Jainismus

Jainismus

Der Jainismus, auch Jinismus (Sanskrit, जैन, m., Jaina, [dʒaɪnʌ], Anhänger des Jina) ist eine in Indien beheimatete Religion, die etwa im 6./5. Jahrhundert v. Chr. entstanden ist. Ein historisch fassbarer Gründer ist Mahavira (um 599–527 v. Chr). Dem Jainismus gehörten 2001/02 etwa 4,4 Millionen Gläubige an, davon etwa 4,2 Millionen in Indien.[1]

Jaina-Tempel, Ranakpur, Rajasthan/Indien

Inhaltsverzeichnis

Tirthankara

Marmorornament im Haupttempel in Ranakpur

Die geistigen Führer des Jainismus werden als Tirthankara (Furtbereiter) bezeichnet, um ihre Funktion als Mittler zwischen der materiellen und der spirituellen Welt zu verdeutlichen. Von dem für ihren historisch fassbaren Begründer Mahavira verwendeten Ehrentitel Jina (Sieger) erhielt die Religion ihren Namen.

Das Kalpa-Sutra, eine heilige Schrift der Jainas, verzeichnet 24 Tirthankaras. Die Geschichten von Rishabha, dem ersten Tirthankara, sowie von Neminatha, Parshavanatha und Mahavira, den 22.–24. Tirthankaras, sind in dieser Schrift ausführlicher geschildert. Nur die letzten beiden gelten als historische Persönlichkeiten. Mahavira (Sanskrit „der große Held“) begründete den Jainismus im 6. Jh. v. Chr., während sein Vorgänger Parshavanatha ca. 350 Jahre vorher gelebt haben soll.

Nach der dualistisch orientierten Vorstellung des Jainismus wechseln sich Zeitalter (Kalpa), in denen die menschlichen Tugenden und spirituellen Fähigkeiten wachsen, und solche des Niedergangs auf ewig ab. In jedem Zeitalter erscheinen 24 Tirthankaras. Das gegenwärtige Äon gilt als ein Zeitalter des Verfalls.

Nach Parshavanatha soll der Berg Parasnath benannt sein, auf welchem Parshavanatha der Legende nach sein Nirvana erreichte. Mit seinen 24 Tempeln, die die 24 Tirthankaras symbolisieren, ist der Berg ein bedeutender Pilgerort. Ein anderes bekanntes Heiligtum ist Shravanabelagola.

Religionsgeschichte

Tirthankara-Statue in einem Jain-Tempel in Mumbai (Bombay)
Die Swastika, eines der meistverwendeten Symbole des Jainismus

Der Jainismus hat wie der Buddhismus seine Wurzeln im Brahmanismus, der Vorgängerreligion des Hinduismus. Nach der Überlieferung der Gemeinde war der erste Tirthankarasi Rishabha, (um 1500 v. Chr.), ein Asket in der Stadt Pithunda, die Mahapadma Nanda später zerstörte. Aus der mythologischen Kette der 24 jainistischen Propheten lassen sich die letzten zwei auch historisch belegen: Parshva und Mahavira.

Parshva (Parsvantha) (der 23. Tirthankara, * um 872 v. Chr.) war der Sohn eines Königs von Benares. Er sagte dem Reichtum ab, wurde Asket und erhielt ein absolutes Wissen. Er gründete acht Gemeinden, woraus möglicherweise Mahavira entstammte, und soll im Alter von 100 Jahren gestorben sein.

Vardhamana Mahavira, Sohn des Königs Siddhartha, wurde in Kundalpur im Königreich Vaishali (heute Bihar) geboren. Einige Quellen datieren seine Geburt auf 599 v. Chr., also vor Buddha (ca. 560 v. Chr.), andere gehen davon aus, dass Mahavira jünger als Buddha sei und 539 oder 549 v. Chr. geboren worden sei. Mahaviras Mutter Trishala war im Traum die messianische Mission Mahaviras vorhergesagt worden.

Ähnlich wie Buddha verließ Mahavira im Alter von 28-30 Jahren seine Familie sowie das Königreich, ließ alles zurück und wurde Asket. 12 Jahre lebte er zurückgezogen in Wald- und Bergregionen und führte ein Leben in mönchischer Existenz, bis er in die Gesellschaft zurückkehrte, um seine Lehren zu verkünden.

Im Gegensatz zum Buddhismus richtet sich der Jainismus nicht als Reaktion gegen den Adel der brahmanischen Gesellschaft, sondern sieht sich eingebettet in die traditionellen philosophischen Überzeugungen. Mahavira war einerseits der Begründer einer neuen eigenständigen Lehre, suchte andererseits Reformen des bestehenden Systems. Der Hinduismus sah in der neuen Lehre aufgrund ihres Rigorismus keine Konkurrenz.

Der erste König des Maurya-Reichs im 4. Jahrhundert v. Chr., Chandragupta Maurya, soll im Alter seinen Thron verlassen haben und jainistischer Asket geworden sein. Nach dieser Zeit verbreitete sich der Jainismus in Südindien, wohin ein großer Teil der Gemeinde auswanderte. Viele indische Könige bekehrten sich zum Jainismus und unterstützten ihn. Auch im Osten Indiens in Andhra Pradesh und Orissa, dem Wirkungsbereich Mahaviras, blühte der Jainismus. Im westlichen Indien etablierte er sich in Gujarat unter der Herrschaft Kumarpals. Die islamische Invasion im 13. Jahrhunderts behinderte die Ausbreitung des Jainismus, führte aber nicht zu seinem Verschwinden, da eine hohe Selbstdisziplin und mönchisches Engagement für Resistenz sorgten. Eine Angleichung an den Hinduismus war im Mittelalter die Übernahme von Kastenregeln in abgeschwächter Form.

Philosophie

Innenansicht eines Jain-Tempels in Sarnath

Der Jainismus geht davon aus, dass sich in der Welt zwei Prinzipien gegenüber stehen: Geistiges und Ungeistiges. Das Geistige beruht auf einer unendlichen Anzahl individueller Seelen (Jiva). Das Ungeistige umfasst die 5 Kategorien: Bewegung, Ruhe, Raum, Stoff und Zeit. Alles Stoffliche ist beseelt, nicht nur Menschen und Tiere, sondern auch Pflanzen oder Wasser.

Die ursprüngliche Reinheit und Allwissenheit der Seele (Jiva) wird jedoch durch feinstoffliche Substanzen, die als Folge von Karma eindringen, getrübt. Dies zwingt zum Verbleib im Kreislauf der Wiedergeburten (Samsara), bis alles Karma getilgt ist. Eine solche Reinigung der Seele wird im Jainismus durch sittliche Lebensweise und strenge Askese erreicht. Ist eine Seele von allen Verunreinigungen befreit, so steigt sie in den höchsten Himmel auf, um dort in ruhiger Seligkeit zu verharren. Dieses Stadium erreichen jedoch nicht alle Seelen. Die sogenannten abhavya jivas („unfähige Seelen“) können aufgrund ihrer natürlichen Veranlagung nie aus Samsara befreit werden.

Ethik

Reichhaltig verzierte Brüstung in einem Jain-Tempel in Jaisalmer

Die drei ethischen Grundprinzipien des Jainismus sind Ahimsa (Gewaltlosigkeit gegenüber allen Lebewesen), Aparigraha (Unabhängigkeit von unnötigem Besitz) und Satya (Wahrhaftigkeit). Wegen des Ideals der Nichtverletzung von Lebewesen ernähren sich Jainas ausschließlich so, dass weder Tier noch Pflanze dafür sterben müssen. Bedingt durch diese Prinzipien, üben Anhänger des Jainismus nicht jeden Beruf aus, weshalb sie beispielsweise oft im Handel und im Bankgewerbe arbeiten. Wegen der Strenge der Lebensführung war die Gemeinde nie sehr groß. Die Laien konnten wegen des Gewaltlosigkeitgebots weder in der Landwirtschaft arbeiten (beim Pflügen könnten Lebewesen verletzt werden), noch konnten sie sich dem Kriegshandwerk widmen.

Schulen

Jainas bilden nach ihrer Religionsauffassung zwei Gruppen, die Digambaras, „Luftgekleidete“ im Süden, deren Mönche den Abbildungen ihres Stifters entsprechend traditionell unbekleidet leben und die Shvetambaras, die „Weißgekleideten“ im Norden. Der Unterschied liegt im Traditionsverständnis, das sich aus dem jeweiligen Schrifttum ergibt.

Zeitliche Einordnung

Nach der Ansicht einiger Anhänger des Jainismus gehen die Ursprünge auf die nichtarische Zeit, die sogenannte dravidische Periode im dritten evtl. sogar 4. Jahrtausend v. Chr. zurück. Mahavira stellte demnach nur den letzten einer langen Reihe von Jaina-Lehrern dar. Wie auch im Hinduismus schätzen die Anhänger des Jainismus die eigene Religion somit wesentlich älter ein als Religionswissenschaftler und Indologen.

Die heterodoxe Religion (da sie die Veden nicht anerkennt) wurde von den Brahmanen zwar immer bekämpft, konnte sich aber nach einer Blütezeit im Mittelalter bis heute halten.

Literatur

  • Franz Bätz: Heilige Berge, Tempelstädte und Asketen. Der Jainismus – eine lebendige Kultur Indiens. Weishaupt, Wolfsberg 1997, ISBN 3-7059-0049-8.
  • Paul Dundas: The Jains. Routledge, Oxford 2002.
  • Erich Frauwallner: Geschichte der indischen Philosophie. Bd. 1. Otto Müller Verlag, Salzburg 1953.
  • Helmuth von Glasenapp: Der Jainismus. Eine indische Erlösungsreligion. Olms, Hildesheim 1984, ISBN 3-487-00628-6.
  • Phyllis Granoff (Hrsg.): Victorious Ones. Jain Images of Perfection. Mapin Publishing, Ahmedabad 2009, ISBN 978-81-89995-29-4. 2009 (Katalog zur Ausstellung im Rubin Museum of Art, New York, 18. September 2009 bis 15 Februar 2010).
  • Julia A. B. Hegewald: Jaina Temple Architecture in India. The Development of a Distinct Language in Space and Ritual. G+H Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-940939-09-8.
  • Gabriele Rosalie Helmer: Geschichten aus dem Jainismus, AVM, München 2010, ISBN 978-3-89975-369-1.
  • Vilas Adinath Sangave: Le Jaïnisme. Maisnie, Tredaniel 1999, ISBN 2-84445-078-4.
  • Walther Schubring: Worte Mahaviras. Kritische Übersetzung aus dem Kanon der Jaina. Verlag Vanderhoeck&Rubrecht, Göttingen 1926. (Hrsg. Religionsgeschichtliche Kommission bei der Gesellschaft der Wissenschaft zu Göttingen, Quellen der Religionsgeschichte Gruppe 7, Band 14)
  • N. Shanta: La Voie jaina. Œil, 1990, ISBN 2-86839-026-9.
  • Nicole Tiffen: Le Jaïnisme en Inde. Weber, Genf 1990, ISBN 7-04-744063-1
  • Robert J. Zydenbos: Jainism Today and Its Future. Manya, München 2006 (keine ISBN, englisch).

Einzelnachweise

  1. Encyclopedia Britannica-Online: Worldwide Adherents of All Religions by Six Continental Areas, Mid-2002
    Völkszählung 2001, Daten nach Census Data 2001 >> India at a glance >> Religious Composition, Website des Registrar General & Census Commissioner, Republik Indien zum Census 2001.

Weblinks

 Commons: Jainism – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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