Gefahrtarif

Gefahrtarif

Der Gefahrtarif ist eine Satzung einer gewerblichen Berufsgenossenschaft. Sie dient zur Berechnung des Beitrags für einzelne Unternehmen, für die die Berufsgenossenschaft zuständig ist.

Inhaltsverzeichnis

Zweck des Gefahrtarifs

Die Bemessung des Beitrags zur Unfallversicherung nach der Unfallgefahr anhand des Gefahrtarifs dient zur Prävention von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Sie soll diejenigen Unternehmer begünstigen, die langfristig für möglichst wenig gefährliche Arbeitsbedingungen sorgen. Über eine Begünstigung beim Beitrag kann der Präventionsgedanke in die unternehmerische Kalkulation einfließen und sich auch so für den Unternehmer "lohnen", der ansonsten durch die Unfallversicherung von seiner Haftung im Arbeitsverhältnis freigestellt ist.[1]

Rechtsnatur, Festsetzung und Geltungsdauer des Gefahrtarifs

Der Gefahrtarif wird von der Vertreterversammlung der Berufsgenossenschaft als autonomes Satzungsrecht beschlossen. Der Beschluss wird in der Praxis von der Verwaltung der Berufsgenossenschaft vorbereitet.

Der Gefahrtarif selbst und jede Änderung bedürfen der Genehmigung der Aufsichtsbehörde, dem Bundesversicherungsamt (§ 158 I SGB VII).

Wird der Gefahrtarif nicht rechtzeitig alle sechs Jahre neu festgesetzt (Geltungshöchstdauer nach § 157 V SGB VII), so stellt ihn die Aufsichtsbehörde in Ersatzvornahme auf (§§ 158 II SGB VII, 89 SGB IV).

Gliederung des Gefahrtarifs

Er wird gemeinhin in zwei Teile gegliedert[2]:

  • Teil I enthält in tabellarischer Form einen Überblick über die Gewerbezweige, für die die Berufsgenossenschaft zuständig ist, und die Gefahrklassen, die ihnen jeweils zugewiesen ist,
  • während Teil II besondere Bestimmungen für das Veranlagungsverfahren trifft.

Ein Beispiel für Teil I des Gefahrtarifs der Zucker-Berufsgenossenschaft, der ab dem 1. Januar 1999 in Kraft war[3]:

Gefahrtarifstellen Gewerbezweige Gefahrklassen
1 Zuckerfabriken, Zuckerraffinerien 5,0
2 Herstellung von Kandis, Sirup, Kunsthonig und ähnlichem ohne Vorderbetrieb sowie Herstellung von Instantzucker 5,0
3 kaufmännischer und verwaltender Teil der Unternehmen 0,8

Tarifstellen

Die Tarifstellen fassen die Unternehmer zu Gefahrengemeinschaften zusammen (§ 157 II 1 SGB VII). Diese Unternehmer haben ähnliche Unfalllasten. Andererseits spielen versicherungsmathematische Gesichtspunkte eine Rolle: Die Unfallgefahr muss sich in einer Tarifstelle zufällig verteilen, sonst kommt es nicht zu dem "versicherungsmäßigen Risikoausgleich", den das Gesetz fordert. So wird das Versicherungsprinzip bei der Finanzierung der Unfallversicherung umgesetzt.

Gefahrklassen

In den Gefahrklassen kommt die unterschiedliche Unfallbelastung der jeweiligen Branche und Tätigkeit im Verhältnis zu den anderen Gewerbezweigen zum Ausdruck. Die Gefahrklassen bestimmen neben dem Umlagesoll und der Lohnsumme die Höhe der Beiträge zur Unfallversicherung.

Die Gefahrklassen werden gem. § 157 III SGB VII "aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten berechnet". Andere Möglichkeiten ihres Zustandekommens (Aushandeln zwischen Unternehmern und Versichertenvertretern in der Vertretersammlung; vergleichsweise Einigung in einem Verwaltungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren und dergleichen) sind deshalb ausgeschlossen.

In die Berechnung sollen möglichst aktuelle Daten einfließen (Neulasttarif), die Gewichtung von Neu- zu Altlasten liegt aber im Ermessen der Vertreterversammlung.[4]

Rechtsschutz gegen den Gefahrtarif

Grundsätze

Gegen die Festsetzungen des Gefahrtarifs kann der Unternehmer nur indirekt vorgehen, indem er sich gegen den Veranlagungs- oder gegen den Beitragsbescheid wendet. Beide Bescheide werden auf den Gefahrtarif gestützt.

Das Sozialgericht kann den Gefahrtarif als materielles Gesetz bei der Prüfung der Bescheide verwerfen. Dies jedoch nur hinsichtlich derjenigen Tarifstellen, die für den Kläger einschlägig ist, denn nur insoweit ist er beschwert und in seinen Rechten verletzt. Das Gericht kann also nicht den Gefahrtarif im ganzen für unwirksam erklären.

Neuere Entscheidungen zum Gefahrtarifrecht

Streitigkeiten um Gefahrtarife

Bekanntgeworden sind vor allem zwei Konflikte bei der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft in jüngerer Zeit:

  • Die Festsetzung der Tarifstellen und der Gefahrklassen für Sportvereine in den Gefahrtarifen 1995 und 2001 war hochstreitig, weil die Profifussballvereine dadurch unvermittelt zur Zahlung eines Vielfachen ihres vorherigen Beitrags verpflichtet gewesen wären.[5] Die Querelen wurden schließlich in einem Vergleich der Berufsgenossenschaft mit dem Deutschen Fußballbund beigelegt, in dem den Vereinen erhebliche Beitragsnachlässe zugestanden worden waren. Hintergrund war erheblicher politischer und finanzieller Druck auf die Berufsgenossenschaft.[6]
  • Ein weiterer Streitpunkt waren die Tarifstellen für Zeitarbeitsunternehmen. Diese verlangten so gestellt zu werden wie die Branchen, in die sie Mitarbeiter "entleihen", hatten damit aber bei den Gerichten keinen Erfolg.[7]

Diese Konflikte hatten zu einer Reihe von Streitigkeiten vor den Sozialgerichten geführt und zu einer negativen Presse für die gesetzliche Unfallversicherung geführt. Mittlerweile ist dieser Trend durch die höchstrichterliche Rechtsprechung, die den Gestaltungsspielraum der Vertreterversammlung bei der Festsetzung des Gefahrtarifs betont, wieder zurückgegangen.

Quellen und Links

Literatur

  • Volker Eckhoff: Anreizsysteme bei der Beitragsgestaltung in der gesetzlichen Unfallversicherung. Berlin [u.a.]: Lit-Verlag 2010, ISBN 978-3-643-10582-0
  • Jürgen Fenn: Verfassungsfragen der Beitragsgestaltung in der gewerblichen Unfallversicherung: Gefahrtarif und DDR-Altlasten als Gleichheitsproblem. Frankfurt am Main [u.a.]: Lang 2006, ISBN 3-631-54536-3
  • Jürgen Fenn: Effektiver Rechtsschutz gegen Gefahrtarife. SGb 2004, S. 94.
  • David Heldmann: Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung: Solidarität und Äquivalenz im Finanzierungssystem der gewerblichen Berufsgenossenschaften. Baden-Baden: Nomos-Verl.-Ges. 2006, ISBN 3-8329-2184-2
  • Udo Schulz: Der Gefahrtarif der gewerblichen Berufsgenossenschaften. Sankt Augustin: HVBG 1999, ISBN 3-88383-505-6
  • Papier, Hans-Jürgen und Johannes Möller: Verfassungsrechtliche Fragen der Festsetzung der Beiträg ein der Unfallversicherung, SGb 1998, 337.
  • Papier, Hans-Jürgen und Johannes Möller: Die Rolle des Solidarausgleichs in der gesetzlichen Unfallversicherung, NZS 1998, 353.
  • Gitter, Wolfgang: Die Festsetzung von Gefahrtarifen in der gesetzlichen Unfallversicherung im Hinblick auf den Fußballsport, NZS 1996, 247.

Siehe auch

Fundstellen

  1. Schulz, Risikogerechte Finanzierung als Gestaltungsfaktor in der Prävention der gewerblichen Berufsgenossenschaften, in: Festschrift Watermann, 1996, S. 149, 149.
  2. Fenn, Verfassungsfragen der Beitragsgestaltung in der gewerblichen Unfallversicherung. Gefahrtarif und DDR-Altlasten als Gleichheitsproblem. 2006. S. 53ff.
  3. Das Beispiel ist entnommen: Fenn, Verfassungsfragen der Beitragsgestaltung in der gewerblichen Unfallversicherung. Gefahrtarif und DDR-Altlasten als Gleichheitsproblem. 2006. S. 54, Tabelle 1.5.
  4. Fenn, Verfassungsfragen der Beitragsgestaltung in der gewerblichen Unfallversicherung. Gefahrtarif und DDR-Altlasten als Gleichheitsproblem. 2006. S. 61 m.w.N.
  5. Barfuß, aber mit Rüstung. In: Der Spiegel. Nr. 38, 1995, S. 192 (online).
  6. Fenn, Verfassungsfragen der Beitragsgestaltung in der gewerblichen Unfallversicherung. Gefahrtarif und DDR-Altlasten als Gleichheitsproblem. 2006. S. 13--20 m.w.N.
  7. Fenn, Verfassungsfragen der Beitragsgestaltung in der gewerblichen Unfallversicherung. Gefahrtarif und DDR-Altlasten als Gleichheitsproblem. 2006. S. 8--13 m.w.N.

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