Hirnflüssigkeit

Hirnflüssigkeit

Der Liquor cerebrospinalis (Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit) ist eine klare und farblose Körperflüssigkeit, die mit der Gewebsflüssigkeit des Gehirns in Verbindung steht und daher auch in der Zusammensetzung sehr ähnlich ist. Entdecker des Liquors und seiner Kommunikationswege ist François Magendie. Der Liquor wird von speziell differenzierten Epithelzellen der Adergeflechte der Hirnkammern gebildet.

Inhaltsverzeichnis

Zusammensetzung

Rückfluss von Liquor bei der Durchführung einer Spinalanästhesie

Normaler Liquor ist wasserklar und farblos und enthält nur sehr wenige Zellen. Die meisten davon sind Lymphozyten (bis zu 3 pro µl Liquor) und in seltenen Fällen auch Monozyten. Die Lymphozyten sind überwiegend T-Lymphozyten, nur etwa 1 % der Lymphozyten im Liquor sind B-Lymphozyten (dagegen beträgt der Anteil der B-Lymphozyten an allen Lymphozyten im Blut etwa 5−10 %). Der Eiweißgehalt des Liquors liegt mit etwa 0,15 bis 0,45 Gramm je Liter Liquor deutlich unter dem durchschnittlichen Eiweißgehalt des Serums (75 g je Liter). Diese Eigenschaft kann genutzt werden, um mithilfe einer parallelen Albuminmessung in Liquor und Serum eine Störung der Blut-Liquor-Schranke zu diagnostizieren. Der normale Zuckergehalt beträgt 50 bis 70 % des Serum-Blutzuckerwertes.

Druck

Der Liquordruck im Liegen bei typischer Messung nach dem Steigrohrprinzip mittels Lumbalpunktion am Kreuz beträgt physiologischerweise 70–220 mmH2O (Wassersäule) (= etwa 690-2160 Pa) und schwankt rhythmisch um bis zu 20 mmH2O (etwa 200 Pa) je nach konkretem Puls, Atemtyp (gepresst oder entspannt) und Art zu Liegen. [1]

Anatomie

Man unterscheidet einen äußeren Liquorraum von einem inneren Liquorraum.

Äußerer Liquorraum

Das im Wirbelkanal (Canalis vertebralis) liegende Rückenmark sowie das im Schädel (Cranium) liegende Gehirn werden von zwei weichen (Pia mater und Arachnoidea, Leptomeninges), sowie einer harten Hirn- bzw. Rückenmarkshaut (Dura mater, Pachymeninx) umgeben. Zwischen den beiden weichen Hirnhäuten gibt es einen Spalt, den sog. Subarachnoidalraum, durch den der Liquor cerebrospinalis zirkuliert.

Innerer Liquorraum

Ausguss des Ventrikelsystems
Seitenansicht von rechts

Im Rückenmark stellt der Zentralkanal (Canalis centralis) ein Überbleibsel des Lumens des embryonalen Neuralrohrs dar, der aber für den Abfluss des Liquors keine Rolle mehr spielt. Ein häufig vorkommender Verschluss des Zentralkanals bleibt deshalb auch immer ohne Folgen. Im Gehirn entsteht aus dem Lumen des Neuralrohrs ein hintereinandergeschaltetes Liquorbildungs- und Transportsystem in Form von vier Hirnventrikeln:

  • zwei Seitenventrikel (Ventriculi laterales) im Telencephalon (Großhirn)
  • einen dritten Ventrikel (Ventriculus tertius) im Diencephalon (Zwischenhirn)
  • einen vierten Ventrikel (Ventriculus quartus) im Rhombencephalon (Rautenhirn)

Die beiden Seitenventrikel stehen über die Foramina interventricularia (Foramina Monroi) mit dem dritten in Verbindung. Von dort zieht das Aquädukt (Aquaeductus mesencephali) zum vierten Ventrikel, der sich in den Zentralkanal des Rückenmarks fortsetzt. Diese Hohlräume stammen vom Lumen des Neuralrohrs, aus dem das Zentralnervensystem entsteht. Das Ventrikelsystem steht zudem über zwei Aperturae laterales (Foramina Luschkae) sowie einer Apertura mediana (Foramen Magendii) mit dem Subarachnoidalraum, dem äußeren Liquorraum in Verbindung.

Liquorbildung

Erwachsene Menschen haben, entsprechend dem Volumen des Liquorraumes, etwa 120 bis 200 ml Liquor. Diese werden größtenteils in den Ventrikeln von den speziell differenzierten Epithelzellen des Plexus choroideus mit einer Geschwindigkeit von etwa 0,3 bis 0,4 ml pro Minute gebildet, vorwiegend durch eine Ultrafiltration des Blutes. Pro Tag entstehen etwa 500 bis 700 ml Liquor. Inwieweit Ependymzellen an der Sekretion beteiligt sind, ist noch Gegenstand aktueller Forschung.

Liquorresorption

Da täglich etwa 500-700 ml Liquor gebildet werden, muss dieser auch wieder resorbiert werden, da sonst der Hirndruck kontinuierlich ansteigen und ein Wasserkopf entstehen würde. Der Liquor gelangt von den Seitenventrikeln über das jeweilige Foramen interventriculare in den 3. Ventrikel, dann über das Aquädukt in den 4. Ventrikel und von dort einerseits in den Zentralkanal des Rückenmarks und andererseits über die seitlichen Öffnungen (Foramina Luschkae) und die untere Öffnung (Foramen Magendii) in den äußeren Liquorrraum, der vom Subarachnoidalraum gebildet wird. Für die Resorption sind Ausstülpungen der Arachnoidea verantwortlich, die im Schädel in die venösen Blutleiter der Dura mater ragen und Arachnoidalzotten (Pacchioni-Granulationen, Granulationes arachnoidales) genannt werden. Analog befinden sich auch in den Wurzeltaschen, die die Spinalnervenwurzeln umgeben, kleine Ausstülpungen, über die der Liquor in die Venen filtriert wird.

Im Bereich der Wurzeltaschen geht die Arachnoidea in das Perineurium über. Über diese Verbindung fließen pro Stunde einige Milliliter des Liquors entlang der Hirnnerven und Spinalnerven in die Peripherie ab, wo er durch das Lymphsystem resorbiert wird.

Funktion des Liquors

Die Hauptfunktion des Liquors besteht in der Polsterung des Gehirns und des Rückenmarks. Ernährungsfunktion und Beteiligung an Signalkaskaden sind umstritten und ebenfalls Gegenstand aktueller Forschung.

Diagnostik

Lumbalpunktion

Liquor kann zu diagnostischen Zwecken durch eine Punktion des Spinalkanals gewonnen werden (Liquorentnahme).

Eine solche Punktion wird vor allem bei Verdacht auf eine Entzündung im Bereich des Nervensystems durchgeführt (Meningitis, Enzephalitis, Enzephalomyelitis, Myelitis, Polyradikulitis), wie sie zum Beispiel im Rahmen einer Infektion des Gehirns und/oder Rückenmarks durch Bakterien, Viren, Pilze, Parasiten oder einer Autoimmunerkrankung (z. B. Multiple Sklerose) auftritt. Kleinere Subarachnoidalblutungen kann man manchmal nur durch eine Liquoruntersuchung nachweisen.

Entzündungen des Gehirngewebes oder der Hirnhäute (Meningitis) verändern die Liquor-Zusammensetzung: Die Zellzahl nimmt zu (Pleozytose), die Eiweißkonzentration steigt an, der Zucker im Liquor sinkt ab, Laktat steigt an. Des Weiteren kommt es im Liquor relativ zum Blut zu einem Anstieg der Immunglobuline. Dies wird unter Nutzung des Reiber-Diagrammes festgestellt.

Neben einer Zunahme der Zellzahl kann sich durch pathologische Prozesse auch die Zusammensetzung des Zellkompartiments verändern. So kommt es bei bakteriellen Hirnhautentzündungen zu einer massiven Invasion von neutrophilen Granulozyten in den Liquorraum, während sie physiologischerweise dort nicht anzutreffen sind. Hingegen wandern bei viral verursachten Entzündungsprozessen bevorzugt Lymphozyten in den Liquorraum. Weiterhin lässt auch die mikroskopisch beurteilte Zellmorphologie Rückschlüsse auf das Alter und den Aktivierungsstand von Zellen zu.

Manchmal lassen sich die Erreger (Bakterien, Viren) direkt nachweisen. Einen viralen Infekt erkennt man häufig nur indirekt durch die im Liquor im Vergleich zum Blut höhere spezifische Antikörper-Konzentration.

Wenn Tumorzellen im Liquor nachweisbar sind, ist dies ein Hinweis für einen Tumorbefall der Hirnhäute (Meningen). Man spricht dann von einer Meningeosis neoplastica. Untergruppen der Meningeosis neoplastica sind beispielsweise bei Karzinomerkrankungen eine Meningeosis carcinomatosa, bei Leukämien eine Meningeosis leukaemica oder bei Lymphomen eine Meningeosis lymphomatosa.

Makroskopische Beurteilung

Zur optischen Beurteilung des Liquors direkt nach seiner Gewinnung, hat sich die „Drei-Gläser-Probe“ bewährt. Dabei wird der Liquor in drei Reagenzgläsern fraktioniert. So lässt sich schon bei der Entnahme ein Artefakt durch Einbluten aus der Einstichstelle bei der Punktion von einer Subarachnoidalblutung unterscheiden, wenn das letzte Röhrchen klar bleibt.

Beurteilt werden Trübung und Färbung. Normaler Liquor ist klar und farblos. Sind deutlich erhöhte Leukozytenzahlen vorhanden, wird der Liquor leicht trüb bis hin zu sahnig/rahmig. Stark erhöhte Eiweißwerte führen zu einer gelblichen Färbung. Ebenso gelblich wird der Liquor bei älteren Subarachnoidalblutungen, wobei hier in der Regel auch die Erythrozyten eine trübe Rotfärbung herbeiführen. Um den manchmal schwachen Gelbstich erkennen zu können, wird das Reagenzglas vor eine weiße Fläche gehalten und bei Blutbeimengungen die Zellen im Röhrchen einige Minuten sedimentieren gelassen.

Auf diese Weise kann man grob, aber schnell, folgende wichtige Informationen erhalten:

leichte bis mäßige Trübung Leukozytenzahl erhöht
starke Trübung, höhere Viskosität klassisch bakteriell
gelblich (xanthochrom) Eiweißgehalt stark erhöht, Blutung, Stoppliquor
rötlich trüb Erythrozyten

Quellen

  1. Roche Lexikon Medizin, 5. Auflage (online-Version), unter Liquordruck

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