Hans Kelsen

Hans Kelsen
Büste Hans Kelsens in der Universität Wien.

Hans Kelsen (* 11. Oktober 1881 in Prag im damaligen Österreich-Ungarn; † 19. April 1973 in Orinda bei Berkeley, USA) gilt als einer der bedeutendsten Rechtswissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Er erbrachte insbesondere im Staatsrecht, im Völkerrecht sowie als Rechtstheoretiker herausragende Beiträge. Er zählte gemeinsam mit Georg Jellinek und dem Ungarn Félix Somló zur Gruppe der österreichischen Rechtspositivisten, deren Denken er mit seinem Hauptwerk, der Reinen Rechtslehre, maßgeblich beeinflusste. Kelsen gilt als Architekt der österreichischen Bundesverfassung von 1920, die großteils bis heute in Kraft steht, und wird neben H. L. A. Hart als der einflussreichste Vertreter des Rechtspositivismus im 20. Jahrhundert angesehen.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kelsen entstammte einer deutschsprachigen jüdischen Familie in Prag. Der Vater Adolf Kelsen (1850–1907) stammte aus Brody im östlichen Galizien, seine Mutter Auguste Löwy (1860–1950) aus Neuhaus in Böhmen.

Gedenktafel an Kelsens ehemaliger Schule
Zeichnung Hans Kelsens während seiner Zeit in Wien

Studium und Lehrtätigkeit in Wien

Die Familie zog bald nach Wien; sein Vater wollte dort mit seinem Lampengeschäft expandieren. Hans besuchte zunächst eine private evangelische Volksschule, auf die ihn seine Eltern bald nicht mehr schicken konnten, da sein Vater in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Kelsen besuchte danach eine städtische Volksschule, was er zeitlebens als Demütigung empfand. Danach absolvierte er das durchaus elitäre Akademische Gymnasium in Wien, das einige später berühmt gewordene Absolventen aufweist. Einer seiner Schulkollegen war Ludwig von Mises, später Professor für Nationalökonomie und Verfechter des wirtschaftlichen Liberalismus. 1905 trat Kelsen aus pragmatischen Gründen zum römisch-katholischen Glauben über, 1912, in dem Jahr, in dem seine „Staatslehre des Dante Alighieri“ erschien, wechselte er zur Evangelischen Kirche des Augsburger Bekenntnisses.

Kelsen studierte an der Universität Wien Rechtswissenschaften und habilitierte sich 1911 in Staatsrecht und Rechtsphilosophie. Außerdem besuchte er ein Seminar der Universität Heidelberg, wo er dem Staatsrechtsprofessor Georg Jellinek (1851–1911) begegnete. 1912 ehelichte Kelsen Margarete Bondi (1890–1973). Das Paar hatte zwei Töchter: Hanna (1914–2001) und Maria (1915–1994).

1917 wurde Kelsen außerordentlicher Professor an der Universität Wien, 1919 Ordinarius. Zu seinen Schülern zählten unter anderen Hersch Lauterpacht und Leo Gross.

Berater des letzten k.u.k. Kriegsministers

Während des Ersten Weltkrieges wurde Kelsen vorerst als wehruntauglich eingestuft und kurzzeitig in der zentralen Hemdenvergabestelle eingesetzt. In der Folge war er als Mitarbeiter des letzten k.u.k. Kriegsministers, Rudolf Stöger-Steiner, an militärpolitischen Plänen beteiligt, die von der zu erwartenden Ablösung der österreichisch-ungarischen Realunion durch eine bloße Personalunion ausgingen.

Kelsen befasste sich u. a. in einem Aufsatz mit der dann erforderlichen Teilung der k.u.k. Armee in eine österreichische und eine ungarische Armee. Diese Teilung fand schließlich auf Grund des von Kaiser Karl I. in seiner Funktion als König Karl IV. von Ungarn sanktionierten Beschlusses Ungarns, die Realunion aufzukündigen, am 31. Oktober 1918 statt, allerdings ohne dass der gemeinsame Kriegsminister, der gemeinsame Ministerrat oder die k.k. österreichische Regierung noch irgendeinen Einfluss darauf nehmen konnte.

Verfassungsexperte der Republik Österreich

Nach Ausrufung des am 30. Oktober 1918 gegründeten Staates Deutschösterreich als Republik am 12. November 1918 wurde Kelsen vom sozialdemokratischen Staatskanzler Karl Renner immer wieder als Experte für Verfassungsfragen herangezogen. Im März 1919 wurde er mit der Ausarbeitung der Verfassung des neuen Staates beauftragt. Das von der Konstituierenden Nationalversammlung beschlossene Bundes-Verfassungsgesetz vom 1. Oktober 1920 ist zwar nicht, wie es oft heißt, von ihm allein verfasst, aber von ihm maßgeblich mitgestaltet worden. Das so genannte B-VG (der Bindestrich grenzt es von auf Grund der Verfassung erlassenen Bundesverfassungsgesetzen ab) gilt in der Fassung von 1929 (Stärkung der Rechte des Bundespräsidenten, Neugestaltung des Verfassungsgerichtshofes) mit den sich wegen des EU-Beitritts 1995 ergeben habenden Modifikationen bis heute.

Verfassungsrichter

1919 wurde Kelsen – als parteiunabhängiger Experte – Mitglied des Verfassungsgerichtshofes (VfGH). Die Tätigkeit als Verfassungsrichter und vor allem die behauptete Nähe zur Sozialdemokratischen Partei trugen ihm, nachdem ab 1920 konservative Regierungen tätig waren, viel Kritik ein. Der sozialdemokratische Wiener Bürgermeister Jakob Reumann hatte entgegen dem Ersuchen des konservativen Innenministers die Aufführung von Arthur SchnitzlersReigen“ nicht verboten; die Verfassungsklage der Bundesregierung gegen Reumann scheiterte. Reumann hatte weiters ohne Genehmigung der Regierung ein Krematorium in Wien errichten lassen; der VfGH erkannte, er habe sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden.

Besonderen Anstoß nahmen die Konservativen an einem familienrechtlichen VfGH-Erkenntnis. Die Ehescheidung war damals in Österreich noch nicht eingeführt. Der sozialdemokratische niederösterreichische Landeshauptmann, Albert Sever, hatte jedoch per Dispens die standesamtliche Wiederverheiratung nach einer Trennung gestattet; man sprach von so genannten „Dispensehen“ oder „Sever-Ehen“. Hatte der von der Bundesregierung dagegen angerufene Oberste Gerichtshof diese Ehen für ungültig erklärt, so hob der Verfassungsgerichtshof die Dispensehen nicht auf und entfachte damit wütende Reaktionen der katholischen Kirche und der Christlichsozialen[1]. Kelsen wurde beschuldigt, das „Mastermind“ hinter diesen VfGH-Erkenntnissen gewesen zu sein.

Anlässlich der Neugestaltung des Verfassungsgerichtshofes 1929 / 1930 wurden die Mandate der bisherigen Verfassungsrichter ex lege beendet. Die konservative Bundesregierung nahm Kelsen nicht in ihren auf Grund der Verfassungsnovelle 1929 zu erstellenden Ernennungsvorschlag an den Bundespräsidenten für von ihr zu besetzende Mandate auf. Die Sozialdemokraten, stärkste Fraktion im Nationalrat, boten ihm an, ihn auf die Liste der vom Nationalrat zu wählenden Verfassungsrichter aufzunehmen. Kelsen lehnte das Angebot ab, weil er nicht Richter von Gnaden einer Partei werden wollte.

Kelsen in Köln, Genf und Prag

Kelsen verließ Österreich in der Folge und wurde 1930 auf Anregung des konservativen Oberbürgermeisters Konrad Adenauer[2] Professor für Völkerrecht an der Universität zu Köln. Dort wurde er 1933 auf Grund seiner jüdischen Abstammung von den Nationalsozialisten - auch unter Mitwirkung von Carl Schmitt - seines Amtes enthoben.

Er trat eine Professur am Institut universitaire de hautes études internationales der Universität Genf an und nahm außerdem, von der tschechoslowakischen Regierung berufen, ab 1936 an der Prager deutschen Karl-Ferdinands-Universität einen Lehrauftrag wahr, wodurch gewalttätige Proteste der NS-nahen Sudetendeutschen ausgelöst wurden. „Es kam zum offenen Kampf zwischen Nationalen und Gemäßigten, … im Hörsaal mussten“, wie Thomas Olechowski ermittelt hat, „zwei Kriminalbeamte stehen“[2]. Nach nur drei Semestern war Kelsens Prager Tätigkeit beendet, er kehrte, nun von Geldsorgen geplagt, nach Genf zurück.

Kelsen in den Vereinigten Staaten

1940 emigrierte Kelsen in die USA. An der Harvard University erhielt er ein Ehrendoktorat, aber keine feste Anstellung. 1942 wechselte er an die University of California, Berkeley, wo er 1945 zum „Full Professor“ ernannt wurde und bis 1957 in der Politikwissenschaft lehrte.

Von Österreich wurde Kelsen nach 1945 in die Österreichische Akademie der Wissenschaften aufgenommen und offiziell geehrt, jedoch nicht zur Rückkehr nach Wien eingeladen.

Hauptbetätigungsfelder Kelsens

Überblick

Kelsens Lebenslauf in der Ausstellung „90 Jahre Bundesverfassung“ 2010 in Wien.

Kelsen, der philosophisch dem Marburger Neukantianismus nahestand, war der Begründer der Reinen Rechtslehre, mit der er den Rechtspositivismus auf eine neue theoretische Grundlage stellte. Die von ihm geprägte Verfassungsgerichtsbarkeit wirkte als Beispiel in ganz Europa. Er bekam elf Ehrendoktorate (Utrecht, Harvard, Chicago, Mexiko-Stadt, Berkeley, Salamanca, FU Berlin, Wien, New School of Social Research New York, Paris, Salzburg) für sein Lebenswerk.

Geistige Antipoden waren Carl Schmitt, Hermann Heller oder Rudolf Smend, die ein stärker soziologisches, manchmal auch als „geisteswissenschaftlich“ bezeichnetes Rechtsverständnis hatten (s. auch Der juristische und der „soziologische“ Staatsbegriff in der Weimarer Staatstheorie).

Ein zentrales Anliegen Kelsens war die Verteidigung der Freiheit, insbesondere der geistigen Freiheit, gegen jegliche Form der Unterdrückung. Ausdruck fanden diese Ideen des demokratisch und ideologiekritisch eingestellten Rechtsphilosophen in seiner klassischen Schrift "Staatsform und Weltanschauung" sowie im Aufsatz "Verteidigung der Demokratie".

Rechtstheorie

Hans Kelsen wurde von Horst Dreier als der "Jurist des 20. Jahrhunderts" bezeichnet. Tatsächlich war sein Streben nach einer formalen Analyse des Rechts prägend für den deutschsprachigen Raum. Dabei vertrat Kelsen einen rein formalen Standpunkt, den er bereits in "Hauptprobleme der Staatsrechtslehre" herausarbeitete: In Abkehr von Georg Jellinek begriff er den Staat erstmals nicht mehr anhand der soziologisch tatsächlichen Kategorien "Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt". Kelsen sah den Staat vielmehr als die Gesamtheit von rechtlichen Sollenssätzen. Daher ist Hauptmerkmal des Staates in Anlehnung an Kant das Vorhandensein einer objektiven Rechtsordnung.

Die einzelnen Rechtsnormen werden in ihrer Entstehung durch eine in der von Adolf Merkl entwickelten Normenpyramide höherstehende Rechtsnorm bedingt und jede Rechtsnorm bedingt ihrerseits wiederum das Entstehen einer im Rang niedrigeren Norm (Stufenbau der Rechtsordnung). Dadurch gelangt man allerdings in einen unendlichen Regress, da über jeder Norm eine höhere stehen müsste. Um dieses Problem zu lösen, führte Kelsen die so genannte hypothetische Grundnorm ein.

Die hypothetische Grundnorm dient als transzendentallogische Voraussetzung, um die Geschlossenheit eines Rechtssystems zu gewährleisten. Eine Norm gehöre nämlich nur dann einer Rechtsordnung an, wenn sie sich auf diese Grundnorm zurückführen lasse. Ursprünglich meinte Kelsen, dass die Grundnorm eine Hypothese sei, später ging er dazu über, in ihr eine Fiktion zu sehen.

Kelsen legte größten Wert auf die Unterscheidung der Kategorien Sollen und Sein (siehe Humes Gesetz). Allein auf Grund der Tatsache, dass etwas ist, kann nicht darauf geschlossen werden, dass es auch so sein soll. Es handelt sich daher um verschiedene Denkkategorien im Sinne Immanuel Kants. Normen gehören dem Bereich des Sollens an. Ihre spezifische Existenz wird Geltung genannt. Eine Norm kann ihre Geltung nur von einer anderen – höheren – Norm herleiten, niemals aus einer bloßen Tatsache (etwa Macht).

Gegenstand der Rechtswissenschaft sind nach Kelsen ausschließlich Rechtsnormen. Natürlich gibt es auch andere Normensysteme wie Sitte und Moral; Letztere ist aber Gegenstand der Ethik, die sich eben mit Normen der Moral befasst. Der Rechtswissenschaftler hat in seiner Darstellung des geltenden Rechts nicht zu prüfen, ob eine Norm nach bestimmten Moralvorstellungen gerecht oder ungerecht erscheint. Dies wäre eine unzuverlässige Vermengung von verschiedenen Normensystemen und widerspräche der Forderung nach Reinheit der Rechtslehre.

Kennzeichnend für Kelsens System ist, dass er sich aus methodologischen Gründen gegen das „Naturrecht“ wendet. Als „Naturrecht“ wird ein System von Rechtsgrundsätzen bezeichnet, in dem die gleichbleibende Natur des Menschen als vernünftiges Wesen aus der Natur der Dinge abgeleitet wird, wobei der Ursprung wie auch die Geltung vom menschlichen Handeln unabhängig sind, so dass diese ein über der positiven Rechtsordnung eigenständiges Dasein führen können. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, was die hypothetische Grundnorm anderes als Naturrecht bzw. eine Norm aus der Natur der Sache sein soll.

Kelsen räumte aber auch ein, dass bei der Rechtsgestaltung und Rechtserzeugung ethische und soziologische Fragen eine Rolle spielen.

Soziologie

Hans Kelsen erhielt mehrere Ehrendoktorwürden verliehen, unter anderem von der „New School of Social Research

Auf dem Gebiet der Soziologie ist vor allem an seinen Briefwechsel mit Eugen Ehrlich (Kelsen-Ehrlich-Debatte) zu denken, in dem der Rechtspositivismus Kelsens auf das Rechtsverständnis Ehrlichs trifft, das der damals noch herrschenden Begriffsjurisprudenz durch einen stärkeren Bezug zur Rechtswirklichkeit entgegentritt. Kelsen trennte in dieser Diskussion zwischen der Soziologie und dem Recht. Die strikte Trennung beruht darauf, dass die Soziologie genauso eine Seinswissenschaft sei wie die Mathematik, wie jede Naturwissenschaft. Diesen Wissenschaften ist gemein, dass sie Aussagen treffen über etwas, das dem Beweis zugänglich ist und damit als wahr oder falsch bestimmt werden kann. Die Rechtswissenschaft ist jedoch eine Sollenswissenschaft, deren Aussagen weder verifiziert noch falsifiziert werden können. Das liegt daran, dass die Rechtswissenschaft Aussagen alleine darüber trifft, ob etwas sein soll, ob etwas gelten soll, getan, geduldet oder unterlassen werden soll. Solche Aussagen können nur gültig sein oder nicht gültig sein. Als sein auf diesem Gebiet bedeutendstes Werk wird allerdings "Der soziologische und der juristische Staatsbegriff" aus dem Jahre 1922 angesehen.

Staatslehre

Kelsen selbst war ein Verfechter der Demokratie, wenngleich er auch nicht zögerte, ihre Schwächen beispielsweise in seiner Denkschrift "Vom Wesen und Wert der Demokratie", 1920 erstmals erschienen, aufzudecken. Die Demokratie sei die einzige Staatsform, die sogar ihren ärgsten Feind an ihrer Brust nähren würde. Die Weimarer Republik hat diese Schwäche auf dem Weg ins Jahr 1933 schmerzlich erfahren müssen. Ebenfalls im Jahre 1920 wurde Kelsens Auseinandersetzung mit dem Marxismus unter dem Titel "Sozialismus und Staat, eine Untersuchung zur politischen Theorie des Marxismus", veröffentlicht. Sozialismus war für Kelsen nur durch den Staat möglich, nicht aber ohne den Staat. Er gab damit der Idee Lassalles vom Staatssozialismus den Vorzug gegenüber der marxistischen Theorie.

Staatsrecht

Kelsen wird mit Recht als der Begründer der modernen Verfassungsgerichtsbarkeit angesehen. Er gilt zwar weithin als der Schöpfer der österreichischen Bundesverfassung von 1920, mitgearbeitet hat er allerdings nur an dem Teilbereich der Verfassungsgerichtsbarkeit. Grundgedanke war, die legislatorischen Akte (Rechtsschöpfungsakte) letztinstanzlich durch ein aus der Fachgerichtsbarkeit ausgegliedertes Gericht kontrollieren zu lassen. Dadurch wird eine einheitliche Rechtsanwendung ermöglicht und einer rechtlichen Zersplitterung entgegengewirkt. Dass Kelsens Theorie sich nicht vollkommen in der Praxis durchsetzte, zeigte der Streit der Fachgerichtsbarkeit mit dem österreichischen Verfassungsgerichtshof, an dem auch Kelsen Richter war, über die Auslegung der Voraussetzungen einer Ehescheidung. Während Kelsen und der Verfassungsgerichtshof davon überzeugt waren, eine wirksame Ehescheidung liege schon bei einer staatlichen Scheidungsentscheidung vor, beharrten die Fachgerichte auf dem Standpunkt, hierfür bedürfe es zwingend eines kirchlichen Aktes. Die Folge war, dass Kelsen sein Richteramt niederlegte und Wien verließ. In Köln traf Kelsen auf Carl Schmitt und antwortete auf dessen Staatsansicht mit der Schrift "Wer soll der Hüter der Verfassung sein". Schmitt propagierte das System der absoluten Macht mit der These "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet", Kelsen konnte dem das Prinzip der Verfassungsgerichtsbarkeit entgegenstellen. Im Zuge der Gleichschaltung unter der NSDAP wurde Kelsen eindringlichst aufgefordert, die Universität zu Köln zu verlassen. Eine Petition, unterzeichnet von der gesamten Kölner Rechtslehrerschaft mit Ausnahme von Carl Schmitt, blieb erfolglos.

Völkerrecht

Plakat zur Ausstellung „Hans Kelsen und die Bundesverfassung“ im Bezirksmuseum Josefstadt 2010.

Die rechtstheoretischen Überlegungen für die angewendete Konstruktion beim Viermächte-Status wie der Bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht gehen mit auf Arbeiten Kelsens zurück.[3]

Den Alliierten war bereits im Verlaufe des Zweiten Weltkrieges bewusst gewesen, dass sie im Falle der militärischen Besetzung Deutschlands keine handlungsfähige Regierung mehr antreffen würden. Die Alliierten übernahmen demnach die Aufgaben des besiegten Deutschen Reichs als Staats- und Völkerrechtssubjekt als Ganzes, ohne sich dieses anzueignen.

Während seiner Zeit in Berkeley befasste sich Kelsen eindringlicher mit der Anwendung seiner Normenlehre auf das Völkerrecht. So hat er einen heute immer noch in großen Teilen gültigen Kommentar zum Recht der Vereinten Nationen verfasst.

Zitate

„Aber nicht minder häufig kann man hören: Die Reine Rechtslehre sei gar nicht imstande, ihre methodische Grundforderung zu erfüllen und sei selbst nur der Ausdruck einer bestimmten politischen Werthaltung. Aber welcher? Faschisten erklären sie für demokratischen Liberalismus, liberale oder sozialistische Demokraten halten sie für einen Schrittmacher des Faschismus. Von kommunistischer Seite wird sie als Ideologie eines kapitalistischen Etatismus, von nationalistisch-kapitalistischer Seite bald als krasser Bolschewismus, bald als versteckter Anarchismus disqualifiziert … Kurz, es gibt überhaupt keine politische Richtung, deren man die Reine Rechtslehre noch nicht verdächtigt hätte. Aber das gerade beweist besser, als sie es selbst könnte: ihre Reinheit.“

Reine Rechtslehre. 2. Auflage 1960, Vorwort, S. V

„Die Suche nach dem Geltungsgrund einer Norm kann nicht, wie die Suche nach der Ursache einer Wirkung, ins Endlose gehen. Sie muß bei einer Norm enden, die als letzte, höchste vorausgesetzt wird. Als höchste Norm muß sie vorausgesetzt sein, da sie nicht von einer Autorität gesetzt sein kann, deren Kompetenz auf einer noch höheren Norm beruhen müßte. … Eine solche als höchste vorausgesetzte Norm wird hier als Grundnorm bezeichnet.“

Reine Rechtslehre. S. 197

„… Darum kann jeder beliebige Inhalt Recht sein.“

Reine Rechtslehre. S. 201

„Demokratie ist diejenige Staatsform, die sich am wenigsten gegen ihre Gegner wehrt. Es scheint ihr tragisches Schicksal zu sein, daß sie auch ihren ärgsten Feind an ihrer eigenen Brust nähren muß.“

Verteidigung der Demokratie. 1932, S. 97f.

„Man muß seiner Fahne treu bleiben, auch wenn das Schiff sinkt; und kann in die Tiefe nur die Hoffnung mitnehmen, daß das Ideal der Freiheit unzerstörbar ist und daß es, je tiefer es gesunken, um so leidenschaftlicher wieder aufleben wird.“

Verteidigung der Demokratie. 1932

Auszeichnungen (Auszug)

Hans Kelsen-Institut und Hans-Kelsen-Forschungsstelle

Aus Anlass des 90. Geburtstages von Hans Kelsen beschloss die österreichische Bundesregierung am 14. September 1971, eine Stiftung zu gründen, die den Namen „Hans Kelsen-Institut” trägt. Das Institut nahm seine Tätigkeit 1972 auf; seine Aufgabe ist es, die Reine Rechtslehre und ihren wissenschaftlichen Widerhall im In- und Ausland zu dokumentieren, darüber zu informieren und die weitere Durchdringung, Fortführung und Entwicklung der Reinen Rechtslehre zu fördern. Zu diesem Zweck gibt es u.a. im Verlag Manz eine eigene Schriftenreihe heraus, in der bis jetzt 33 Bände erschienen sind. Das Institut verwaltet die Rechte Kelsens an seinen Publikationen und verwahrt seinen wissenschaftlichen Nachlass, aus dem immer wieder postum Schriften veröffentlicht wurden und werden (so etwa 1979 die Allgemeine Theorie der Normen).

Zu Geschäftsführern des Hans Kelsen-Instituts wurden 1972 Kurt Ringhofer und Robert Walter bestellt, welche dieses Amt bis zu ihrem Tod 1993 bzw. 2010 innehatten. Die gegenwärtigen Geschäftsführer sind Clemens Jabloner (seit 1993) und Thomas Olechowski (seit 2011).

2006 wurde an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg die „Hans-Kelsen-Forschungsstelle“ unter Leitung von Matthias Jestaedt gegründet. Nach dessen Berufung an die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg 2011 wurde auch die Forschungsstelle dorthin transferiert. Die Hans-Kelsen-Forschungsstelle gibt in Kooperation mit dem Hans Kelsen-Institut eine historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke Kelsens im Mohr Siebeck Verlag heraus.

Hauptwerke Hans Kelsens

  • Die Staatslehre des Dante Alighieri. Wien, 1905
  • Hauptprobleme der Staatsrechtslehre. 1911, 2.und bearbeitete Aufl. Tübingen 1923
  • Vom Wesen und Wert der Demokratie Mohr, Tübingen 1920 (2. überarbeitete und erweiterte Auflage 1929, Neudruck der 2. Auflage bei: Scientia, Aalen 1981, ISBN 3-511-00058-0).
  • Österreichisches Staatsrecht. Tübingen 1923
  • Allgemeine Staatslehre. Berlin 1925
  • Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus. Charlottenburg 1928
  • Wer soll der Hüter der Verfassung sein? Berlin-Grunewald, 1931
  • Reine Rechtslehre Leipzig 1934; 2. Aufl. 1960
  • Vergeltung und Kausalität . geschrieben Den Haag 1941, veröffentlicht Chicago 1946
  • Society and Nature: a Sociological Inquiry. Chicago, London 1943
  • General Theory of Law and State. Cambridge 1945
  • The Law of the United Nations. New York 1950
  • Was ist Gerechtigkeit? Deuticke Wien 1953
  • Principles of International Law. 1952, 2. Aufl. 1966)
  • Sozialismus und Staat. Eine Untersuchung der politischen Theorie des Marxismus, Wien 1965
  • Allgemeine Theorie der Normen. Hrsg aus dem Nachlaß von Kurt Ringhofer + Robert Walter, Wien 1979
  • Werke. Hrsg. von Matthias Jestaedt. In Kooperation mit dem Hans-Kelsen-Institut, ISBN 978-3-16-149420-8.
    • Band 1 Veröffentlichte Schriften 1905 und 1910 und Selbstzeugnisse, erschien Tübingen 2007, ISBN 978-3-16-149419-2

Einzelnachweise

  1. Eric Frey: Frühes Exil ohne versöhnliche Heimkehr, Bericht über die von Thomas Olechowski derzeit verfasste wissenschaftliche Kelsen-Biografie, in: Tageszeitung Der Standard, Wien, 3. März 2010, S. 16
  2. a b Frey, a.a.O.
  3. Matthias Etzel, Die Aufhebung von nationalsozialistischen Gesetzen durch den Alliierten Kontrollrat (1945-1948), Band 7 von Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, Verlag Mohr Siebeck, 1992, ISBN 3-16-145994-6

Sekundärliteratur

  • Brunkhorst, Hauke: Rechts-Staat: Staat, internationale Gemeinschaft und Völkerrecht bei Hans Kelsen, Nomos, Baden-Baden 2008.
  • Fränkel, Karl Joachim: Recht und Gerechtigkeit bei Hans Kelsen. Diss. Köln 1965.
  • Heidemann, Carsten: Die Norm als Tatsache. Zur Normentheorie Hans Kelsens, Nomos, Baden-Baden 1997.
  • Koja, Friedrich (Hg.): Hans Kelsen oder die Reinheit der Rechtslehre. Böhlau Verlag, Wien-Köln-Graz 1988.
  • Dreier, Horst: Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, Nomos, Baden-Baden 1986.
  • Jestaedt, Matthias (Hg.): Hans Kelsen. Werke. Band 1. Veröffentlichte Schriften 1905–1910 und Selbstzeugnisse. Mohr Siebeck, Tübingen 2007. ISBN 978-3-16-149419-2
  • Jöckel, Wilhelm: Hans Kelsens rechtstheoretische Methode. Darstellung und Kritik ihrer Grundlagen und hauptsächlichsten Ergebnisse. Scienta Verlag, Aalen 1977.
  • Leser, Norbert: Hans Kelsen (1881–1973), in: Neue Österr. Biographie, Bd. 20, Wien 1979, S 29-39.
  • Métall, Rudolf Aladár : Hans Kelsen Leben und Werk. Verlag Österreich: Wien 1969.
  • Métall, Rudolf Aladár (Hrsg.): 33 Beiträge zur Reinen Rechtslehre. Wien 1974.
  • van Ooyen, Robert Chr.: Der Staat der Moderne. Hans Kelsens Pluralismustheorie, Duncker & Humblot, Berlin 2003
  • van Ooyen, Robert Chr. (Hrsg.): Hans Kelsen: Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, Mohr Siebeck, Tübingen 2008.
  • van Ooyen, Robert Chr.: Hans Kelsen und die offene Gesellschaft, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2010.
  • Paulson, Stanley L./Stolleis, Michael (Hrsg.): Hans Kelsen. Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts. Mohr Siebeck, Tübingen 2005.
  • Günther Schefbeck: Hans Kelsen und die Bundesverfassung, in: Bezirksmuseum Josefstadt (Hrsg:) Hans Kelsen und die Bundesverfassung. Geschichte einer josefstädter Karriere. Ausstellungskatalog. Wien 2010, S. 48–57.
  • Schild, Wolfgang: Die zwei Systeme der Reinen Rechtslehre. Eine Kelseninterpretation. In: Wiener Jahrbuch für Philosophie, 4 ( 1971), S 150–194.
  • Schlüter-Knauer, Carsten: „Die kontroverse Demokratie: Carl Schmitt und Hans Kelsen mit und gegen Ferdinand Tönnies,“ in: Uwe Carstens u. a., Verfassung, Verfasstheit, Konstitution, Books on Demand, Norderstedt 2008, S. 41–86
  • Walter, Robert: Hans Kelsen als Verfassungsrichter. Manz, Wien 2005. ISBN 3-214-07673-6.
  • Walter, Robert/Ogris, Werner/Olechowski, Thomas (Hrsg.): 'Hans Kelsen: Leben, Werk, Wirksamkeit. Manz, Wien 2009
  • Ziemann, Sascha: Die „Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts“ / „Revue Internationale de la Théorie du Droit“ (1926 bis 1939). Einführende Bemerkungen zur ersten rechtstheoretischen Zeitschrift moderner Prägung nebst Bibliographie und Register, in: Rechtstheorie 2007 (Heft 1), S. 169–195 [enthält eine Bibliographie zu der von Kelsen mitherausgegebenen Zeitschrift].

Weblinks

 Commons: Hans Kelsen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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