- Hieratische Schrift
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Die hieratische Schrift ist eine mit den Hieroglyphen eng zusammenhängende Schrift, die ab dem 3. Jahrtausend v. Chr. in Ägypten gebraucht und mit Pinsel bzw. Binse auf Papyrus (oder ähnlich geeignetes Material wie Ostraka aus Kalkstein oder Ton) geschrieben wurde. Sie wurde bis ins 3. Jahrhundert n. Chr. benutzt. Obwohl sie in ihrer Grundstruktur unverändert blieb, gab es große Formunterschiede, die an bestimmte Textgattungen und Zeiten gekoppelt sind, so dass die Ägyptologie aufgrund des Hieratischen das Fachgebiet der Paläografie einschließt.
Inhaltsverzeichnis
Entwicklung
Anfänge
Ansätze des Hieratischen zeigen sich schon in der prädynastischen Zeit, wobei es sich um keine zusammenhängenden Texte, sondern vereinzelte Zeugnisse und Bruchstücke handelt. Das Hieratische ist nach heutigem Kenntnisstand nicht aus den Hieroglyphen abgeleitet worden, sondern vermutlich gleichzeitig mit diesen entstanden; in der Tat sind die ältesten bekannten hieratischen Textfragmente älter als die ältesten bekannten Hieroglyphen. In der Frühzeit unterschieden sich die beiden Schriften nur insoweit, als es das unterschiedliche Schreibmaterial - Stein bzw. Papyrus - erforderte.
Althieratisch
Aus dieser frühen, sehr eng an die Hieroglyphen gebundenen kursiven Schrift entstand das seit der 4. Dynastie belegte Althieratische, das den hieroglyphischen Formen immer noch verhältnismäßig direkt entspricht. Zu dieser Zeit wurde das Hieratische in senkrechten Zeilen geschrieben, die von rechts nach links auf dem Papyrusblatt angeordnet waren. Das Verschmelzen von zwei hieroglyphischen Zeichen in einem hieratischen Zeichen tritt erstmals auf (Ligaturen). Ligaturen entwickelten sich nur bei Zeichen, die oft hintereinander geschrieben wurden, so z. B. n und t, m und ˁ oder Ähnlichem. Sie waren ein kleiner, keineswegs dominierender Teil der Schriftsprache.
Mittelhieratisch
Dies entwickelte sich zum Mittelhieratischen, das im Mittleren Reich und der 2. Zwischenzeit sowie teilweise noch im Neuen Reich benutzt wurde. Hierbei teilt sich die Hieratische Schrift erstmals in zwei verschiedene Typen:
- eine einfachere, fast schon flüchtige Schrift für den Geschäftsgebrauch, die Kanzleischrift (oder auch Kursive, da sie im Alltag ebenfalls verwendet wurde).
- und die sorgfältigere, geschwungene Buchschrift, die sog. Unikale.
Im Mittelhieratischen vollzog sich der Übergang von senkrechten zu waagerechten Zeilen. Innerhalb der Zeilen wurde stets von rechts nach links geschrieben, die Zeilen waren von oben nach unten auf dem Blatt angeordnet.
Neuhieratisch
Das Neuhieratische findet sich seit der 18. Dynastie. Seit dem Neuen Reich trat eine immer stärker werdende Trennung zwischen dem literarisch-religiösen (Unikalen) und der Kanzleischrift ein. Die Unikalen wurde kalligraphischer, es kam jedoch auch zu einer Wucherung von Zeichen und schwungvollen Füllseln, was teilweise mit der hieroglyphen Schreibung des Neuägyptischen zusammenhängt. Die Kanzeleischrift dagegen verkürzte sich zum Ende des Neuen Reiches so extrem, dass der Stil teilweise als Abnormhieratisch bezeichnet wird. Besonders innerhalb des Neuhieratischen lassen sich verschiedene Stile, auch innerhalb der Unikalen und Kursive, feststellen. Nach der 3. Zwischenzeit wurde das Abnormhieratische aufgegeben.
Im Neuhieratischen lassen sich erstmals Unterschiede zwischen Theben und Memphis herausstellen.Ab 660 v. Chr. wurde sie allmählich durch die demotische Schrift ersetzt, blieb aber während mehrerer Jahrhunderte als sakrale Schrift bestehen.
Forschungsgeschichte
Der Entdecker des Hieratischen ist Jean-François Champollion; 1821 erkannte er das Hieratische als eine Schriftsprache (1 Jahr vor den Hieroglyphen). Adolf Erman wies bei den Märchen des Papyrus Westcar 17 verschiedene Handschriften nach und lieferte einen Anstoß zu Georg Möllers Hieratischer Paläographie. 2001 prägte Verhoeven das Wort Hieratogramm.
Parallelen und Unterschiede zu Hieroglyphen
Hieroglyphische und Hieratische Schrift beeinflussten sich wechselseitig; die Verbindung war zu jeder Zeit erkennbar. Fast alle hieratischen Zeichen (ausgenommen Ligaturen) haben eine hieroglyphische Entsprechung. Bei einigen Zeichen lässt sich dies auf den ersten Blick nachweisen (einige Tierhieroglyphen), bei einigen verlor sich die Ähnlichkeit im Laufe der Entwicklung. Das Hieratische ist jedoch ausschließlich linksläufig; die Schreibrichtung passt sich also nicht mehr an Bilder oder Ähnliches an. Die Orthographie des Hieratischen ist strenger als die der hieroglyphischen Schrift. Komplizierte Zeichen werden vermieden oder vereinfacht; lt. Sir Alan Gardiner übernimmt das Hieroglyphische dies vom Hieratischen. Das Hieratische kennt Verspunkte sowie Hervorhebung von Textstellen in roter Farbe.
Bearbeiten hieratischer Schriftstücke
Durch die Anordnung der Zeichen (Spalten oder Zeilen) kann eine Eingrenzung des Entstehungsdatums getroffen werden. Ein Ägyptologe, der sich auf Hieratistik spezialisiert hat, kann aufgrund des Schreibstils eine Datierung vornehmen.
Auch die Behandlung des Schriftstückes gibt Aufschluss über die Funktion: Wie oft es geknickt oder gefaltet ist, ob es gesiegelt oder gelocht ist, wie viele verschiedene Handschriften sich auf dem Manuskript finden und Ähnliches.
Die Übertragung ins Hieroglyphische erfordert einigen Instinkt, da nur für die bekanntesten Schriftstücke eine Paläografie existiert. Doch auch bei diesen können bekannte Zeichen fremd aussehen, so dass man auf Merkmale wie Schwung, Fortsätze, und Schriftrichtung des Zeichens (von oben nach unten oder von links nach rechts) achten muss.
Die Übertragung aus dem Hieratischen ist der Hauptgrund, weshalb es bei vielen literarischen Texten Abweichungen in der Transliteration in Hieroglyphen gibt: Die hieratischen Zeichen wurden unterschiedlichen Hieroglyphen zugeordnet.
Hieroglyphen Hieratisch Zeichennummer A1 D4 F4 N35 V31 Z2 Literatur
- Hans Goedicke: Old Hieratic Paleography. Halgo, Baltimore 1988. ISBN 0-9613805-4-3
- Georg Möller: Hieratische Paläographie. Die ägyptische Buchschrift in ihrer Entwicklung von der fünften Dynastie bis zur römischen Kaiserzeit. 4 Bände, Hinrichs, Leipzig 1909
- Ursula Verhoeven: Untersuchungen zur späthieratischen Buchschrift. Orientalia Lovaniensia analecta, Band 99 Peeters, Leuven 2001. ISBN 90-429-0932-3
- Stefan Wimmer: Hieratische Paläographie der nicht-literarischen Ostraka der 19. und 20. Dynastie. Harrassowitz, Wiesbaden 1995. ISBN 3-447-03776-8
Weblinks
Commons: Hieratische Schrift – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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