Hidden curriculum

Hidden curriculum

Der Begriff heimlicher Lehrplan weist auf unausgesprochene Lernziele und ungewollte Lerneffekte in der Erziehung hin, die im offiziellen Lehrplan nicht erwähnt sind und diesem teilweise widersprechen.

Der Ausdruck „heimlicher Lehrplan“ wurde in den späten 1960er Jahren geprägt, wahrscheinlich durch Übernahme des englischen Ausdrucks „hidden curriculum“, der angeblich von Philip W. Jackson („Life In Classrooms“, 1968) eingeführt wurde. Die Wortwahl „heimlich“ ist wertend gemeint: die heimlichen Lernziele werden nicht offen kommuniziert, sondern unter- und unbewusst, durch einseitige Auswahl der Inhalte, durch Aufgreifen und Abbilden sozialer Strukturen in Lehrbüchern (Lebensentwürfe, Handlungsverteilung), Struktur der Erziehung sowie das Verhalten der Pädagogen, vermittelt.

Um 1970 wurde der Begriff „heimlicher Lehrplan“ in der Erziehungswissenschaft vornehmlich in gesellschaftskritischer Absicht verwendet. In dieser Sicht bewirkt Schule eine soziale Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse; Schüler werden dazu erzogen, im gegebenen Gesellschaftssystem zu funktionieren. Die Schule hat, wie viele Institutionen, einen Doppelcharakter: zwar verspricht sie Emanzipation und Aufklärung, veranlasst die Schüler aber zu Anpassung und stabilisiert damit das herrschende „System“ bzw. in der Gesellschaft verankerte Hierarchien.

In jüngerer Zeit wird verstärkt darauf hingewiesen, dass heimliche Lehrpläne Benachteiligungen zum Beispiel aufgrund des Geschlechts oder der Herkunft bewirken oder festigen können. So wird beim Bemühen um interkulturelle Erziehung darauf hingewiesen, dass eine eurozentristische Unterrichtsweise ausländische Schüler benachteiligt. Physik- wie auch Mathematik-Didaktiker bemühen sich, den heimlichen Lehrplan zu erkennen und zu verändern, der angeblich dazu führt, dass Mädchen innerhalb weniger Mittelstufenjahre ihr Interesse am Fach Physik verlieren. Eine mögliche Ursache wird in geschlechtlich unreflektiertem, männlich konnotiertem und dominiertem koedukativen Unterricht gesehen.

Dass Schule nicht nur Unterricht ist, sondern darüber hinaus gesellschaftliche Funktionen erfüllt, stellte in den 1950er Jahren der Begründer der soziologischen Systemtheorie, Talcott Parsons, in allerdings völlig unkritischer Absicht fest. Er sprach von den Erfordernissen der Selektion der Schüler auf soziale Rollen und der Sozialisation im Sinne des Verinnerlichens von Rollenstandards (vgl. den recht bekannten Aufsatz „Die Schulklasse als soziales System“ von 1955). Der Sache nach machte Eduard Spranger in seinem letzten Buch, „Das Gesetz der ungewollten Nebenwirkungen in der Erziehung“, bereits 1962 aufmerksam.

Schüler lernen nicht nur die Inhalte, die sie absichtlich lernen sollen, sondern sind auch Teil von Sozialisationsprozessen wie

  • nicht vom Lehrer gesteuerte Interaktionen in der Lerngruppe,
  • Verhalten in der Peer Group,
  • die Imitation von Vorbildern,

und ähnlichem.

Um im System Schule zu (über)leben, lernen Schüler Strategien und Taktiken,

  • wie man Erfolg bei Mitschülern oder bei der Lehrkraft hat,
  • wie man Unwissen verheimlicht,
  • wie man unangenehme Arbeit vermeidet,
  • wie man als Leerlauf empfundene Unterrichtszeit effektiv für Nebentätigkeiten nutzt;

und ähnliches.


Somit geht es laut Meyer

„[...] beim heimlichen Lehrplan um die lautlosen Mechanismen der Einübung in die Regeln und Rituale der Institution; es geht darum, sich an Oben und Unten, an Gutsein und Schlechtsein, an Auffälligwerden und Durchwursteln zu gewöhnen. Um es in den gängigen Fremdwörtern zu formulieren: es geht um die Einübung in hierarchisches Denken, in Leistungskonkurrenz und Normkonformität.“

Meyer 1988, S. 65


Literatur

  • John Taylor Gatto: Dumbing Us Down: The Hidden Curriculum of Compulsory Schooling, New Society Publishers, 2Rev. Ed. 2002, ISBN 0865714487
  • Klaus W. Döring: Lehrerverhalten. Weinheim 1989, S. 297 ff.
  • Hilbert Meyer: UnterrichtsMethoden. In: Theorieband. Frankfurt 1988, 2. Auflage.
  • Talcott Parsons: Die Schulklasse als soziales System. In: ders., Sozialstruktur und Persönlichkeit, Eschborn 1964.
  • Jürgen Zinnecker: Der heimliche Lehrplan. Weinheim 1975.

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