- Gebot der Rücksichtnahme
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Beim Gebot der Rücksichtnahme handelt es sich um einen durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsatz, nach dem die Vorschriften des öffentlichen Baurechts auszulegen sind. Besondere Bedeutung kommt dem Gebot der Rücksichtnahme in der Beurteilung der Zulässigkeit eines Vorhabens zu. So kann ein ansonsten zulässiges Vorhaben (zum Beispiel ein Vorhaben, das im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt und diesem entspricht) unzulässig sein, wenn von ihm im konkreten Fall unzumutbare Beeinträchtigungen ausgehen und die gebotene Rücksichtnahme nicht eingehalten wird. Damit lösen sich die Vorgaben des Baurechts bzw. der auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsnormen (allem voran die Bebauungspläne) aus ihrer starren Anwendung und erfahren eine gewisse Flexibilisierung in Hinblick auf den Einzelfall. Im Ergebnis sollen die verschiedenen Nutzungsarten in einer Weise einander zugeordnet werden, die auf die jeweils andere Grundstücksnutzung Rücksicht nimmt und so zu miteinander verträglichen Nutzungen kommt. Somit ist das Gebot der Rücksichtnahme also als feinsteuerendes Instrument im Baurecht zu begreifen.
Als besondere Ausprägung des Gebotes der Rücksichtnahme wird insbesondere der § 15 Baunutzungsverordnung (BauNVO). Er bestimmt, dass im Geltungsbereich eines Bebauungsplans ansonsten zulässiges Vorhaben unzulässig sind, wenn sie - nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebietes widersprechen oder - wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder dessen Umgebung unzumutbar sind oder - wenn sie sich solchen Belästigungen oder Störungen aussetzen.
Weiterhin sind aber auch die Vorschriften des § 34 Baugesetzbuch (BauGB, der die Zulässigkeit von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich (= im Zusammenhang bebauter Ortsteil, der nicht durch einen qualifizierten Bebauungsplan (§ 30 BauGB) überplant ist) sowie des § 35 BauGB, der gleiches für den Außenbereich regelt (= alles außerhalb des beplanten und unbeplanten Innenbereichs), nach dem Gebot der Rücksichtnahme auszulegen.
Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts handelt es sich bei dem richterrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme nicht um ein das gesamte Baurecht umfassendes eigenständiges Gebot, welches etwa weitergehende Anforderungen an die Zulässigkeit von Vorhaben zur Folge hat. Vielmehr komme ihm Status eines einfachrechtlichen Topos zu, mit dessen Hilfe die jeweiligen einfachrechtlichen Normen auszulegen seien. Insgesamt ist jedoch das Gebot der Rücksichtsnahme und insbesondere die Frage, in welcher Weise daraus für die jeweilige Norm Abwehransprüche resultieren im rechtswissenschaftlichen Literatur umstritten.
Eine herausragende Bedeutung erlangt das Gebot der Rücksichtnahme in baunachbarrechtlichen Streitigkeiten. Bei der Frage, ob der Nachbar des Adressaten eines begünstigenden Verwaltungsakts (in der Regel eine Baugenehmigung) klagebefugt ist, muss er substantiiert die Möglichkeit einer Verletzung eigener Rechte geltend machen. Dies wird ihm nur hinsichtlich sogenannter drittschützender Normen gelingen. Ob eine Rechtsnorm drittschützend ist, ergibt sich im Wege der Auslegung. Das Gebot der Rücksichtnahme ist hierbei von Gewicht, wenn der Kläger sich auf die Verletzung von Normen beruft, die grundsätzlich nicht drittschützend sind. Hier führt erst die Verknüpfung dieser Norm mit dem Gebot der Rücksichtnahme zum drittschützenden Charakter und somit zur Klagebefugnis des Nachbarn. Anerkannt ist diese Verknüpfung insbesondere bei § 35 Abs. III Nr.3 BauGB, § 34 Abs.I BauGB (hinsichtlich des Einfügens), § 31 Abs.II BauGB sowie bei § 30 I BauGB i.V.m. § 15 Abs.I S.2 BauNVO (bzgl der Art der baulichen Nutzung).
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