Eurozentrismus

Eurozentrismus

Unter Eurozentrismus versteht man die Beurteilung inner- und außereuropäischer Kulturkreise nach europäischen Vorstellungen und auf der Grundlage der in Europa entwickelten Werte und Normen. Europa nimmt im Eurozentrismus als Maßstab das alleinige Zentrum des Denkens und Handelns ein.[1]

Frühe eurozentrische Ausprägungen finden sich unter anderem deutlich in alten Enzyklopädien. So schreibt beispielsweise Zedler 1741 zum Lemma Europa:

„Obwohl Europa das kleinste unter allen 4. Teilen der Welt ist, so ist es doch um verschiedener Ursachen willen allen übrigen vorzuziehen. […] Es hat an allen Lebensmitteln einen Ueberfluß. Die Einwohner sind von sehr guten Sitten, höflich und sinnreich in Wissenschaften und Handwerken. “[2]

In der Brockhaus Enzyklopädie von 1854 heißt es zum Stichwort Europa, Europa sei seiner

„[…] terrestrischen Gliederung wie seiner kulturhistorischen und politischen Bedeutung nach unbedingt der wichtigste unter den fünf Erdtheilen, über die er in materieller, noch mehr aber in geistiger Beziehung eine höchst einflussreiche Oberherrschaft erlangt hat.“

Gegner des Konzepts relativieren den Eurozentrismus als eine Variante des Ethnozentrismus, der (in diversen Schattierungen) bei allen menschlichen Gesellschaften zu beobachten sei, beispielsweise im Selbstbild des chinesischen Kaiserreichs als „Reich der Mitte“, das sich als überlegener Mittelpunkt der Welt betrachtet und auf die umgebenden „barbarischen Völker“ herabgesehen habe (Sinozentrismus). Dabei entfallen allerdings einige konstitutive Merkmale des Eurozentrismus (europäische Expansion, koloniale Penetration, imperialistische Herrschaft, weltweite Dominanz).

Dagegen hat beispielsweise James M. Blaut die geistig-produktive Sphäre der globalen Führungsgesellschaften mit ethnografischen Mitteln untersucht und so die europäische Weltsicht als qualitativ mehr als „just another ethnocentrism“ kenntlich gemacht, nämlich als das aus Expansion und Herrschaftsanspruch erwachsene „colonizer’s model of the world“. Charakteristisch ist allerdings auch bei Blaut die Veräußerung von Irrationalität, Passivität oder Stagnation ans nichteuropäische „Outside“.

Samir Amin hat sich grundlegend dem Projekt zur Kritik des Eurozentrismus gewidmet. Er untersucht Eurozentrismus als eine neue mythologische Rekonstruktion der Geschichte Europas und der Welt im Kontext legitimatorischer ideologischer Konstruktionen der Gemeinschaft des Kapitalismus, die bei aller Selbstpräsentation als menschlicher Universalismus wesentlich anti-universal und herrschaftssichernd motiviert sind.

Literatur

  • Samir Amin: L’eurocentrisme, critique d’une idéologie. Paris 1988, engl. Eurocentrism, Monthly Review Press 1989, ISBN 0-85345786-7
  • Sebastian Conrad, Shalini Randeria (2002): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. ISBN 3-593-37036-0
  • J.M. Blaut: The Colonizer's Model of the World: Geographical Diffusionism and Eurocentric History . Guilford Press 1993, ISBN 0-89862348-0
  • J.M. Blaut: Eight Eurocentric Historians. Guilford Press, 2000, ISBN 1-57230591-6
  • Gerhard Hauck: Die Gesellschaftstheorie und ihr Anderes: wider den Eurozentrismus der Sozialwissenschaften, Münster 2003, ISBN 3-89691551-7
  • Vassilis Lambropoulos: The rise of eurocentrism: anatomy of interpretation. Princeton Univ. Press, Princeton NJ 1993.
  • Ella Shohat, Robert Stam: Unthinking Eurocentrism: multiculturalism and the media, Routledge 1994, ISBN 0-41506325-6
  • Ngugi wa Thiong'o: Die Befreiung der Kulturen vom Eurozentrismus. In: Moving the Centre. Essays über die Befreiung afrikanischer Kulturen. Unrast, Münster 1995, ISBN 3-928300-27-X

Weblinks

Einzelnachweise

  1. IIKD Glossar: Eurozentrismus
  2. Europa. In: Zedlers Universal-Lexicon, Band 8, Leipzig 1734, Spalte 2192–2196. – Zitat Spalte 2195 unten

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