Humes Gesetz

Humes Gesetz

Als Humes Gesetz (auch Hume'sches Gesetz oder Sein-Sollen-Dichotomie) wird ein metaethisches Prinzip bezeichnet, wonach nicht von einem Sein auf ein Sollen geschlossen werden kann bzw. nicht von einer Menge rein deskriptiver Aussagen ohne weiteres auf normative oder präskriptive Aussagen logisch geschlossen werden kann.[1]

Inhaltsverzeichnis

Historische Formulierung durch David Hume

"Humes Gesetz" bezieht sich als Kurztitel auf ein Argument des schottischen Philosophen und Historikers David Hume (1711–1776). Er hob hervor, dass alle ihm bekannten Systeme philosophische Ethik von beschreibenden Aussagen über das, was ist (Sein) bzw. nicht ist übergehen auf Aussagen, was sein sollte bzw. nicht sein sollte. Beide Typen von Aussagen seien jedoch ganz verschiedenartig. Eine Deduktion von ersteren auf letztere sei schlichtweg unbegreiflich.

“In every system of morality, which I have hitherto met with, I have always remark’d, that the author proceeds for some time in the ordinary ways of reasoning, and establishes the being of a God, or makes observations concerning human affairs; when of a sudden I am surpriz’d to find, that instead of the usual copulations of propositions, is, and is not, I meet with no proposition that is not connected with an ought, or an ought not. This change is imperceptible; but is however, of the last consequence. For as this ought, or ought not, expresses some new relation or affirmation, 'tis necessary that it shou’d be observ’d and explain’d; and at the same time that a reason should be given; for what seems altogether inconceivable, how this new relation can be a deduction from others, which are entirely different from it... [I] am persuaded, that a small attention wou’d subvert all the vulgar systems of morality, and let us see, that the distinction of vice and virtue is not founded merely on the relations of objects, nor is perceiv’d by reason.

„Bei jedem System der Moral, das mir bislang begegnet ist, habe ich stets festgestellt, dass der Autor eine gewisse Zeit in der üblichen Argumentationsweise fortschreitet und begründet, dass es einen Gott gibt, oder Beobachtungen über menschliches Verhalten trifft; dann plötzlich stelle ich überrascht fest, dass anstatt der üblichen Satzverknüpfungen, nämlich ‚ist‘ und ‚ist nicht‘, ich nur auf Sätze stoße, welche mit ‚soll‘ oder ‚soll nicht‘ verbunden sind. Diese Änderung geschieht unmerklich. Sie ist jedoch sehr wichtig. Dieses ‚soll‘ oder ‚soll nicht‘ drückt eine neue Verknüpfung oder Behauptung aus. Darum muss sie notwendigerweise beobachtet und erklärt werden. Zugleich muss notwendigerweise ein Grund angegeben wird für dies, was vollständig unbegreiflich erscheint: Wie nämlich diese neue Verknüpfung eine logische Folgerung sein kann von anderen, davon ganz verschiedenen Verknüpfungen... Ich bin der Überzeugung, dass eine solche geringfügige Aufmerksamkeit alle gewohnten Moralsysteme umwerfen würde. Sie würde uns außerdem zeigen, dass die Unterscheidung von Laster und Tugend nicht nur auf den Verhältnissen von Objekten gründet und auch nicht mit der Vernunft wahrgenommen wird.“

David Hume: A Treatise of Human Nature (Buch III, Teil I, Kapitel I)

Dieser ironischen Nebenbemerkung in A Treatise of Human Nature zufolge unterliegen Humes moralphilosophische Zeitgenossen einem Fehlschluss. Dem Leser wird empfohlen, aufmerksam darauf zu achten, ob eine Erklärung oder Begründung für ihre Schlüsse von Beschreibungen auf Sollensaussagen angeführt wird.

Während Hume dahingehend verstanden werden kann, dass eine solche Schlussfolgerung prinzipiell ausgeschlossen ist, bildet die Frage, ob und wie man derartige Schlussfolgerungen tatsächlich begründen könnte, eine weiterhin wichtige Thematik der Metaethik, die oft mit dem Kurztitel Sein-Sollen-Problem bezeichnet wird.

Hume begründet sein Gesetz mit der Unterteilung des Bewusstseins in Vernunft (reason) und Wille. Die Aufgabe der Vernunft ist eine Übereinstimmung von Überzeugung und Wirklichkeit, anders gesagt die Erkenntnis von Wahrheit. Der Wille dagegen ist darauf ausgerichtet, die Wirklichkeit nach Wünschen und Absichten zu gestalten und besitzt eine menschliches Handeln motivierende Komponente. Die Vernunft ist ohne motivierende Kraft, der Wille andererseits richtet sich nicht nach einer objektiven Wahrheit.

Humes Trennung von Wille und Vernunft führt ihn zu der Auffassung, dass Sollen eine Beteiligung des Willens voraussetzt, da es sonst keine handlungsleitende Funktion haben kann. Andererseits haben moralische Urteile, da sie also nicht allein der Vernunft entspringen, keine Entsprechung in den Tatsachen und werden auch nicht völlig mit diesen zur Übereinstimmung gebracht. Im Alltäglichen Gebrauch enthalten ethische Begriffe und Urteile jedoch in gemischter Form vorkommen, vorschreibende und beschreibende Inhalte.

Der „naturalistische Fehlschluss“ von G. E. Moore

Die Unmöglichkeit, vom Sein auf ein Sollen zu schließen, wird nach George Edward Moore (1873–1958) auch als Naturalistischer Fehlschluss bezeichnet. Moores Konzept des „naturalistischen Fehlschlusses“ ist gegen jede naturalistische Ethik gerichtet, die versucht, Wertbegriffe auf naturwissenschaftliche Begriffe zurückzuführen, man sagt auch „zu reduzieren“.

Moore betont die Eigenständigkeit eines ethischen Bereichs. Somit ist gut ein ethischer und mithin nichtnaturaler Begriff. Der Unterschied zu Humes Gesetz besteht in der Annahme dieses nichtreduzierbaren Bereichs des Ethischen, der der (natur-)wissenschaftlichen Methode ihrem eigenen Verständnis nach widerspricht. Als Begründung dient Moore das Argument der offenen Frage, wonach auf jede Begriffsklärung gefragt werden kann: „Das Objekt ist X, aber ist es auch gut?“ – zum Beispiel: „Es war evolutionär erfolgreich, aber war es auch ethisch gut?“

Skeptische Konsequenz?

Verbindet man das Sein-Sollen-Problem mit Humes Gabelung (der Idee, dass alle Wissensbereiche entweder auf (analytischer) Logik und Definitionen oder auf (empirischer) Erfahrung und Beobachtung beruhen), so wird die Gültigkeit normativer Aussagen fragwürdig. Wenn Sollens-Behauptungen weder in analytischen noch in empirischen Sätzen vorkommen können, so ist die Konsequenz, dass es kein moralisches Wissen gibt. Diese Problematik führte unter anderem zum moralischen Skeptizismus und zum Nonkognitivismus.

David Hume selbst sah die Wurzel moralischer Werte letztlich in Gefühl und Tradition. Er stellte aber auch fest, dass es für den Menschen letztendlich gleichgültig sei, welchen Ursprung seine moralischen Überzeugungen hätten (ob objektiv feststellbar oder nur in seiner subjektiven Weltsicht begründet), da sie für sein Verhalten die gleiche „Realität“, also die gleiche handlungsleitende Kraft besäßen.

Die Kritik an Humes Gesetz greift vor allem die Abgrenzbarkeit normativer und deskriptiver Begriffe an. In der im 20. Jahrhundert bedeutsamen rechtsphilosphischen Schule des Rechtspositivismus, so etwa in der Reinen Rechtslehre von Hans Kelsen, wird allerdings die strenge Trennung von Sein und Sollen vorausgesetzt.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. So eine heute übliche Paraphrase, vgl. beispielsweise Gillian Russell: In Defence of Hume’s Law, in: Charles Pigden (Hg.): Hume on Is and Ought, Palgrave MacMillan, New York 2010.

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