- Öffentliches Baurecht (Deutschland)
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Das öffentliche Baurecht ist in Deutschland ein Teilgebiet des besonderen Verwaltungsrechts und umfasst die Gesamtheit der Rechtsvorschriften, die die Zulässigkeit und die Grenzen, die Ordnung und die Förderung der baulichen Nutzung des Bodens, insbesondere durch Errichtung, bestimmungsgemäße Nutzung, wesentliche Veränderung und Beseitigung baulicher Anlagen, betreffen.[1] In Abgrenzung dazu regelt das private Baurecht den Interessenausgleich privater Grundstückseigentümer (zivilrechtliches Nachbarrecht) und umfasst darüber hinaus das Bauvertragsrecht.[2]
Das öffentliche Baurecht teilt sich in das Bauplanungsrecht und das Bauordnungsrecht. Die Unterscheidung wurde insbesondere aufgrund eines Rechtsgutachtens des Bundesverfassungsgerichtes geregelt (BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 1954 – 1 PBvV 9/92 -, BVerfGE 3, 407/430 ff. und 439.):[3] Während das Bauplanungsrecht Bundessache ist, liegt das Bauordnungsrecht in der Hand der Länder. Der Vollzug des öffentlichen Baurechts erfolgt durch die Bauaufsichtsbehörden.
Rechtsquellen
Bundesrecht
- Baugesetzbuch (BauGB)
- Baunutzungsverordnung (BauNVO)
- Immobilienwertermittlungsverordnung
- Planzeichenverordnung
Landesrecht
- Baden-Württemberg: Landesbauordnung für Baden-Württemberg (LBO BW)
- Bayern: Bayerische Bauordnung (BayBO)
- Berlin: Bauordnung für Berlin (BauOBln)
- Brandenburg: Brandenburgische Bauordnung (BbgBO)
- Bremen: Bremische Landesbauordnung (BremLBO)
- Hamburg: Hamburgische Bauordnung (HBauO)
- Hessen: Hessische Bauordnung (HBO)
- Mecklenburg-Vorpommern: Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern (LBauO MV)
- Niedersachsen: Niedersächsische Bauordnung (NBauO)
- Nordrhein-Westfalen: Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (BauO NRW)
- Rheinland-Pfalz: Landesbauordnung für Rheinland-Pfalz (LBauO RP)
- Saarland: Landesbauordnung für das Saarland (LBO SL)
- Sachsen: Sächsische Bauordnung (SächsBO)
- Sachsen-Anhalt: Bauordnung Sachsen-Anhalt (BauO LSA)
- Schleswig-Holstein: Landesbauordnung Schleswig-Holstein (LBO SH)
- Thüringen: Thüringer Bauordnung (ThürBO)
Satzungen und Verordnungen der Gemeinden
Daneben bestehen zahlreich Satzungen und Verordnungen der Gemeinden, die vor allem auf Grundlage des Baugesetzbuches aber auch der Landesbauordnungen erlassen werden.[4]
Rechtsgeschichte des öffentlichen Baurechts
Solange es Städtebau gibt, gibt es auch städtebaurechtliche Regelungen. Erst das 19. Jahrhundert brachte in Deutschland aber ein eigenständiges städtebauliches Regelwerk hervor, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Kodifizierung auf Landesebene führte.
Geschichte des öffentlichen Baurechts bis 1933
Preußen
In Preußen bestanden zu dieser Zeit zwei große Rechtskulturen: In den westlichen Gebieten galt der französische Code Napoléon und die Bürgermeisterverfassung der Städteordnung von 1856. In den sog. alten Provinzen galt das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 und die Magistratsverfassung nach der Städteordnung von 1853. Das sog. Baupolizeirecht speiste sich aus Ortsrecht und in den Gebieten östliche der Elbe aus den §§ 65 ff. I 8 ALR (Einschränkungen des Eigenthümers bey dem Bauen).[5] § 65 I 8 ALR lautete wie folgt:
In der Regel ist jeder Eigenthümer seinen Grund und Boden mit Gebäuden zu besetzen oder sein Gebäude zu verändern wohl befugt.
Der hieraus fließende Grundsatz der Baufreiheit, war allerdings durch nachfolgende Vorschriften wieder beschnitten, besonders durch § 66 I 8 ALR der wie folgte lautete:
Doch soll zum Schaden oder zur Unsicherheit des gemeinen Wesens, oder zur Verunstaltung der Städte und öffentlichen Plätze, kein Bau und keine Veränderung vorgenommen werden.
Das Preußische Oberverwaltungsgericht setzte dieser Einschränkung jedoch schon dadurch Grenzen, dass sie einschränkend nur zur Gefahrenabwehr greife (vgl. PrOVG 9, 380; 24, 340). Auf Grundlage dieser Vorschrift ergingen auch die Vorschriften zur Abgrenzung von Straßen und Plätzen von sonstigen Flächen durch Fluchtlinien. Die Gemeinden hatten hierbei bis zum Erlass des Preußischen Ministers für Handel vom 12. Mai 1855 (PrMinBl. S. 100) keine Mitwirkungsrechte. Bebauungspläne waren insgesamt also nicht mehr als die schriftliche Niederlegung von Fluchtlinien für ein bestimmtes Gebiet.[6]
Trotz mehrerer vorhergehender Versuche (Entwurf einer Wegeordnung von 1865, HerrenH Drucks. 11; Entwurf eines Gesetzes betr. die Bauten in Städten und Dörfern von 1866, HerrenH Drucks. 11) gelang erst mit dem Gesetz betr. die Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften vom 2. Juli 1875) eine gesetzliche Regelung des Fluchtlinienrechts und der Entschädigungsproblematik. Wesentliches Motiv für seine Schaffung war, die nach dem Krieg von 1870/1871 wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gemeinden zu bekämpfen: Erstmals war ihnen nun das Recht übertragen, selbständig Fluchtlinien festzusetzen und der Entschädigungsanspruch Privater auf ein erträgliches Maß begrenzt.[7]
Im Rückblick konnte das Gesetz den überspannten Erwartungen nicht gerecht werden, es sei „der Keim zur lebensunfähigen Klumpentwicklung unserer Großstädte geworden.“ Das Gesetz ließ auch die Einheit von Grundriss und Aufriss völlig außer Acht: Das Fluchtlinienrecht war Sache der Gemeinden, das Baupolizeirecht aber eine eigenständige Rechtsmaterie in Händen der Baupolizei, was dazu führte, dass in Ermangelung rechtlicher Möglichkeiten einzuschreiten die Grundstücke in der Tiefe stark bebaut wurden. Das Fehlen eines Umlegungsrechts zwang Private dazu, Bauparzellen oft zu hohen Preisen zusammenzukaufen, um die Grundstücke entsprechend den vorgegebenen Fluchtlinien bebauen zu können. Der Zwischenhandel von Grundstücken durch Terraingesellschaften, die große Gebiete aufkauften und die durch die neue Parzellierung im Wert gesteigerten Grundstücke mit Gewinn weiterzuverkaufen, blühte.[8] Ein erster Entwurf zur Schaffung eines Umlegungsrechts durch den Frankfurter Oberbürgermeister Franz Adickes von 1892 blieb im Herrenhaus über Jahre in Beratungsgremien stecken und konnte erst am 28. Juli 1902 (GS. S. 273) als Gesetz betr. die Umlegung von Grundstücken in Frankfurt/M., auch als lex Adickes bezeichnet, erlassen werden.[9]
Das Bundesbaugesetz von 1960
Im Jahre 1950 begannen die Vorbereitungen einer bundesweit einheitlichen Regelung des Baurechts für die neugegründete Bundesrepublik. Im Bundesministerium für Wohnungsbau entstand so bis Herbst 1950 der Entwurf zu einem Baugesetz für die Bundesrepublik Deutschland, der sich weitgehend an den Vorarbeiten Wilhelm Dittus' und Ludwig Wambsganz' orientierte.
Der Bebauungsplan
Rechtsgrundlage
Rechtsgrundlage für die Aufstellung eines Bebauungsplanes ist Art. 28 Abs. 2 GG iVm § 1 Abs. 3 BauGB, § 2 Abs. 1 BauGB und § 10 Abs. 1 BauGB
Formelle Rechtmäßigkeit
§ 2 Abs. 3 BauGB als „formelle Seite der Abwägung“?
§ 2 Abs. 3 BauGB hat der Gesetzgeber in Anlehnung an europarechtliche Vorgaben (Plan-UP- und Plan-UVP‑Richtlinien) als „Verfahrensgrundnorm“[10] gestaltet. Nach seiner Vorstellung sollen hier diejenigen Belange ermittelt und bewertet werden, die für die spätere (materielle) Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB von Belang sind. Das herrschende Schrifttum bemängelt die verfahrensrechtliche Einordnung: Ein „Ermitteln und Bewerten“ sei seiner Natur nach ein materiell-rechtlicher Vorgang. Eine verfahrensrechtliche Einordnung schaffe eine unnötige und künstliche Aufspaltung des Abwägungsvorganges. So soll nach Vorstellung des Gesetzgebers ein Ermittlungsdefizit wohl unter § 2 Abs. 3 BauGB fallen, Bewertungsmängel aber unter § 1 Abs. 7 BauGB.[11]
Unbeachtlichkeit von Fehlern (§ 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB)
Abwägungsfehler bei der Entstehung des Bebauungsplanes führen nicht zwingend zu dessen Nichtigkeit. Nach § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB sind Abwägungsmängel nach § 2 Abs. 3 BauGB nur beachtlich, wenn
- in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet wurde,
- der Mangel offensichtlich ist und
- das Abwägungsergebnis beeinflusst hat.
Materielle Rechtmäßigkeit
Erforderlichkeit (Planrechtfertigung)
Nach § 1 Abs. 3 BauGB muss der Erlass eines Bebauungsplanes gerechtfertigt sein. Gleichzeitig besteht aber auch eine Planaufstellungspflicht, soweit dies die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erfordert. Ein Ermessen besteht folglich nicht. Beim Merkmal der Erforderlichkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der jedoch nur bedingt justiziabel ist. Dies liegt an der verfassungsrechtlich garantierten Planungshoheit der Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG). Die Erforderlichkeit des Bebauungsplanes entfällt beispielsweise, wenn
- überhaupt kein städtebauliches Ziel verfolgt wird,
- die Bauleitplanung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht vollzugsfähig ist,
- er offensichtlich überflüssig ist,
- er reine Gefälligkeitsplanung ist und nur dazu dient § 1 Abs. 1 BauGB unbekannte (private) Zwecke zu verfolgen,
- er in angemessener Zeit keinerlei Aussicht auf Verwirklichung hat.
Wenn die Erforderlichkeit fehlt, ist der Bebauungsplan regelmäßig nichtig.
Interkommunales Abstimmungsgebot (§ 2 Abs. 2 BauGB)
Die Bauleitpläne der Gemeinden sollen die Interessen der Nachbargemeinden nicht belasten. Deshalb sind deren Interessen im Rahmen der Abwägung des § 1 Abs. 7 BauGB zu beachten. Benachbart ist hierbei nicht nur im räumlichen Sinne zu verstehen. Eine Gemeinde ist auch dann benachbart, wenn sie von den Auswirkungen der Planung betroffen ist. Eine Abstimmung ist immer dann vorzunehmen, wenn von der Umsetzung des Bebauungsplanes unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art auf die städtebauliche Ordnung oder Entwicklung der Nachbargemeinde ausgehen.
Sicherung der Bauleitplanung
Wenn die Gemeinde den Beschluss gefasst hat, einen Bebauungsplan zu erlassen, kann sie zu dessen Sicherung eine Veränderungssperre nach § 14 BauGB erlassen. Vorhaben dürfen dann nicht mehr durchgeführt und bauliche Anlagen nicht mehr beseitigt werden. Eine Veränderungssperre muss der Sicherung einer hinreichend konkreten Planungsabsicht dienen und ihre Festsetzungen müssen das Ergebnis einer gerechten Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) sein können. Einige Vorhaben werden aus Gründen des Bestandsschutzes von § 14 Abs. 3 BauGB jedoch ausgenommen.
Eine Veränderungssperre gilt grundsätzlich bis zum Ablauf von zwei Jahren (§ 17 Abs. 1 BauGB). Beim Wegfall ihrer Voraussetzungen hat die Gemeinde sie als Satzung formell außer Kraft zu setzen (§ 17 Abs. 4 BauGB). Sie tritt nach Abs. 5 in jedem Fall außer Kraft, wenn sie funktionslos geworden ist. Eine Veränderungssperre bedarf also der fortlaufenden Rechtfertigung durch das Planungsziel. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts tritt sie auch dann außer Kraft, wenn der Bebauungsplan nach § 47 VwGO für nichtig erklärt wurde.[12]
Rechtsschutz gegen Bebauungspläne
Bebauungspläne können auf zwei Arten vor den Verwaltungsgericht angegriffen werden: Inzident im Rahmen einer Anfechtungsklage, einer Leistungsklage, einer Feststellungsklage oder einer Verpflichtungsklage. Daneben besteht mit § 47 VwGO die Möglichkeit der prinzipalen Normenkontrolle.
Antragsberechtigung hat nach § 47 Abs. 2 VwGO jede Behörde, aber auch jede natürliche oder juristische Person. Letztere müssen geltend machen in Rechten betroffen zu sein. Dies gilt natürlich hauptsächlich für Planunterworfene. Nach der Änderung des Paragraphen 1997 (vorher war lediglich ein „Nachteil“ statt Rechtsbetroffenheit verlangt) war kurzzeitig im Schrifttum umstritten, ob auch das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB Antragsbefugnis vermitteln kann. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies dem Schrifttum folgend bejaht und § 1 Abs. 7 BauGB somit drittschützende Wirkung zugesprochen.[13] In der Praxis betrifft dies vor allem Rechtsschutzsuchende, die außerhalb des Plangebietes siedeln.[14]
Die Antragsbefugnis kann nach § 47 Abs. 2a VwGO iVm § 3 Abs. 2 S. 2. Hs. 2 BauGB deshalb wegfallen, wenn der Betroffene im Aufstellungsverfahren keine Einwendungen erhoben hat.[15]
Prüfungsmaßstab ist die „Gültigkeit“ des Bebauungsplanes, d.h. eine objektive Prüfung. Maßgeblicher Zeitpunkt ist die Beschlussfassung (§ 214 Abs. 3 S. 1 BauGB.
Die Zulässigkeit von Vorhaben
Das Grundgesetz gewährt im Rahmen der verfassungsrechtliche Gewährleistung des Eigentums durch Art. 14 auch die Baufreiheit. Da Inhalt und Schranken des Eigentums einem einfachen Gesetzesvorbehalt unterliegen, ist auch die Baufreiheit nicht unbeschränkt: Zur vorbeugenden Kontrolle auf Rechtmäßigkeit müssen deshalb bauliche Anlagen ab einer gewissen Größe genehmigt werden. Man nennt dies ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Wenn aber die Voraussetzungen der Gesetze erfüllt sind besteht ein Anspruch auf die Genehmigung des Vorhabens.[16]
Das Bauplanungsrecht gibt flächenbezogen Auskunft über die Zulässigkeit eines Vorhabens. Hier sind besonders die Voraussetzungen der §§ 29 bis 25 BauGB zu beachten. Diese unterscheiden zwischen drei Bereichen:
- der qualifiziert beplante Innenbereich (§ 30 Abs. 1 BauGB)
- der unbeplante Innenbereich (§ 34 BauGB)
- der Außenbereich.
Begriff der baulichen Anlage (§ 29 BauGB)
Der sachliche Anwendungsbereich der §§ 29 bis 37 BauGB ist dann eröffnet, wenn eine bauliche Anlage iSv § 29 BauGB vorliegt. Die bauliche Anlage ist im BauGB nicht definiert. Zwar enthalten die Bauordnungen der Länder regelmäßig eine solche Definition[17] die für das Baugesetzbuch als Bundesrecht jedoch nicht verbindlich ist. Eine bauliche Anlage im Sinne des Bauplanungsrechts ist nicht zwingend eine bauliche Anlage im Sinne des Bauordnungsrechts, da beide unterschiedliche Ziele verfolgen. Im Sinne des Bauplanungsrechts ist eine Anlage erfasst, wenn sie eine bodenrechtliche bzw. städtebauliche Relevanz aufweist.
Vorhaben im Planbereich (§ 30, § 31 BauGB)
Im Planbereich, d.h. in Gebieten für die ein qualifizierter Bebauungsplan vorliegt, richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben allein nach dem Bebauungsplan.
Da auch der Bebauungsplan nicht alle Eventualitäten erfassen kann, gibt es mit Ausnahme und Befreiung nach § 31 BauGB die Möglichkeit, Einzelfallgerechtigkeit zu verwirklichen. Die Ausnahme ist bereits im Bebauungsplan selbst angelegt (planimmanent). Die Befreiung weicht hingegen vom Bebauungsplan ab. Deshalb gelten für sie strengere Voraussetzungen: Dies können Gründe des Allgemeinwohls, städtebauliche Vertretbarkeit, nichtbeabsichtigte Härte oder Vereinbarkeit mit öffentlichen Belangen sein. Eine Abweichung ist städtebaulich vertretbar, wenn unter Beachtung von § 1 Abs. 6 und 7 BauGB das Vorhaben im Bebauungsplan hätte zulässig festgesetzt werden können und hierbei die Grundzüge der Planung nicht angetastet werden.
Vorhaben im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB)
Wie der Planbereich ist auch der unbeplante Innenbereich grundsätzlich zur Bebauung vorgesehen. In der verwaltungsrechtlichen Praxis ist besonders der räumliche Anwendungsbereich des § 34 BauGB oftmals streitig. Nach dem Wortlaut der Norm ist der unbeplante Innenbereich einerseits vom Außenbereich andererseits zum Planbereich abzugrenzen. Dünnt sich die Bebauung zum Ortsrand hin allmählich aus, ist oft nicht auf den ersten Blick festzustellen, ob ein Vorhaben dem unbeplanten Innenbereich oder dem Außenbereich angehört. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts[18] ist unter Ortsteil im Sinne von § 34 BauGB jeder Bebauungskomplex im Gebiet der Gemeinde zu verstehen, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist.
Vorhaben im Außenbereich (§ 35 BauGB)
Im Außenbereich sind Vorhaben grundsätzlich unzulässig. § 35 Abs. 1 BauGB normiert jedoch sieben Privilegierungstatbestände. Im Einzelfall „können“ nach Abs. 2 auch nicht-privilegierte Vorhaben zugelassen werden, wenn durch ihre Ausführung und Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt werden und die Erschließung gesichert ist. Der Wortlaut „können“ der Vorschrift lässt zwar eigentlich auf eine Ermessensvorschrift des Behörde schließen. Die Wertung des Art. 14 GG lässt nach hM jedoch nur eine einzige Entscheidung zu: Die Ermessensreduzierung auf Null führt dazu, dass „können zugelassen werden“ als „sind zuzulassen“ gelesen werden muss.
Instrumente des Bauordnungsrechts
Das Bauordnungsrecht im Landesrecht. Nach der Schaffung Musterbauordnung sind diese in den Bundesländern allerdings in den systematischen Grundlinien ähnlich. Das Bauordnungsrecht ist besonderes Sicherheitsrecht. Man kann seine Maßnahmen in präventive (Bsp: Baugenehmigung) und repressive (Bsp: Baueinstellung) Befugnisse unterteilen.
Vorbescheid
Um für den Bauherrn die Risiken der kostenintensiven Planung eines Vorhabens zu verringern, kennen die Bauordnungen das Instrument des Bauvorbescheids. Dieser ist ein eigenständiger Verwaltungsakt, nicht bloß eine Zusicherung iSv § 38 VwVfG,[19] der verbindlich festlegt, dass das Bauvorhaben nicht aus Gründen versagt werden kann, die im Vorbescheid bereits geprüft wurden. Der Baubeginn wird damit zwar noch nicht gestattet, seine Regelungswirkung liegt indessen darin, dass er ein „Ausschnitt aus dem feststellenden (und nicht aus dem verfügenden) Teil der Baugenehmigung“[20] ist.
Baubeseitigung
Als repressive Maßnahme erlauben die Landesbauordnungen den Erlass einer Baubeseitigungsverfügung.
Ein besonderes Problem stellt sich dann, wenn sich durch die Änderung von äußeren oder rechtlichen Umständen die baurechtliche Beurteilung einer Anlage ändert. Es erschiene mit Art. 14 GG nicht vereinbar, Anlagen, die in der Vergangenheit formell und materiell rechtmäßig errichtet wurden oder bestanden, deshalb beseitigen zu können, weil sich die Umstände geändert haben. Sog. passiver Bestandsschutz wird immer dann gewährt, wenn die Anlage durch eine bestandskräftige Baugenehmigung gedeckt ist (formeller Bestandsschutz). Materieller Bestandsschutz kann sich dann ergeben, wenn eine Anlage in der Vergangenheit nicht genehmigt oder nicht genehmigungsbedürftig war.
Nachbarschutz im Öffentlichen Baurecht
Eine typische verwaltungsrechtliche Dreieckskonstellation ergibt sich, wenn dem Bauherrn eine Baugenehmigung erteilt wurde, durch die sich dessen Nachbar in seinen Rechten verletzt fühlt. Es liegt ein für den Bauherrn begünstigender Verwaltungsakt mit belastender Drittwirkung vor. In diesem Fall will der Nachbar durch einen Widerspruch oder eine Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht dafür sorgen, dass die Baugenehmigung zurückgenommen wird. Zu beachten ist hier, dass der Widerspruch nach § 212a BauGB ausnahmsweise keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Damit soll verhindert werden, dass der Nachbar aus bloßer Schikane ein Bauprojekt seines Nachbarn aufhalten kann. Um sein Ziel dennoch zu erreichen, muss der Nachbar durch einstweiligen Rechtsschutz nach § 80a Abs. 3 S. 2 iVm § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 1 VwGO einen Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung stellen.
Begriff des Nachbarn
Nach Auffassung der Rechtsprechung ist das Öffentliche Baurecht grundstücksbezogen. Hieraus ergibt sich, dass Nachbar nur sein kann, wer Eigentum an einem Grundstück hat oder in ähnlicher Weise berechtigt ist. Mieter und Pächter genügen den Anforderungen hieran nicht und sind deshalb nicht klagebefugt iSd § 42 Abs. 2 VwGO.[21] Der Nachbarbegriff des Öffentlichen Baurechts erschöpft sich jedoch nicht darin, bloß die Grundstücksnachbarn zu schützen. Nachbarrechtlichen Schutz genießt jeder, der als Eigentümer im Einwirkungsbereich einer baulichen Anlage ist.
Antragsbefugnis
Soll die Klage des Nachbarn zulässig sein, muss er geltend machen, in seinen Rechten verletzt zu sein. Eine Verletzung darf nach der Möglichkeitstheorie nicht in jeder Hinsicht ausgeschlossen sein. Ob eine Norm drittschützend ist, entscheidet sich nach der Schutznormtheorie: Die Norm darf nicht nur die Interessen der Allgemeinheit schützen, sondern muss zumindest auch den Individualinteressen des Klägers zu dienen bestimmt sein.
Drittschützende Normen können sowohl dem Bauplanungsrecht als auch dem Bauordnungsrecht entstammen.
Verwirkung des Nachbarschutzes
Der Nachbar kann den Schutz der Rechtsordnung nicht unbegrenzt verlangen. Hat er seine Unterschrift unter die Baupläne geleistet, auf seine Rechte verzichtet oder eine zivilrechtliche Vereinbarung getroffen, wäre es unter dem Aspekt von Treu und Glauben nicht hinnehmbar, wenn ihm die Gericht trotz seines Vorverhaltens Rechtsschutz gewährten. Die Verzichtserklärung ist nach herrschender Meinung analog § 130 BGB zu behandeln und nur widerruflich bis sie der Behörde zugegangen ist. Sie kann aber noch nach § 119 BGB angefochten werden. Nach anderer Ansicht ist der Verzicht nach § 183 BGB bis zur Genehmigung des Vorhabens bedingt und deshalb bis dahin frei widerruflich.
In der gerichtlichen Praxis waren vor allem auch Fälle relevant, bei denen der klagende Nachbar (etwa Naturschutzvereine) ein sog. Sperrgrundstück allein deshalb erworben hatte, weil er so als Nachbar gegen ein Bauvorhaben vorgehen konnte. Streitig war in Literatur und Rechtsprechung allerdings der Grund, warum der Rechtsschutz zu versagen war: Die herrschende Literatur hielt solche Klagen bereits für unzulässig mangels Klagebefugnis oder mangels Rechtsschutzbedürfnis. Das Bundesverwaltungsgericht hat demgegenüber lange Zeit herausgestellt, dass das Eigentum an einem Grundstück ungeachtet der Motive des Erwerbs für die Klagebefunis ausreiche. Mittlerweile ist allerdings dazu übergegangen, dass die Klage als unbegründet abgewiesen werden könne, weil sie rechtsmissbräuchlich sei.
Verpflichtungsrechtsbehelfe
Das Verpflichtungsbegehren des Nachbarn besteht typischerweise in folgenden Situationen:
- Der Bauherr beginnt mit dem Bau eines genehmigungspflichtigen Vorhabens, obwohl keine Baugenehmigung vorliegt (Schwarzbau). Der Nachbar möchte dies verhindern.
- Der Bauherr eines genehmigungspflichtigen Vorhabens hatte ursprünglich eine Baugenehmigung, die später aufgehoben wurde (etwa wegen Anfechtung durch den Nachbarn). Der Bauherr schafft dennoch Fakten und führt den Bau fort. Der Nachbar will den Bau stoppen.
- Der Bauherr eines genehmigungsfreien Vorhabens (Freistellungsverfahren, Anzeigeverfahren, Kenntnisgabeverfahren) beginnt mit dem Bau. Der Nachbar möchte dies verhindern.
Eine besondere Problematik stellt sich im Falle eines genehmigungsfreien Vorhabens: Hier besteht gerade kein anfechtbarer Verwaltungsakt für den Nachbarn. Beim Freistellungsverfahren muss der Bau ja nur angezeigt werden. Drittschützende Normen werden nicht geprüft. Einzige Möglichkeit des Nachbarn auf Rechtsschutz ist von vornherein der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO. Der Nachbar hat dann ein drittschützendes Recht geltend zu machen. Ein solches gerinnt aber nur dann zu einem Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten, wenn auch das Ermessen der Behörde auf Null reduziert ist. Eine Ermessensreduzierung auf Null nimmt die Rechtsprechung hier schon dann an, wenn die Belange des Nachbarn „mehr als nur geringfügig“ berührt werden.[22] Grund hierfür ist, dass bei der normalerweise üblichen Genehmigungspflicht eine Anfechtung der Genehmigung schon bei einem einfachen Verstoß möglich wäre. Das Freistellungsverfahren soll aber nicht den nachbarrechtlichen Schutz einschränken, sondern dient nur den Verfahrensvereinfachung für den Bauherrn. Nach einer Mindermeinung besteht aber auch in diesem Fall keine Ermessensreduzierung auf Null: Dem Nachbarn stehe ja der Zivilrechtsweg offen, was der Deregulierung diene.
Literatur
Rechtsgeschichte
- Andrea Garrelmann: Die Entwicklung des Bauordnungsrechts. Arbeitsweisen der Landesgesetzgeber und wichtige Reformströmungen. Eine länderübergreifende Darstellung von Wirkungsweisen der Ländergesetzgebung. Lang, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-631-59569-5.
- Michael Krautzberger: 50 Jahre Städtebaurecht des Bundes. in NVwZ 2010, 729.
Kommentare zum Baugesetzbuch
- Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger: Baugesetzbuch. Kommentar. 5 Bände. Beck, München 2010.
- Ulrich Battis, Michael Krautzberger, Rolf-Peter Löhr: Baugesetzbuch. 11. Auflage, C.H. Beck, München 2009, ISBN 978-3406583834
- Bunzel, Finkeldei, Engel: Baurecht. Bauplanungsrecht: BauGB - Raumordnung - Baunutzungsverordnung. Carl Link 2006, ISBN 978-3-556-60120-4
- Otto Schlichter und Hans-Joachim Driehaus (Hrsgb.): Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch. 3. Aufl., Heymann, Köln/München 2010, ISBN 978-3-452-24244-0
- Schrödter: Baugesetzbuch. 7. Auflage, Vahlen 2006, ISBN 978-3-8006-3176-6
- Willy Spannowsky, Michael Uechtritz: Beck'scher Online-Kommentar Öffentliches Baurecht. 14. Auflage, Beck, München 2011.
Kommentare zum Landesrecht
- Dieter Wilke, Hans-Jürgen Dageförde, Andreas Knuth, Thomas Meyer, Cornelia Broy-Bülow: Bauordnung für Berlin. Kommentar. 6. Auflage, Vieweg+Teubner, 2007, ISBN 978-3528125509
- Dittmar Hahn, Marita Radeisen: Bauordnung für Berlin. Handkommentar. 4. Auflage, Rehm, Heidelberg 2007, ISBN 978-3807322162
Lehr- und Lernbücher
- Winfried Brohm: Öffentliches Baurecht. 3. Auflage, C.H. Beck, München 2008, ISBN 978-3406484148
- Erbguth: Öffentliches Baurecht. 5. Auflage, C.H. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-59086-3
- Finkelnburg, Ortloff, Otto: Öffentliches Baurecht. Öffentliches Baurecht II, C.H. Beck, München 2010, ISBN 978-3-406-60011-1
- Werner Hoppe, Christian Bönker, Susan Grotefels: Öffentliches Baurecht: Bauplanungsrecht mit seinen Bezügen zum Raumordnungsrecht, Bauordnungsrecht, Rechtsstand. 4. Auflage, Beck, München 2010, ISBN 978-3406591631
- Hoppenberg, de Witt: Handbuch des Öffentlichen Baurechts. 29. Auflage (Loseblatt), C.H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-34517-3
- Martin Ibler: Öffentliches Baurecht. C.H. Beck, München 2006, ISBN 978-3-406-54300-5
- Stefan Muckel: Öffentliches Baurecht. 1. Auflage, C.H. Beck, München 2010, ISBN 978-3406606045
- Franz-Josef Peine: Öffentliches Baurecht. 4. Auflage, Mohr Siebeck, Tübingen 2003, ISBN 978-3-16-148021-8
- Frank Stollmann: Öffentliches Baurecht. 7. Auflage 2010, C.H. Beck, München 2010, ISBN 978-3-406-61080-6
- Bernhard Stüer: Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts. Planung - Genehmigung - Rechtsschutz. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-56661-5
Zeitschriften
- baurecht - Zeitschrift für privates und öffentliches Baurecht, Werner-Verlag, Düsseldorf
- Baurechtsexperte - Fachzeitschrift für Baurecht und Immobilienrecht - Link zu Baurechtsexperte online
- IBR Immobilien und Baurecht, id Verlag Mannheim - Link zu IBR Online
- NZBau - Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht, Beck Verlag München
- ZfBR - Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht, Bauverlag Gütersloh
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr: Baugesetzbuch. Einleitung Rn. 3
- ↑ Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr: Baugesetzbuch. Einleitung Rn. 2
- ↑ Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr: Baugesetzbuch. Einleitung Rn. 10
- ↑ Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr: Baugesetzbuch. Einleitung Rn. 8
- ↑ Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger: BauGB, Rn. 3-4.
- ↑ Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger: BauGB, Rn. 5.
- ↑ Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger: BauGB, Rn. 7.
- ↑ Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger: BauGB, Rn. 7.
- ↑ Krautzberger in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger: BauGB, Rn. 8.
- ↑ BT-Drs. 15/2250, S. 42
- ↑ Vgl. zum Ganzen Berkemann in: Berkemann/Halama, § 2, Rn. 64 f.; Erbguth in JZ 2006, 484/492; Uechtritz in ZfBR 2005, 11; Pieper in Jura 2006, 817; Hoppe in FS Rengeling, 2008, S. 263/265; Kraft in NVwZ 2007, 304.
- ↑ BVerwG NVwZ 1990, 656
- ↑ BVerwG, DVBl. 1999, 100 ff.
- ↑ Vgl. zum Ganzen Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner: VwGO. § 47 Rn. 61-66.
- ↑ Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB § 3 Rn. 36 und 50a. AA offenbar Manssen in Öffentliches Recht in Bayern. 4. Teil Rn. 281.
- ↑ Man vergleiche nur die Formulierung „ist zu erteilen“ in den jeweiligen Bauordnungen der Länder: § 72 MBO; BaWü: §§ 58 f. LBO; Bay: Art. 68 BayBO; Berl: § 71 BauO Bln; Brand: §§ 67 f. BbgBO; Brem: § 74 BremLBO; HH: §§ 72 f. HBauO; Hess: §§ 64 f. HBO; MV: § 72 LBauO M-V; Ndsa: §§ 75, 78 NBauO; NRW: § 75 BauO NRW; RLP: §§ 70, 77 LBauO; Saar: § 73 LBO; Sachs: § 72 SächsBO; SachsAnh: § 71 BauO LSA; SchlHolst: § 73 LBO; Thür: § 70 ThürBO.
- ↑ Bauliche Anlagen sind solche Anlagen, die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden und mit Baustoffen und Bauteilen errichtet sind.
- ↑ BVerwG NVwZ 2001, 70.
- ↑ Vgl. zum Streitstand Finkelnburg/Ortloff: Öffentliches Baurecht II. S. 161 ff.
- ↑ BVerwGE 48, 242 ff.
- ↑ BVerwG NVwZ 1998, 956.
- ↑ VGH Mannheim NVwZ 1997, 923.
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