Glashütte Gernheim

Glashütte Gernheim
Glashütte Gernheim
Glashütte Gernheim Turm 2011.jpg
Glashüttenturm der Glashütte Gernheim
Daten
Ort Petershagen-Ovenstädt
Art Industriekultur
Eröffnung 7. November 1998
Website http://www.lwl.org/LWL/Kultur/wim/S/gernheim
Ehemalige Korbflechterei der Glashütte mit Eingangsschild

Die Glashütte Gernheim ist ein Standort des LWL-Industriemuseums in Petershagen-Ovenstädt. Das Museum befindet sich in den historischen Gebäuden der früheren Glashütte, die als frühindustrieller Fabrikort von 1812 bis 1877 Glas produzierte. Sie zählte mit drei Glasschmelzöfen zeitweilig zu den bedeutendsten Fabriken in Nordwestdeutschland. Nach der Übernahme der verfallenen Anlagen 1983 durch den Landschaftsverband Westfalen-Lippe und einer Restaurierung wurde das Museum am 7. November 1998 eröffnet.

Inhaltsverzeichnis

Museum

Das Museum befindet sich auf dem Gelände der früheren Glashütte Gernheim, deren Gebäude aus dem 19. Jahrhundert sich weitgehend erhalten haben. Präsentiert wird die einstige Glasherstellung, wozu auch Vorbereitungsarbeiten, wie das Herstellen der Formen und das Mischen des Gemenges, gehören. Im Glashüttenturm wird für die Museumsbesucher Glas geblasen. Des Weiteren kann die Glasschleiferei, die Korbflechterei, das Fabrikantenwohnhaus und ein Arbeiterwohnhaus besichtigt werden. Zur Ausstellung gehören etwa 2.000 verschiedene Gegenstände aus Glas.

Vorrangig zeigt das Museum die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Glasbranche im Zeitalter der Industrialisierung. In einem der Arbeiterhäuser wird das Alltagsleben von Glasmacherfamilien dargestellt. Insbesondere geht es hier um Nahrungsgewohnheiten und typische Arbeitskleidung. Kleidung und Wohnmobiliar bringen zum Ausdruck, dass in der Glasbranche Mitte des 19. Jahrhunderts gutes Geld verdient wurde.

Geschichte

Gründung

Die Glashütte Gernheim entstand 1812 auf freiem Gelände bei Ovenstädt direkt am Steilufer der Weser. Hüttengründer waren die Kaufleute Johann Christoph Friedrich Schrader und Cornelius Lampe aus Bremen. Die Namensgebung beruhte offensichtlich darauf, das Glasmacher aus fernen Regionen angeworben wurden, die an ihrem neuen Wohnort gern daheim waren. Die Lage am Fluss wurde aus Transportgründen gewählt, weil per Schiff der Transport der Rohmaterialien wie auch der fertigen Produkte erfolgen konnte. Vorteilhaft waren auch die frischen Winde im freien Ufergelände. Sie dienten der Luftzufuhr für das Feuer zum Glasschmelzen. An Personal warben die Gründer der Hütte Glasmacher aus entfernten Regionen an. Die ersten kamen aus dem Lipper Land, weitere folgten aus Böhmen, Sachsen sowie den Bereichen Paderborn und Schwarzburg.

Anlagen und Gebäude

Früheres Fabrikantenwohnhaus
Früheres Arbeiterwohnhaus für Glasmacher

Ab 1812 entstanden in kurzer Zeit zahlreiche Werksgebäude, die einen kleinen frühindustriellen Fabrikort bildeten. Dazu zählten die 1812 errichtete Alte Hütte, der 1826 aus Ziegelsteinen errichtete Glashüttenturm, eine Schleiferei, ein Kalkofen, ein Wirtshaus mit Laden, eine Korbflechterei mit Schule, ein Packhaus, die Verwaltung, das Fabrikantenwohnhaus, Häuserzeilen der Arbeiter sowie diverse Ställe für Pferde und Materialien. Die Belegschaft betrug im Schnitt fast 200 Personen. Die Hütte hatte in ihrer Zeit eine enorme Betriebsgröße und besaß zunächst zwei Schmelzöfen. 1826 kam der monumentale Glashüttenturm als dritter Schmelzofen hinzu. Er ist heute einer der wenigen noch vorhandenen Exemplare in Europa. In Deutschland hat sich ein weiterer Turm nur noch in der ehemaligen Glashütte Steinkrug erhalten. An jedem Ofen wurden 40 Glasbläser statt der üblichen vier beschäftigt.

Da sich die Schmelzzeiten der Glasmasse nicht im Voraus berechnen ließ, mussten die Glasmacher jederzeit abrufbereit sein. Daher war es notwendig, dass die Arbeiter in der Glasbranche in der Nähe der Fabrikationsstätte wohnten. In Gernheim wurden bis 1830 drei Häuserzeilen von Fachwerkhäusern mit etwa 30 Wohnungen errichtet. Die Gebäude waren solide gebaut und boten im Vergleich zu bäuerlichen Kotten ordentliche Wohnverhältnisse. Die Wohnungen waren in lang gestreckten Hauszeilen untergebracht. Zu jeder Wohnung gehörten ein Stall und ein Stück Gartenland. Die Glasmacherfamilien waren in der Lage, sich zumindest teilweise selbst zu versorgen. Da die Glasmacher häufig nachts arbeiteten, erleichterte ihnen das in jeder Wohnung vorhandene Dunkelzimmer das Schlafen tagsüber.

Produkte

Die Produktpalette an Glaswaren war breit gefächert. Es wurde Flachglas für Fensterscheiben sowie grünes und weißes Hohlglas hergestellt. Darunter waren Wein- und Biergläser, Flaschen, Glaskolben für Chemiker und Medizinflaschen für Apotheker. Auch Dachziegeln aus Glas sowie Kirchenfensterscheiben wurden produziert. Eine Spezialität war weißes Überfangglas. Die hütteneigene Glasschleiferei veredelte die Glaswaren durch gravieren, bemalen und schleifen. Zeitweise ging die Hälfte der Glaswaren in den Export nach Spanien und Portugal, aber auch nach Übersee, vor allem nach Nord- und Südamerika sowie Indien.

Niedergang

Mit der Gründerkrise 1873 erlitt die Glashütte einen wirtschaftlichen Niedergang. Auch der fehlende Bahnanschluss bewirkte eine rückläufige Konkurrenzfähigkeit gegenüber Mitbewerbern. 1877 wurde die Herstellung von Glas eingestellt. 1892 kam es zu einer Neuaufnahme der Glasproduktion, die nur bis 1893 anhielt. Danach war in den Gebäuden eine Korbflechterei und eine Strohhülsenfabrik jahrzehntelang als Zulieferer für andere Glashütten tätig. Etliche Hüttengebäude verfielen, brannten ab oder wurden von der Bevölkerung als Steinbruch genutzt, wie die Alte Hütte. Der Glashüttenturm blieb beschädigt erhalten und wurde von der Gerresheimer Glashütte aufgekauft.

Literatur

  • Gerhard Henke-Bockschatz: Nur mutig hin zur Feuerstelle!, Studien zum Arbeiterleben im Glasmacherort Gernheim an der Weser 1812-1893, Dortmund, 1988

Weblinks


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