Haftkraft

Haftkraft
Skizze zur Reibung, Bild 2&3 betrifft Haftreibung

Haftreibung bzw. Haftung ist eine physikalische Kraft, die zwei sich berührende Körper daran hindert, sich gegeneinander zu bewegen.

Inhaltsverzeichnis

Grundlagen

Voraussetzung für das Auftreten von Haftreibung ist, dass sich zwei Körper berühren und dass die Berührungsfläche unter einem gewissen Druck steht. Wenn dann eine äußere Kraft Fa einen der beiden Körper entlang der Berührungsfläche gegenüber dem anderen zu verschieben sucht, dann baut sich eine entgegengesetzte, betragsgleiche Kraft -Fa auf, die eine Relativbewegung der beiden Körper verhindert.

Der genaue Sprachgebrauch ist nun uneinheitlich: Haftreibung bezeichnet

  • entweder die in einer konkreten Situation tatsächlich wirkende Haftkraft (auch als Ruhereibung bezeichnet) -Fa
  • oder den maximalen Betrag, den diese Haftkraft für ein bestimmtes Körperpaar annehmen kann (auch als Losbrechmoment bezeichnet).

In manchen Kontexten mag es der Verständlichkeit dienen, das Wort „Haftreibung“ zu vermeiden und stattdessen von „Haftkraft“ und „maximaler Haftkraft“ zu sprechen (vgl. Herrmann 2003). In letzter Zeit wird bevorzugt das Wort Haftung für die Kraft selbst benutzt, die Bedeutung bleibt aber wie bisher gleich. Haftreibung beschreibt dann das Phänomen an sich.

Haftreibung unterscheidet sich von jeder anderen Form von Reibung dadurch, dass keine Energie umgewandelt und keine Wärme erzeugt wird.

Mit anderen Formen der Reibung hat die Haftreibung gemeinsam, dass sie von Materialeigenschaften und Oberflächenbeschaffenheit abhängt und deshalb nur in grober Näherung durch eine einfache physikalische Gesetzmäßigkeit beschrieben werden kann:

Technische Anwendung der Haftreibung

Die Haftreibung wird in vielen technischen Anwendungen genutzt für eine effiziente Kraftübertragung zwischen Körpern. Beispielsweise basiert die Traktion einer Lokomotive auf der Schiene auf der Haftreibung. Wenn ohne Formschluss (beispielsweise bei Zahnrädern) die Haftreibung in Gleitreibung übergeht, drehen die Antriebsräder durch. Dann ist die Kraftübertragung nicht mehr effizient.

Neben solchen kraftschlüssigen Verbindungen mit Haftreibung werden auch formschlüssige Verbindungen mit Gleitreibung zur Kraftübertragung genutzt - dies ist beispielsweise bei Zahnrädern der Fall, wo die Reibung möglichst minimiert wird.

Die Haftreibungszahl

Die durch Haftreibung hervorgerufene maximale Haltekraft (Ruhereibung) FH ist abhängig von der Normalkraft FN und von der Haftreibungszahl (siehe auch Reibungskoeffizient) μH.

In vielen Fällen ist die Haftreibungszahl μH fast unabhängig von der Größe der Berührungsfläche und der Normalkraft. Eine Ausnahme davon ist beispielsweise ein Autoreifen (siehe unten).

Die Haftreibungszahl μH wird hauptsächlich bestimmt durch die Rauigkeit und die Stoffarten der berührenden Flächen.

Für die Haftreibung FR ergibt sich im Gegensatz zur Gleitreibung nicht eine Gleichung, sondern eine Ungleichung:

F_{\mathrm{R}}  \le \mu_{\mathrm{H}} \cdot F_N

Die maximale Haltekraft wird zu

F_{\mathrm{Rmax}} = \mu_{\mathrm{H}} \cdot F_N

Die tatsächlich wirkende Kraft hängt von der Belastung des Körpers ab und wird mit Hilfe der Gleichgewichtsbedingungen unabhängig von μH berechnet. Der Haftreibungskoeffizient bestimmt jedoch, ob Ruhe für die gegeben Situation überhaupt möglich ist:

Gleichgewicht ist möglich, falls F_{\mathrm{R}}  \le F_{\mathrm{Rmax}}

Beispielwerte

Werkstoff Haftreibungszahl
Beton auf Kies 0,89
Beton auf Sand 0,56
Beton auf Lehm und Ton 0,3
Mauerwerk auf Sand und Kies 0,3
Mauerwerk auf nassem Ton oder Lehm 0,25
Mauerwerk auf Beton 0,76
Gummireifen auf Asphalt, trocken <0,9
Gummireifen auf Asphalt, nass <0,5
Gummireifen auf Beton, trocken <1,0
Gummireifen auf Beton, nass <0,6
Holz auf Holz 0,65
Holz auf Stein 0,6
Leder auf Metall (Dichtungen) 0,6
Ski auf Eis 0,1...0,3
Stahl auf Eis 0,02
Stahl auf Stahl, trocken 0,15
Stahl auf Stahl, Ölfilm 0,08
Stahl auf Bronze, trocken 0,18
Stahl auf Holz 0,5
Stahl auf Glas 0,6
Stahl auf Stein 0,45
Aluminium auf Aluminium 1,0
Teflon auf Teflon 0,04

Obige Werte beziehen sich, wo nicht anders angegeben, auf trockene Oberflächen ohne Schmierung.

Die Beispielwerte können sich je nach Umgebungsbedingungen (Feuchtigkeit, Oberflächenbeschaffenheit, Erschütterungen) erheblich ändern. Deshalb sollte bei praktischen Anwendungen immer von einem geringeren Wert ausgegangen werden.

Für die Praxis sind fast alle aus der Literatur entnommenen Werte nur mit Vorsicht zu genießen, da meist die Randbedingungen nicht mit angegeben werden. So kann der Haftbeiwert für eine Verbindung Stahl / Stahl zwischen 0,08 und 0,18 variieren. Der Wert ist von vielen Einflussfaktoren wie Oberflächenrauigkeit, Zwischenmedium (trocken/nass) oder Belastungsart (statisch/dynamisch/Scherung/Torsion) abhängig.

Gelegentlich wird behauptet, dass μH < 1 sein müsse. Dies trifft nicht zu. Auch Werte größer als 1 sind möglich.

Beispiele

Reifenreibung, Bodenreibung eines Fahrzeugs

Bei Autoreifen spielt neben der Normalkraft und der Haftreibungszahl auch die Reifenaufstandsfläche eine Rolle, da bei der Reibung von gummielastischen Stoffen auf rauer Oberfläche die Verzahnung eine Rolle spielt. Je nach Gummimischung und Fahrbahnbelag treten auch effektive Haftreibungszahlen auf, die deutlich größer als 1 sind (im Motorsport annähernd µ = 2). Allerdings ist die Anwendung der Haftreibungsmodelle auf Gummi problematisch, da sich das Material eher wie eine hochviskose Flüssigkeit verhält, z. B. zeigt sich eine deutlichere Abhängigkeit des Reibungskoeffizienten von der Normalkraft als bei anderen Stoffen.

Um an einem drehenden Reifen eine Umfangskraft aufbauen zu können, ist auch ein Teilgleiten in der Auflagefläche nötig (Umfangsschlupf). Bis etwa 10% Schlupf wird die Antriebskraft maximal übertragen (Kraftschluss).

Die dem Reibungswiderstand entgegengesetzte Kraft am Fahrzeug ist der Vortrieb, der das Fahrzeug beschleunigt. Bei starkem Beschleunigen ist der Haftreibungkoeffizient sowie die Normalkraft in Abhängigkeit des Steigungswinkels der Fahrbahn ausschlaggebend (Traktion). Bei „glatter“ Fahrbahn (stark vermindertem Haftreibungskoeffiezienten) geht das Fahrzeug leicht in Gleitreibung über, und es kann keine Kraft mehr übertragen werden (weder Brems-, Seitenführungs-, noch Beschleunigungskräfte). Siehe auch Kammscher Kreis

Seilreibung

Wird ein Seil um einen runden Gegenstand geschlungen, wie beispielsweise einen Baum oder Poller, entsteht zwischen Seil und Gegenstand Reibung. Diese wird als Seilreibung bezeichnet.

Die Seilreibung kann mit der Euler-Eytelwein-Formel berechnet werden. Dazu wird der Reibungskoeffizient μ und der Umschlingungs-Winkel α benötigt, nicht aber der Radius des runden Gegenstands.

Getriebe

Siehe hierzu Artikel Reibgetriebe

Siehe auch

Literatur

  • F. Herrmann: Praxis der Naturwissenschaften. Ausg. 3/52, 46 (2003) [Altlasten der Physik]
  • Skript der TU Braunschweig (Haftreibung und ihre Anwendung in Problemen der Mechanik s. Kapitel 5)
  • Werner Stehr, Klaus Dobler: Die Bratwurst und der Lagerschaden - Tribologie zum Staunen, Anfassen und Experimentieren. Tillwich GmbH Stehr, Horb-Ahldorf 2006, ISBN 978-3-00-019479-5
  • Popov, Valentin L.: Kontaktmechanik und Reibung. Ein Lehr- und Anwendungsbuch von der Nanotribologie bis zur numerischen Simulation, Springer-Verlag, 2009, 328 S., ISBN 978-3-540-88836-9.

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