- Kalām
-
Das arabisch-persische Wort Kalam (arabisch كلام) bedeutet in der Grundbedeutung „Rede“, „Gespräch“, „Worte“, in der Sprache des Islams vor allem in der Zusammensetzung Ilm al-Kalam (علم الكلام, DMG ʿIlm al-Kalām) wörtlich „Wissenschaft der Worte“, aber eigentlich „Theologie“.
Als „der Kalam“ wird in einem engeren Sinn eine Sammlung theologischer Schriften bezeichnet.
Die systematische Theologie tritt im Islam oft hinter der islamischen Rechtswissenschaft (Fiqh) zurück und stand nur in den ersten Jahrhunderten nach Mohammed in Blüte. Die islamische Rechtswissenschaft betrachtete die Theologie meist argwöhnisch, da man um die „Reinheit“ des Glaubens fürchtete und teils in institutioneller Konkurrenz stand. Die Rechtswissenschaft begrenzte den Bereich theologischer Debatten auf das notwendigste (z. B. Hanafiten) oder verdrängte sie sogar völlig (z. B. Wahhabiten).
Der Kalam wurde besonders im 9. Jh. stark von der Rezeption der altgriechischen Philosophie beeinflusst. Debatten und Konzepte des Kalam haben Einfluss auf islamische Philosophen wie Alfarabi (Alfarabius), Ibn Sina (Avicenna) und Ibn Ruschd (Averroës) gehabt. Insbesondere über diese Theoretiker sowie direkter über Spanien (Andalusien) und jüdische Philosophen (Saadia Gaon, ibn Daud, Maimonides im Führer der Unschlüssigen) haben Begriffe und Argumente des Kalam auch Eingang und teilweise Wertschätzung in abendländische Diskussionen gefunden. Auch die islamische Mystik (bes. der Sufismus) ist nach Auffassung einiger Historiker bis in die Gegenwart durch Anfänge der islamischen Theologie geprägt.
Die muslimische Theologie hat die unterschiedlichsten Schulen hervorgebracht, darunter die Aschariten, deren Gründer Abu l'Hasan al-Asch'ari zugleich als deren größter Gelehrter gilt. Wie er versucht auch Abu Mansur al-Maturidi, die Theologie der Mu'tazila und anderer rationalistischer Schulen zu widerlegen. Während eine solche argumentative Widerlegung notwendigerweise zugleich mit der Nutzbarmachung theologischer Konzepte zusammenging, lehnten besonders dogmatische Gruppen wie die Wahhabiten oder die Ahl-i Hadîth den Kalam in jeder Form ab.
Die Gelehrten des Kalam heißen Mutakallimun („die Sprechenden“, „die Redenden“). Seit dem späten 9. Jahrhundert wurden mit diesem Begriff insb. durch die Mu'taziliten meist deren Gegner (z. B. Abu Mansur al-Maturidi) bezeichnet.
Literatur
- Cook, M.: Early Muslim dogma A source-critical study. London 1981.
- Dhanani, A.: The Physical Theory of Kalam, Atoms, Space, and Void in Basrian Mu‘tazili Cosmology. Islamic Philosophy, Theology and Science. Text and Studies, xiv. Leiden 1994.
- Ess, J. van: The Logical Structure of Islamic Theology, in: G.E. von Grunebaum (Hg.): Logic in Classical Islamic Culture. Wiesbaden 1970
- Ess, J. van: Disputationspraxis in der islamischen Theologie. Eine vorläufige Skizze, in: Revue des études islamiques 44 (1976), 23-60.
- Ess, J. van: Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert Hidschra. Eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen Islam, 6 Bde. Berlin/ New York 1991-1997.maßgebliches Standardwerk
- Fakhry, Majid: Ethical Theories in Islam, Islamic Philosophy, Theology and Science Texts and Studies 8. Leiden 1994.
- Frank, Richard M.: Beings and Their Attributes. The Teaching of the Basrian School of the Mu‘tazila in the Classical Period. Albany 1978.
- Gardet, L., M.M. Anawati: Introduction à la théologie musulmane. Essai de théologie comparée. (Etudes de philosophie médiévale, xxxvii). Paris 1948.
- Martin, R.; Woodward, M.R.: Defenders of Reason in Islam. Mu‘tazilism from Medieval School to Modern Symbol. Oxford 1997.
- Nagel, Tilman: Geschichte der islamischen Theologie, Von Mohammed bis zur Gegenwart, C.H.Beck 1994, ISBN 978-3-406-37981-9.besonders leicht zugängliche Einführung
- Watt, W.M.: The Formative Period of Islamic Thought. Edinburgh 1973.
- Watt, W.M.: Islamic Philosophy and Theology. Edinburgh 1979.
- Wolfson, H.A.: The Philosophy of the Kalam. Cambridge, Mass 1976.nach heutiger Quellenlage und Forschungsstand in vielem veraltet
Wikimedia Foundation.