Ich-Erzählperspektive

Ich-Erzählperspektive

Die Erzählperspektive eines erzählenden Textes (Epik) ist eine Antwort auf die Frage „Wo sieht und spricht der Erzähler?“ oder auch "Was kann der Erzähler wissen?". In der Literaturwissenschaft gibt es, entsprechend den verschiedenen Erzähltheorien, auch zahlreiche Modelle von Erzählperspektiven. Die Erzählperspektive kann von der Erzählhaltung unterschieden werden.

Inhaltsverzeichnis

Begriffe

In der Erzähltheorie ist die Erzählperspektive meist eine von mehreren Kategorien, die man zur Analyse eines erzählenden Textes braucht. Stanzel unterscheidet etwa zwischen Person, Modus und Perspektive. Der Begriff der Erzählperspektive betrifft das Verhältnis des Erzählers zu der Hauptfigur und der erzählten Welt, der Autor spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.

Bei einer Ich-Erzählung ist die Frage nach der Erzählperspektive scheinbar leichter zu klären. Die betonte Subjektivität markiert einen eingeschränkten Standpunkt, denn ein Ich-Erzähler kann nicht alles über die erzählte Welt wissen. Demgegenüber hat ein auktorialer, also allwissender Erzähler unbegrenzten Zugang zu allen Informationen der erzählten Welt. In vielen Abhandlungen wird unter Perspektive sowohl räumliche und zeitliche Distanz, als auch Subjektivität und Objektivität, also nicht nur Zugang zu Informationen, sondern auch Wertung verstanden. Trennschärfer ist daher das Modell von Genette, der strikt unterscheidet zwischen Modus (Wer sieht) und Stimme (Wer spricht).

Im Englischen wird die Erzählperspektive auch als point-of-view bezeichnet. Der point-of-view in der Literaturwissenschaft muss dabei aber deutlich vom filmischen Point-of-View-Shot unterschieden werden, denn jener bezeichnet eine Einstellung, die den Blick einer Figur wiedergibt, in der Literatur dagegen wird unter dem point-of view die Perspektive für ganze Szenen oder den ganzen Text verstanden. Im Unterschied zur Beobachterperspektive fällt bei der Erzählperspektive das Augenmerk nicht nur darauf, was ein Beobachter wahrnimmt, sondern auch darauf, was er wie berichten will.

Der Begriff Perspektive ist natürlich eine Metapher, denn in der Literatur wird nur mit Worten erzählt. Das Medium Literatur kann nicht zeigen (showing) sondern nur erzählen (telling). Durch eine detailgenaue Schilderung einer Umgebung kann also beim Leser der Eindruck entstehen, als „sehe er es selbst“, was Roland Barthes den „Wirklichkeitseffekt“ nennt und von Genette als Mimesis-Illusion bezeichnet wird (weil sich Mimesis nach Platon nur auf die Nachahmung von wörtlicher Rede beziehen kann).[1]

Ansätze

Die Kunst des Erzählens ist es gerade, mit unklaren Standpunkten zu spielen. Häufig begegnen sich widersprüchliche Erzählerstandorte wie die Gleichzeitigkeit von Innen- und Außenperspektive (Mise en abyme). Daher können Versuche, Erzählperspektiven einzuordnen und mit Modellen und Typologien festzuhalten, immer nur teilweise gelingen. Als Verständnishilfe können solche Abstraktionen allerdings sinnvoll sein.

Erzählperspektive bei Stanzel

Ein verbreitetes Schema ist das typologische Modell der Erzählsituationen von Franz K. Stanzel. Es unterscheidet, ob Erzählerfiguren eine Innen- oder Außenperspektive innehaben (Perspektive), ob der Erzähler mit der Figur identisch ist oder nicht (Person) und ob eine Erzählerfigur deutlich in Erscheinung tritt (Modus). Auf der Ebene des Modus unterscheidet er daher auch den Erzähler von einer Reflektorfigur, womit meistens die Hauptfigur gemeint ist, aus deren Perspektive sich die Geschichte entfaltet.

Ein konkretes Beispiel, das sich in Stanzels Typenkreis sehr nahe an dem idealtypischen Modell der Personalen Erzählung orientiert, wäre die erlebte Rede, in der keine Erzählerstimme von der Figurenrede zu unterscheiden ist. Hier wäre der Erzähler zwar nicht mit der Figur identisch, wie in der Ich-Erzählung, hätte aber eine Innenperspektive.

Erzählperspektive bei Genette

Gérard Genette unterscheidet, im Unterschied zu Stanzel, zwischen Modus (Wer sieht?) und Stimme (Wer spricht?). Die Begriffe Distanz und Fokalisierung beziehen sich dabei auf den Modus, der Begriff der Diegese auf die Stimme. Die Fokalisierung bezeichnet, was der Erzähler über die Figur und die Erzählte Welt weiß, die Distanz (oder Nähe) lässt sich von der Art der Rede (direkte Rede, indirekte Rede usw.) ableiten.

Der Erzähler kann nach Genette in der Handlung als Figur vorkommen, also Teil der Diegese sein, oder nicht. Beide Erzählsituationen können jeweils weiter unterschieden werden in „von innen-analysierte Ereignisse“ und „von außen beobachtete Ereignisse“:[2]

Von innen analysierte Ereignisse Von außen beobachtete Ereignisse
Der Erzähler kommt in der Handlung als Figur vor 1. Der Held erzählt die Geschichte 2. Ein Zeuge erzählt die Geschichte
Der Erzähler kommt in der Handlung nicht als Figur vor 4. Der allwissende Autor erzählt die Geschichte 3. Ein außenstehender Autor erzählt die Geschichte

Siehe auch

Siehe zur Klärung der Begriffe auch Erzähltheorie.

Literatur

  • Mieke Bal: Narratology: Introduction to the Theory of Narrative. University of Toronto Press, Buffalo 1997, ISBN 0-8020-7806-0.
  • Gérard Genette: Die Erzählung. UTB, Stuttgart 1998, ISBN 3-8252-8083-7.
  • Herbert Kraft: Exkurs: Über auktoriales und personales Erzählen. In: ders.: Um Schiller betrogen. Pfullingen (= Neske) 1978.
  • Herbert Kraft: Kafka. Wirklichkeit und Perspektive. Bern (= Peter Lang) ²1983.
  • Fabienne Liptay/Yvonne Wolf (Hrsg.): Was stimmt denn jetzt ? Unzuverlässiges Erzählen in Literatur und Film. Edition Text + Kritik, München 2005, ISBN 3-88377-795-1.
  • Franz K. Stanzel: Theorie des Erzählens. UTB, Göttingen 1995, ISBN 3-8252-0904-0.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Gérard Genette: Die Erzählung. UTB, Stuttgart 1998, S. 118
  2. Gérard Genette: Die Erzählung. UTB, Stuttgart 1998, S. 132

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