deklamieren.“ Das Theaterstück wird weltweit mit großem Erfolg gespielt. Am Wiener Kreis Theater inszenierte es George Tabori, die Inszenierung wurde vom Fernsehen aufgezeichnet. In Karlsruhe inszeniert es Gaston Salvatore selbst. Stalin wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, u. a. ins Polnische und Russische.

1989 erschien das Drama Lektionen der Finsternis, das in Wiesbaden uraufgeführt wurde. Laut Autor, Interview in WELT, 2. Mai 1990, ein Stück, in dem „verschiedene Vorstellungen von Gerechtigkeit“ aufeinander prallen; während die tageszeitung (23. Mai 1990) von einem „zu gescheit und aufgeklärt vorgehenden ‚Thesenstück‘“ sprach. Eine kritische Aufnahme fand auch seine im November 1991 in Essen uraufgeführte Theaterarbeit King Kongo, die die Berliner Kongo-Konferenz von 1884/1885 und den Völkermord Zentralafrikas thematisierte. Das Vaudeville erschien 1991 im Suhrkamp Verlag.

Es folgte die Arbeit an den Stücken Benito Cereno, Der Kampf aus der Ferne, Die Heimsuchung und Hess, die 1998 in einem Sammelband im Suhrkamp Verlag erschienen sind. Das Stück Hess wurde 1998 in Weimar uraufgeführt. Gaston Salvatore sagte über das Stück: „Hess war kein verirrter Mitläufer. Er hatte den Führer nicht nur gesucht und gefunden, sondern ihn geradezu gemacht und sich schließlich seinem Geschöpf blindlings ergeben. ‚Give the good lines to the bad guys‘ lautet die Faustregel der Theatermacher.” Im Rahmen der Heidelberger Aufführung kam die Frage aus dem Publikum, warum sich Salvatore nicht mit der Figur von Salvador Allende beschäftigte. Dies war der Anlass für die Arbeit an dem Drama Allende. Es handelt sich um das erste Theaterstück, das Salvatore auf Spanisch verfasst hat. Im Jahre 2000 erschien die italienische Übersetzung von Franca Trentin und Paolo Vettore im Verlag Lisi. Der italienische Verlag Scheiwiller publizierte 2008 den Sammelband Drammi politici mit den Stücken Stalin, Hess, Allende und erstmals Monsieur Joseph. Das Drama Monsieur Joseph wurde 2003 in deutscher Sprache verfasst und ins Italienische und Französische übersetzt. Der italienische Kritiker Alfonso Berardinelli schreibt über Monsieur Joseph: „Die jüdischen Eigenschaften von Monsieur Joseph werden von rein kaufmännisch zu politisch, heroisch, humanitär, wie in einem akrobatischen Kartenspiel.“

Im Jahr 2007 entstand das Drama Feuerland, das am 14. November 2008 am Burgtheater in Wien uraufgeführt und im selben Jahr im Suhrkamp Verlag publiziert wurde. Zum Inhalt des Stücks: „Im Jahre 1831 vermißt Kapitän Robert FitzRoy die Küsten Südamerikas im Dienste der englischen Kriegsmarine. Mit an Bord ist der junge Charles Darwin, voller Neugier auf die unbekannte Welt, und auch drei Ureinwohner Feuerlands, die der Kapitän zurück in ihre Heimat bringt, nachdem er sie zuvor entführt hatte und in London ‘zivilisieren’ wollte. Darwin ist skeptisch: Er glaubt nicht an einen schnellen Erfolg der Erziehung. In der Kontroverse klingen Gedanken der Darwinschen Evolutionstheorie an. Jemmy Button, der vom Kapitän geschätzte Feuerländer, steht zwischen beiden als Anschauungsobjekt. Nachdem die Ureinwohner von Bord sind, bestätigt sich Darwins Einschätzung. Die englische Kleidung weicht sogleich Nacktheit und Kriegsbemalung. Als ein Missionar massakriert wird, deutet alles auf Jemmy Button als Täter. Jetzt muß auch FitzRoy einsehen, daß seine Einschätzung falsch war: Zur Zivilisation ist es ein langer Weg.“

Am 1. April 2009 fand im Naturkunde-Museum in Karlsruhe in Zusammenarbeit mit dem Badischen Staatstheater im Rahmen der Veranstaltungsreihe zum Darwin-Jahr eine szenische Lesung von Feuerland statt.

Kritiken

Zu Büchners Tod (1972) heißt es: „Salvatore benutzt in seinem Stück historisches Material, aber die Parallelen drängen sich auf. Geschichte wird zur Folie, die Gegenwart scheint durch“ (Suhrkamp Verlag). Die Kritik war gespalten. Hellmuth Karasek titulierte seine Rezension, die am 13. Oktober 1972 in der Zeit erschien, „Stirb und merde!“. Das ZDF zeichnete das Stück auf, es wird bis heute im ZDF-Theaterkanal gesendet.

Hans Magnus Enzensberger schreibt 1993 in seinem Vorwort zu Waldemar Müllers moralische Achterbahn. Ein Trailer: „Ein Ausländer natürlich! Das hat uns gerade noch gefehlt, daß es ein Ausländer ist, der uns den wahren Deutschen zeigt, und zwar auf deutsch. Denn Gaston Salvatore, der Geburt nach Chilene, dem Paß nach Italiener, wirkt seit gut zwanzig Jahren als ein deutscher Dichter, Dramatiker, Erzähler, Regisseur, Journalist. Statt daß er sich aber, wie andere literarische Immigranten, an die herkömmliche Rolle des Exilschriftstellers hielte, statt daß er sich damit begnügte, uns über die Missstände in seiner Heimat aufzuklären, hat er sich aber sonderbarerweise von Anfang an mit Deutschen befasst.“

In seiner Rede anlässlich der Verleihung des Kleist-Preises 1991 an Salvatore würdigte Enzensberger seinen Schriftstellerkollegen als einen Autor, dessen „Liebe zu den Deutschen“ wohl „im großen und ganzen unerwidert bleiben“ werde, und dessen „Entfernung, die ihn auszeichne, (…) durch keinen Erfolg zu überwinden“ sei.

Politisches Leben

Neben dem Studium engagierte sich Salvatore politisch und entwarf zusammen mit Rudi Dutschke und anderen die Strukturen, die schließlich zur Studentenbewegung in der Bundesrepublik führten. 1969 wurden Salvatore und Dutschke aus diesem Grund wegen schweren Landfriedensbruchs angeklagt, wobei der Prozess gegen Dutschke aufgrund des Attentats ausgesetzt wurde. Man verurteilte lediglich Gaston Salvatore zu neun Monaten Gefängnis ohne Bewährung. Am Tag dieser Verurteilung flüchtete Gaston Salvatore nach Italien, später nach London und nach Chile. Bei der Schlüsselübergabe zur Eröffnung des Hessischen Staatstheaters in Darmstadt am 7. Oktober 1972 wurde Gaston Salvatore in den neuen Räumen der Dramaturgie verhaftet, weil die Amnestie, die der damalige Bundeskanzler Willy Brandt für die verurteilten Mitglieder der Studentenbewegung erlassen hatte, nur für deutsche Staatsbürger galt. Salvatore schlug den Polizisten vor, den Bundespräsidenten Gustav Heinemann, der den Feierlichkeiten beiwohnte, persönlich zu diesem Zwischenfall zu befragen. Daraufhin erhielt Salvatore umgehend eine unbefristete Arbeitserlaubnis in Deutschland.

Preise und Auszeichnungen

Werke

  • Intellektuelle und Sozialismus, Wagenbach 1968
  • Der langwierige Weg in die Wohnung der Natascha Ungeheuer, 1971, Luchterhand
  • Büchners Tod, Theaterstück, 1972, Fischer
  • Wolfgang Neuss - Ein faltenreiches Kind, 1974, Fischer
  • Fossilien, Theaterstück, 1976, Suhrkamp
  • Freibrief, Theaterstück, 1977, Suhrkamp
  • Der Kaiser von China, 1980, Hanser
  • Tauroggen, Theaterstück, 1982, Suhrkamp
  • Waldemar Müller. Ein deutsches Schicksal, 1982, Eichborn
  • Stalin, Theaterstück, 1985, Suhrkamp
  • Lektionen der Finsternis, Theaterstück, 1989, Suhrkamp
  • King Kongo, Theaterstück, 1991, Suhrkamp
  • Hess, Theaterstück, 1991, Suhrkamp
  • Benito Cereno, Theaterstück, 1992, Suhrkamp
  • Der Kampf aus der Ferne, Theaterstück, 1992, Suhrkamp
  • Waldemar Müllers moralische Achterbahn. Ein Trailer, Eichborn Verlag, 1993
  • Der Bildstörer. Gaston Salvatore im Gespräch mit Daniel Cohn-Bendit. Edition q, Berlin 1994
  • Venedig, Ein Insiderlexikon, Beck-Verlag, München 1995.
  • Anleitungen zum Umgang mit schönen Frauen, Erzählungen, Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1997
  • Die Heimsuchung, Theaterstück, 1998, Suhrkamp
  • Allende, Theaterstück, 2000
  • Einladung zum Untergang, venezianische Hintertreppen, Picus Verlag, Wien 2000 (3. Aufl. 2006) [auch als Hörbuch]
  • Monsieur Joseph, Theaterstück, 2001
  • Feuerland, Theaterstück, 2008

Einzelnachweise

  1. Heinrich Heine im Alfa Romeo. In: Der Spiegel. Nr. 40, 1980 (online).

Weblinks


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