Handlungsregulationstheorie

Handlungsregulationstheorie
Modell der Handlungsregulation nach Volpert

Die Handlungsregulationstheorie (HRT) oder arbeitspsychologische Handlungstheorie ist ein Handlungsmodell, das auf dem Begriff des Ziels basiert, den Begriff der Pläne als Basis zur Realisierung der Ziele verwendet, und für die das von Miller, Galanter und Pribram 1960[1] eingeführte Konzept der Rückmeldung, die via Rückkopplungsschleifen schrittweise zur Korrektur der Pläne und Handlungen führen kann, wesentlich ist. Handlungen sind in dem Modell hierarchisch aufgebaut. Sie bestehen aus Teilhandlungen und diese wiederum aus Bewegungen. Darüber hinaus wird zwischen automatisierten, weniger bewussten und bewussten, durch das Denken gesteuerten Handlungen unterschieden.

Die Handlungsregulationstheorie wurde von Winfried Hacker und Walter Volpert entwickelt. Walter Volpert prägte erstmals 1971 den Begriff einer Theorie „der Handlungsregulation“[2] und entschloss sich, fürderhin „den eigenen Ansatz als ‚Handlungsregulationstheorie‘ zu bezeichnen“[3]. Volpert formulierte als Erster mit Bindestrich „die hierarchisch-sequentielle Organisation des Handelns“[4], ein Modell, das er auch graphisch gestaltete.

In Anlehnung an die Linguistik Noam Chomskys führte Volpert die „Handlungskompetenz“[5] ein und definierte „effizientes Handeln als stabil-flexibel“[6]. Volpert, der eine „grundsätzliche Gerichtetheit der Veränderungen des Systems“[7] annimmt, hat diese Annahme in beide Richtungen einerseits als „Höherentwicklung“[8] im Sinne einer „Entwicklung der Handlungskompetenz“[9] und andererseits die eingeschränkte Kompetenzentwicklung in Anlehnung an Sigmund Freuds „Partialtriebe“ Regulationshindernisse als „Partialisierung“[10] der Handlungskompetenz operationalisiert. Winfried Hacker psychologisierte das kybernetische TOTE-Modell, indem er es durch seine VVR-Einheit - Vergleichs-Veränderungs-Rückkoppelungs-Einheit[11] - ersetzte, verwendete ebenfalls die Begriffe „Handlungsregulation“[12] und „Regulationsebene“[13][14] und stellte als Erster „die drei Hauptebenen der psychischen Regulation von Arbeitstätigkeiten dar“[15].

Das von der Handlungsregulationstheorie bereitgestellte Handlungs-Modell versucht einerseits den Zusammenhang von Denkprozessen und Handeln zu erklären und dabei über das rein kognitive Modell hinauszugehen, andererseits soll es aber auch so unterschiedliche Handlungen wie automatisierte Bewegungen und komplexes, planvolles Verhalten erfassen.

Die zu Grunde gelegten Konzepte (Tätigkeit, Handlung oder Teilhandlung sowie Operationen) basieren auf der Theorie der hierarchisch-sequentiellen Tätigkeitsorganisation, wobei unterschiedliche Handlungsregulationstheoretiker minimal zwei bis maximal fünf hierarchische Regulationsebenen anführen. Im hierarchisch-sequentiellen Urmodell, der allgemeinen Tätigkeitstheorie, entwirft Alexej Leontjew als Vertreter der kulturhistorischen Schule drei entwicklungspsychologische Regulationsebenen: Operation - Handlung - Tätigkeit. Rainer Oesterreich schafft 1981 mit seinem 5-Ebenen-Modell das erste hierarchisch-sequentielle Modell, das gleichzeitig theoretisch definiert und vollkommen mathematisch formalisiert ist. Er hat das hierarchisch-sequentielle Modell erstens um die vierte Regulationsebene der Bereiche, wie es beispielsweise die beiden Bereiche „Arbeit“ und „Liebe“ sind, erweitert und zweitens die fünfte Ebene der Erschließungsplanung eines neuen Bereichs, wie es beispielsweise die Gründung eines Unternehmens ist, hinzugefügt. Dadurch wurde die Handlungsregulationstheorie alltagstauglich, was sich in einem Instrument zur Analyse von Arbeitstätigkeiten [16] zeigt. Dieses neuartige Modell wendet Yann Seyrer 1997 auf natürliche Daten erstmalig differentiell und entwicklungspsychologisch an.

Hierarchisch-sequentielle Modelle der Handlungsorganisation

Theoriebezeichnung Tätigkeitstheorie TOTE-Modell: Test - Operate - Test - Exit Handlungs-regulationstheorie 3*5er-Entwicklungs-Modell der Handlungsregulation 5-Ebenen-Modell der Handlungsregulation
Autor Alexej Leontjew Miller, Galanter und Pribram Winfried Hacker und Walter Volpert Yann Seyrer Rainer Oesterreich
Quelle 1959 russ./1964 dt., S. 367ff.[17] 1960 englisch, S. 32 H.: 1973, S. 104 und V.: 1974, S. 32, 38 1997, S. 111[18] 1981, S. 142f.[19]
1. Regulationsebene Operation nicht vorhanden sensumotorische progressive Handlungsausführung
2. Regulationsebene Handlung taktische perzeptiv-begriffliche stabil-flexible Handlungsplanung
3. Regulationsebene Tätigkeit strategische intellektuelle effizient-divergente Zielplanung
4. Regulationsebene nicht vorhanden nicht vorhanden nicht vorhanden koordinierende Bereichsplanung
5. Regulationsebene nicht vorhanden nicht vorhanden nicht vorhanden bestimmte, aber auch vorsichtige Erschliessungsplanung

Die Handlungsregulationstheorie will der Ebene des äußeren Handelns (etwa durch sensorische oder motorische Akte) und der Nutzung von Werkzeugen in Arbeitsprozessen besonders Rechnung tragen.

Aufbauend auf der Handlungsregulationstheorie wurden Instrumente zur Analyse von Arbeitstätigkeiten, wie zum Beispiel das Tätigkeitsbewertungssystem oder das VERA/RHIA[20], und die Führungsmatrix[21], die erste psycholinguistische Software zur automatischen Ermittlung persönlicher Stärken anhand natürlichen Sprechens geschaffen.

Im Bereich der Sportpsychologie ist ein von Jürgen R. Nitsch entwickeltes Modell einflußreich, das auf der klassischen Theorie der Handlungsregulation fußt.

Literatur

  • Peter Groskurth, Walter Volpert: Lohnarbeitspsychologie. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1975.
  • Winfried Hacker: Allgemeine Arbeitspsychologie : Psychische Regulation von Wissens-, Denk- und körperlicher Arbeit. 2. Aufl. Bern: Huber, 2005.

Einzelnachweise

  1. Miller, G. A.; Galanter, E.; Pribram, K. H.: Plans and the structure of behavior. New York: Holt, 1960 (deutsch: Strategien des Handelns. Stuttgart: Klett, 1972).
  2. Volpert, Walter: Sensumotorisches Lernen. Frankfurt am Main: Fachbuchhandlung für Psychologie, 1971. S. 21
  3. Volpert, Walter: Handlungsstrukturanalyse als Beitrag zur Qualifikationsforschung. 2. Aufl. Köln: Pahl-Rugenstein, 1983. S. VIII
  4. Volpert, Walter: Handlungsstrukturanalyse als Beitrag zur Qualifikationsforschung. Köln: Pahl-Rugenstein, 1974. S. 32 und 33.
  5. Volpert, Walter: Handlungsstrukturanalyse als Beitrag zur Qualifikationsforschung. Köln: Pahl-Rugenstein, 1974. S. 41
  6. Volpert, Walter: Handlungsstrukturanalyse als Beitrag zur Qualifikationsforschung. Köln: Pahl-Rugenstein, 1974. S. 46
  7. Volpert, Walter: Handlungsstrukturanalyse als Beitrag zur Qualifikationsforschung. Köln: Pahl-Rugenstein, 1974. S. 15
  8. Volpert, Walter: Handlungsstrukturanalyse als Beitrag zur Qualifikationsforschung. Köln: Pahl-Rugenstein, 1974. S. 15
  9. Volpert, Walter: Handlungsstrukturanalyse als Beitrag zur Qualifikationsforschung. Köln: Pahl-Rugenstein, 1974. S. 149
  10. Volpert, Walter: Sensumotorisches Lernen. Frankfurt am Main: Fachbuchhandlung für Psychologie, 1971. S. 21 Volpert, Walter: Handlungsstrukturanalyse als Beitrag zur Qualifikationsforschung. Köln: Pahl-Rugenstein, 1974. S. 58
  11. Hacker, Winfried: Allgemeine Arbeits- und Ingenieurspsychologie. Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1973. S. 92.
  12. ebd. 1973, S. 426
  13. Hacker, Winfried: Allgemeine Arbeits- und Ingenieurspsychologie. Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1973. S. 92-101
  14. Volpert, Walter: Untersuchungen über den Einsatz des mentalen Trainings beim Erwerb einer sensumotorischen Fertigkeit - Ein Beitrag zur Optimierung von Trainingsprogrammen. Köln: Deutsche Sporthochschule Köln, 1969. S. 40
  15. Hacker, Winfried: Allgemeine Arbeits- und Ingenieurspsychologie. Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1973. S. 92 101
  16. Volpert, Walther; Oesterreich, Rainer et. al.: Verfahren zur Ermittlung von Regulationserfordernissen in der Arbeitstätigkeit (VERA). Köln: Verlag TÜV Rheinland, 1983.
  17. Leontjew, Alexej: Probleme der Entwicklung des Psychischen. Berlin: Verl. Volk u. Wissen, 1959. S. 365-377.
  18. Seyrer, Yann: Differentielle Optimalentwicklung : zur Validierung eines entwicklungspsychologischen Ansatzes. Tübingen: dgvt, 1997.
  19. Oesterreich, Rainer: Handlungsregulation und Kontrolle. München: Urban & Schwarzenberg, 1981.
  20. Oesterreich, Rainer; Leitner, Konrad; Resch, Marianne: Analyse psychischer Anforderungen und Belastungen in der Produktionsarbeit : Das Verfahren RHIA/VERA-Produktion. Göttingen: Hogrefe, 2000.- ISBN 3-8017-1424-1
  21. Seyrer, Yann: Der Gefühlsspiegel : Formeln für persönliche Entwickeltheit und persönlichen Erfolg Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien: Lang 2003, ISBN 3-631-50870-0

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