Gründerzeitstil

Gründerzeitstil

Der Ausdruck Historismus bezeichnet in der Stilgeschichte ein Phänomen des 19. Jahrhunderts, bei der man auf ältere Stilrichtungen zurückgriff und diese nachahmte.

Im Gegensatz zu vorhergehenden kunsthistorischen Epochen ist für den Historismus ein zeitgleicher Stilpluralismus charakteristisch, der sich aber schon im Nebeneinander von Klassizismus und Romantik um die Wende zum 19. Jahrhundert ankündigt.

Anders als in Renaissance und Klassizismus wurde nicht nur versucht, die Architektur der klassischen Antike (wie sie in Griechenland und Rom gefunden wurde) wiederzubeleben bzw. zu kopieren, sondern es wurden Architekturformen auch anderer Epochen, die nunmehr als gleichwertig anerkannt wurden, imitiert.

Einen großen Einfluss übte dabei die Romantik aus, die einen Sinn für das historisch Bedingte entwickeln half. Gelegentlich wurden auch mehrere Stile in einem Gebäude gemischt, diese teilweise recht wahllosen Kombinationen nennt man Eklektizismus. Andere Bauwerke zitieren historische Motive, lassen sich aber keinem konkreten Stil zuordnen.

Da der Historismus in Mitteleuropa ab den 1860er-Jahren größere Verbreitung erfuhr und es eine seiner ursprünglichen Funktionen war, die Repräsentationsbedürfnisse des in der Gründerzeit reich gewordenen Bürgertums zu befriedigen, wird er umgangssprachlich manchmal auch als Gründerzeitstil beziehungsweise Gründerzeitarchitektur bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Bauten

Die Neoromanische Pauluskirche in Basel (erbaut 1898-1901)

Zu jener Zeit stand die Architektur vor neuen Aufgaben: Die Industrielle Revolution erforderte den Bau von Bahnhöfen, Fabriken und Wassertürmen. Zur Linderung der Wohnungsnot mussten mehrstöckige Zinshäuser errichtet werden, das aufstrebende und zusehends wohlhabende Bürgertum verlangte nach Villen und großen Stadtwohnungen in repräsentativen Gebäuden.

Bedeutend war auch die Integration neuer Technologien in Architektur und Design. Entscheidend war die Weiterentwicklung der Stahlerzeugung (Bessemer-Verfahren). Der nur aus Gusseisen und Glas bestehende Crystal Palace auf dem Gelände der Londoner Weltausstellung von 1851 galt als revolutionär und wegweisend für spätere Jahrzehnte.

Teilweise wurden verschiedenen Baustilen unterschiedliche Funktionen zugeschrieben: Kirchen wurden im Stil der Gotik oder der Romanik gebaut, Banken und Bürgerhäuser im Stil der Renaissance (der großen Zeit der Stadtkultur vor allem in Italien), Adelspalais und vor allem Theater im Barockstil, Fabrikhallen dagegen im „englischen Stil“ (meist mit unverputzten Backsteinfassaden).

Viel Wert wurde auf Repräsentation gelegt, wobei funktionale Aspekte gelegentlich untergeordnet wurden (siehe Universität Wien). Dies ist einer der Gründe, warum der Historismus vor allem Mitte des 20. Jahrhunderts häufig kritisiert wurde. Vor allem wurde bemängelt, dass architektonische Zutaten wie Säulen, Medusenköpfe und Akanthusblätter rein dekorativ zur Erzeugung einer „historischen Atmosphäre“ benutzt worden seien.

Die Fassaden der Gebäude sollten nicht nur in ihrer Größe und ihrem jeweiligen Reichtum, sondern bei Mehrfamilienhäusern auch in ihrem geschossigen Aufbau die soziale Stellung ihrer Bewohner spiegeln. So etwa wurde die erste Etage oder das Hochparterre meist „Bel Etage“ genannt und war mit ihren besonders hohen Decken und ihren reichen Stuckverzierungen dem wohlhabenderen Bürgertum vorbehalten. Nach oben wurde die soziale Stellung der Bewohner mit abnehmender Geschosshöhe meist immer geringer. Dabei wurde die oberste Etage mit ihren oft nur noch lukenartig kleinen Fenstern in der Regel von den Dienstboten und anderen Angehörigen der unteren sozialen Schichten bewohnt.

In vielen neu entstandenen Wohnvierteln wurden innerhalb der Blockrandbebauung auf früheren Gartenflächen Hinterhöfe angelegt und in Hinterhäusern oftmals zahlreiche weitere Quartiere für die Arbeiter errichtet, häufig auch in räumlicher Nähe zu den Arbeits- und Werkstätten. Die überbelegten Einraumwohnungen der Arbeiterklasse mit ihren oft miserablen und gesundheitsschädigenden unhygienischen Wohnbedingungen wurden von etlichen Reformern seit Ende des 19. Jahrhunderts sehr beklagt. Sie haben unter anderem die Ideen der Gartenstadtbewegung (siehe dazu Ebenezer Howard) und so manches Reformprojekt in Deutschland beflügelt.

Eine Besonderheit der Architektur dieser Epoche sind nach einem Gesamtkonzept angelegte repräsentative Villenkolonien wie etwa die Kolonie Marienthal in Hamburg und die bis heute gut erhaltene und als exemplarisch geltende Villenkolonie Lichterfelde-West im Südwesten Berlins (ab 1860). Die Villenkolonien waren wegen des hohen Personalbedarfs zur Führung der großen Häuser in der Praxis gemischte Wohngebiete. So war das Verhältnis der so genannten „einfachen Stände“ zu den „Herrschaften“ etwa in Lichterfelde-West in Berlin zwei zu eins. Die Villenkolonien nahmen mit ihrer aufgelockerten Bebauung, den großen Gärten und Alleen die Idee der „Gartenstadt“ vorweg.

Der Historismus kam mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Machtverlust der bis dahin stilbildenden Schichten des Adels und Großbürgertums zu einem abrupten Ende. Ab den 1920er-Jahren dominierten zusehends weniger komplexe Baustile.

Stilphasen

Stilgeschichtlich unterscheidet man zwischen romantischem Historismus (vor 1870), strengem Historismus (1870-1890) und Späthistorismus (nach 1890).

Der Romantische Historismus zeichnet sich durch eine langsame Ablösung vom Klassizismus aus. Bevorzugter Stil sind Neugotik und Neorenaissance, allerdings werden immer wieder „stilfremde“ Elemente kombiniert, so dass es sich um keine einfache Nachahmung der historischen Stile sondern um subjektive Interpretationen handelt. Auch Elemente aus nicht-westeuropäischen Stilen (etwa maurisch oder byzantinisch) werden kombiniert. Dies drückte sich auch in einem zeitgenössischen Spottgedicht gegen zwei prominente Architekten dieses Stils aus, deren Hofoper die Zeitgenossen enttäuscht hatte: Sicardsburg und van der Nüll / Haben beide keinen Stüll / Gotisch, Griechisch, Renaissance / Das ist ihnen alles aans.

Der Strenge Historismus dagegen versucht „reine Elemente“ des vergangenen Formvokabulars kunsthistorisch korrekt zu kombinieren. Der Subjektivismus des romantischen Historismus wird abgelehnt, versucht wird einen lehrbaren und objektiv richtigen Stil zu finden, der sich aus den Formendetails ableitet. Bevorzugter Stil ist die Neorenaissance.

Im Späthistorismus wird die Orientierung an der Renaissance durch eine Orientierung am Barockstil (Neobarock) abgelöst. Die strenge Orthographie der vorhergehenden Phase löst sich zugunsten einer freieren Interpretation der Dekorelemente, die auch nicht mehr streng linear angeordnet werden. Ausbuchtende Erker, Risalite, Kuppeln und ausladende Balkone werden beliebt. Allgemein ist ein Zug zu übersteigerter Monumentalität zu beobachten. Einzelne Elemente (etwa die Blumendekors) weisen gelegentlich schon auf den Jugendstil.

Überspitzt könnte man also sagen, dass der Historismus mit seinen Anfängen in der Neugotik und seinem Ende im Neobarock die abendländische Baugeschichte der frühen Neuzeit noch einmal durchläuft.

Stile des Historismus

Erfurter Rathaus, Neugotik aus dem 19. Jahrhundert
Theater Gera, Neobarock (erbaut 1902)
Amtsgericht Ilmenau, Neoklassizismus (erbaut 1914)

Neugotik

Der (vor allem in Großbritannien) früheste und wichtigste historistische Stil ist die Neugotik. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts wurden gotische Formen wiederentdeckt, so beispielsweise bei der „Regotisierung“ Wiener Kirchen durch Johann Ferdinand Hetzendorf von Hohenberg um 1805, die allerdings noch einem klassizistischem Zeitgeschmack geschuldet war, so dass viel authentische Gotik verloren ging. In den 1840er Jahren wurde die Gotik immer mehr als Sinnbild einer Architektur der Bürgerfreiheit empfunden. Bedeutendster Vertreter in Österreich war Friedrich von Schmidt, in der Schweiz Ferdinand Stadler. Der Neugotik verdanken wir die Fertigstellung einiger im Mittelalter unvollendeter gotischer Kathedralen, gerne auch für repräsentative bürgerliche Bauten (Rathäuser u.a.) verwendet, da man die Epoche der Gotik (Spätmittelalter) mit der Blütezeit der Stadtrepubliken assoziierte.

Neorenaissance

Ein wichtiger historistischer Baustil ist die Neorenaissance in England und Frankreich, für die es auch in Deutschland (Leo von Klenzes Palais Leuchtenberg, Berliner Reichstag (mit neobarocken Elementen) sowie Bauten der Dresdner Semper-Nicolai-Schule) und Österreich (Wiener Staatsoper) Beispiele gibt. Da man die Renaissance vor allem als eine Blütezeit der Künste ansah, war die Neurenaissance der bevorzugte Stil für Theater, Opernhäuser und Museen.

Neuromanik

Die Neuromanik entstand, als nach 1870 in Deutschland der „französische“ Stil der Neugotik in Verruf kam und statt seiner die „deutschere“ Romanik propagiert wurde. Neuromanik galt vor allem im protestantischen Deutschland als „Nationaler Baustil“, und war nach dem Wiesbadener Programm jahrzehntelang für evangelische Kirchenbauten verbindlich. Neben romanischen greift der Stil auch auf byzantinische Formensprache zurück.

Neobarock

Der Neobarock findet in der Pariser Oper, dem Brüsseler Justizpalast sowie der Neuen Hofburg in Wien und Schloss Herrenchiemsee in Bayern seine Höhepunkte. Das Zeitalter des Barock (der Absolutismus) war der Höhepunkt weltlich-monarchischer Macht, weshalb man staatliche Bauten gerne in diesem Stil errichtete.

Neorokoko

Neurokoko Interieur, New York, 1855 (Rekonstruktion), Metropolitan Museum of Art

Neorokoko trat seltener im Bauwesen als in der Innenausstattung vor allem von Schlössern und Bürgerhäusern hervor. Im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts wurden etwa Schönbrunn und die Albertina mit einer dem Rokoko nachempfundenen Inneneinrichtung ausgestattet, wofür teilweise sogar authentisches Rokoko geopfert wurde. Ein besonderes Beispiel für Neorokoko ist das Schloss Linderhof.

Neohistorismus

Über das Ende des eigentlichen Historismus hinaus kommt es nach dem Beginn des 20. Jahrhunderts zu neohistoristischen Strömungen, die sich unter anderem im Neoklassizismus ihren Ausdruck suchen.

Historistische Architektur in ausgewählten Ländern

Großbritannien

In Großbritannien setzte dieser Stil schon Ende des 18. Jahrhunderts ein, ein frühes Beispiel ist die Villa Strawberry Hill, die Horace Walpole um 1775 im neugotischen Stil errichten ließ. Als frühes Meisterwerk der Neugotik gilt auch das Parlamentsgebäude in London aus dem Jahr 1835.

Deutschland

In Deutschland bildete sich mit Karl Friedrich Schinkel zunächst ein ausgeprägter Klassizismus aus. Mit den 1830er Jahren begannen stilistische Mischformen.

Als Initialbau des deutschen, „wilhelminischen“ Neobarock gilt eine Wohn- und Geschäftshaus-Bebauung am Beginn der ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Straße in Berlin-Mitte (1887 von Cremer & Wolffenstein).

Prenzlauer Berg, Kastanienallee

Vom Krieg (und Zerstörungen der Nachkriegszeit) weitestgehend verschonte, ungewöhnlich geschlossen erhaltene Ensembles finden sich zum Beispiel in Berlin, wo die erhaltenen "Gründerzeitbauten" am zahlreichsten sind – dort vor allem die „Arbeiterviertel“ Prenzlauer Berg, Friedrichshain und große Teile Kreuzbergs, aber auch repräsentative Straßenzüge rund um den Kurfürstendamm, Hamburg, der Bonner Südstadt, die Nordstadt und das Briller Viertel in Wuppertal, Chemnitz (Kaßberg), Görlitz, Fürth, die Erfurter Vorstädte, Leipzig (Waldstraßenviertel – das größte im Zusammenhang bebaute „Gründerzeitviertel“ Europas), Dresden, das mit der „Äußeren Neustadt“ ein großes „Gründerzeitviertel“ aufzuweisen hat, München, wo man vor allem in den Stadtteilen Altstadt-Lehel und Neuhausen-Nymphenburg viele „Gründerzeitbauten“ findet, Vahrenwald-List in Hannover und auch in Straßburg, das über eine umfangreiche geplante Neustadt aus der Kaiserzeit verfügt. Die Innenstadt von Halle gilt als das größte zusammenhängende Wohngebiet dieser Epoche. Wiesbaden ist neben Berlin die einzige Stadt, die einen nahezu komplett erhaltenen Stadtring vorweisen kann. Der Kaiser-Friedrich-Ring auf der Wiesbadener Ringstraße gleicht zu 100 Prozent der Situation von 1907. Ebenfalls eine reiche Bausubstanz weist die Wiehre in Freiburg im Breisgau auf.

In Ostdeutschland ist wesentlich mehr Bausubstanz aus der Gründerzeit zu finden als im Westen des Landes. So gut wie in jeder Mittel- oder Großstadt Ostdeutschlands findet man erhaltene „Gründerzeitstraßenzüge“ oder „-viertel“. Das liegt größtenteils daran, dass die Städte in Ostdeutschland keine oder weniger Flächenbombardements ertragen mussten und Ziel der Angriffe meist die Altstadt oder die kriegswichtige Industrie war. Hinzu kam, dass in der DDR meist das Geld fehlte, um ältere Straßenzüge im großen Stil abzureißen. So haben Städte wie Rostock (Villenviertel südlich der Innenstadt und Mietskasernen westlich der Innenstadt), Magdeburg (Gegend um den Hasselbachplatz), Chemnitz, Dresden (Äußere Neustadt) und Dessau (rund um die Heinrich-Heine-Straße), die von allen ostdeutschen Städten am schlimmsten von Bombenangriffen getroffen wurden, immer noch erhaltene „Gründerzeitviertel“ oder „-straßen“. Sie sind zum größten Teil saniert. In den letzten Jahren sind in zahlreichen ostdeutschen Städten im Rahmen des Stadtumbau-Ost-Programms gegen Widerstände von Denkmalpflegern und aus der Bevölkerung zahlreiche Baudenkmale dieser Epoche abgerissen worden, so in Leipzig 446 eigentlich denkmalgeschützte Bauten in den Jahren 1990 bis 2006.[1] Gegenwärtig erfährt Chemnitz massive Eingriffe in sein gründerzeitliches Bauerbe.[2] Totalverluste „gründerzeitlicher“ Bausubstanz sind in zahlreichen westdeutschen Städten wie Köln, Kassel, Mannheim, Ulm, Nürnberg, Würzburg, Braunschweig, Koblenz sowie im gesamten Ruhrgebiet zu beklagen.

Weitere historistische Bauwerke in Deutschland:

Auch viele Industriegebäude tragen historistische Stilmerkmale

Der Historismus hatte nach dem Ersten Weltkrieg keine besondere Wertschätzung mehr. Der Rückgriff auf ältere Stile wurde als mangelnde Eigenständigkeit interpretiert. Diese geringe Wertschätzung führte zu einem großen Verlust an Substanz in Deutschland während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Zahlreich Bauwerke gingen durch den Bombenkrieg verloren, aber durch die recht neue Bausubstanz und gute Ausführung waren auch viele beschädigte Gebäude reparabel. Dennoch wurden sie nicht wiederhergestellt, sondern bewusst abgebrochen und durch Neubauten ersetzt oder modernisiert, sprich ihrer Dekoration beraubt (Entstuckung). Später hat sich dies jedoch wieder geändert, wie die mit größtem Aufwand betriebene Restaurierung des Reichsgerichtes in Leipzig beweist.

Die aufwändige Innenausstattung vieler katholischer Kirchen der Neugotik wurde im Zuge der Umgestaltung gemäß dem zweiten Vatikanischen Konzil vielfach beseitigt und zerstört, weil man deren Stil als Schreinergotik abtat.

Eine Besonderheit stellen die "gründerzeitlichen" Villenkolonien dar, die ab Mitte des neunzehnten Jahrhunderts angelegt wurden. Während die Bauareale nach klassischen stadtplanerischen Gesichtspunkten durchgeplant und erschlossen wurden, wurden den einzelnen Bauherren lediglich wenige städtebauliche Vorgaben gemacht. Dementsprechend entstanden Gebiete mit vielfältigsten Spielformen der Architektur des Historismus, die auf die Repräsentationsansprüche des gründerzeitlichen Bürgertums abgestimmt waren. Herausragende Beispiele und Vorbild für viele spätere Anlagen waren die Villenkolonien in Lichterfelde bei Berlin, die ab etwa 1850 entstanden. Lichterfelde-West ist bis heute weitgehend erhalten und steht nach Jahren des Mietwohnungsbaus auf Grundstücken zerstörter Villen inzwischen großflächig unter Denkmalschutz. Auch in Hamburg-Marienthal, Wiesbaden, Wuppertal-Elberfeld, Weimar, Eisenach oder Potsdam finden sich noch ausgedehnte alte Villenkolonien, in fast allen Großstädten gibt es bis heute noch kleinere Quartiere oder wenigstens Reste derselben.

Auf dem Wohnungsmarkt sind heute die Wohnhäuser des späten Historismus wieder sehr begehrt und werden von der Immobilienbranche gerne pauschal als Jugendstil-Haus vermarktet, auch wenn das angebotene Objekt meist keine oder kaum Merkmale des Jugendstil aufweist. In einigen deutschen Städten gibt es noch große geschlossene Gebiete dieser Art, zum Beispiel große und repräsentative Etagenhäuser in Hamburg-Eppendorf und Villen rund um die Außenalster.

Österreich und Länder der Donaumonarchie

Historistisches Gebäudeensemble im Stil der Renaissance in Linz.
Herz-Jesu-Kirche in Graz, Backsteingotik

Der Historismus ist nach wie vor der dominierende Stil in Wien, wo nach diesem Muster ganze Stadtviertel gebaut wurden. Es gab zwei Höhepunkte der Bautätigkeit: beim Bau der Ringstraße, der in den 1860er-Jahren begonnen wurde und den Ringstraßenstil prägt, und bei der Regulierung des Wienflusses um 1900, bei der allerdings teilweise auch schon im Jugendstil gebaut wurde. Außerhalb von Wien gibt es nur in Graz und Linz größere vom Historismus geprägte Stadtviertel.

Eine bedeutende Richtung des Späthistorismus in Österreich, die vorrangig im Villen- Hotel- und Sanatoriumsbau eingesetzt wurde, ist der auch der Schweiz vertretene Heimatstil. Dieses Stilphänomen wurde auch als Tirolerhaus-, Laubsäge- Schweizerhaus-, oder Fachwerkstil bezeichnet, bzw. nach einzelnen Charakteristika in diese Gruppen unterteilt. Sehenswerte Bauten finden sich vorwiegend in den Kurorten der k.u.k. Monarchie, wie etwa Bad Ischl oder Reichenau an der Rax und entlang der Südbahnstrecke. Zu erwähnen ist hier der Semmering mit seiner Villenkolonie und dem Südbahnhotel. Analog zu den großen und luxuriösen Hotelbauten wurden um 1900 in Österreich auch die Kuranstalten gerne im Heimatstil ausgeführt. So waren die berühmten österreichischen Lungensanatorien des östlichen Alpenvorlandes, wie etwa das Henriette Weiss-Sanatorium, das Sanatorium am Hochegg oder das Sanatorium Wienerwald durchgehend im Heimatstil errichtet.

Der Historismus lebte in der Donaumonarchie, wo er sozusagen zum „Reichsstil“ wurde, bis 1914 weiter (Prag, Laibach, Agram, etc.). Um 1900 war Neobarock der häufigste Baustil, der auch „patriotisch“ konnotiert war: mit ihm knüpfte man (unter dem Etikett Maria-Theresien-Stil) vermeintlich an das 18. Jahrhundert und dessen Kulturblüte in Österreich an.

Ungarn

Auch im damals rasant wachsenden Budapest wurden zahlreiche Gebäude im historistischen Stil entwickelt. Eines der repräsentativsten und größten Bauten der Neugotik ist das ungarische Parlamentsgebäude. Die neugotische Gestaltung setzt sich auch im Inneren mit historistischen Gemälden, Skulpturen und Fenstern fort, die die ungarische Geschichte nachzeichnen. Im Gebäudekomplex der Burg Vajdahunyad findet man fast jeden Baustil des Historismus auf engerem Raum, vom romanischen Stil über die Gotik und Renaissance bis zum Barock.

Ein historistisches Ensemble, hauptsächlich im Neorenaissance-Stil, stellt auch die Andrássy út (Andrássy-Straße) dar.

Schweiz

Auch in der Schweiz hat sich für einige Jahrzehnte der Historismus durchgesetzt, wofür insbesondere das Schweizerische Landesmuseum in Zürich steht. Im jungen Bundesstaat des ausgehenden 19. Jahrhunderts war die Rückbesinnung auf die eigene Geschichte von großer Bedeutung. Die Rückbesinnung auf die Geschichte führte in der Architektur zur Verwendung historischer Stilelemente und ihre Verschmelzung zu einem neuen Ganzen.

Bedeutende historistische Architekten

Historismus vor dem Historismus

In der Stilgeschichte werden des Öfteren absichtsvolle Rückgriffe auf frühere Stilformen auch vor dem 19. Jahrhundert als Historismus bezeichnet. Ein Beispiel dafür ist die frühneuzeitliche Nachgotik, die gotische Formen noch verwendete, als diese längst von den herrschenden Renaissance- und Barockformen abgelöst waren. Zutreffender spricht man von retrospektiven Tendenzen.

Siehe auch

Quellen

  1. Sächsische Zeitung vom 8.7.2006
  2. Freie Presse, 8.1.2009

Weblinks


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