Kinderorthopädie

Kinderorthopädie

Die Kinderorthopädie ist ein Spezialgebiet der Orthopädie, das sich mit angeborenen und erworbenen Deformitäten und Erkrankungen des Bewegungsapparates bei Kindern und Jugendlichen beschäftigt. Mit unfallbedingten Schäden und Verletzungen beschäftigt sich hingegen die Kindertraumatologie.

Inhaltsverzeichnis

Historisches

Der Begriff „Orthopädie“ geht auf kindliche Deformierungen und deren Korrektur zurück, anfangs wurden in orthopädischen Heilanstalten oft über Monate Kinder mit Fehlstellungen, wie Klumpfuß oder Skoliose, behandelt. Bereits im Altertum wurden kinderorthopädische Therapien vorgeschlagen, die sich teilweise heute noch – mit neuartigerem Material – wieder finden. So geht die Klumpfuß-Redression auf Hippokrates zurück, damals mit Papyrusstreifen.

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts beschäftigte sich die gesamte Orthopädie vor allem mit Kindern und Jugendlichen. Im 20. Jahrhundert lag der Schwerpunkt auf der Behandlung der Folgeschäden der Poliomyelitis und der Knochentuberkulose. Erst mit Aufkommen der Erwachsenen-Orthopädie, u. a. mit der Möglichkeit des Gelenkersatzes, gerieten die Kinder und Jugendlichen in die Minderheit. In der Folge setzte sich eine Spezialisierung zur Kinderorthopädie durch. Aktuell geben 3,4 Prozent der US-amerikanischen Orthopäden an, dass sie hauptsächlich kinderorthopädisch tätig sind.

Die erste Fachgesellschaft war die amerikanische POSNA (Pediatric Orthopedic Society of North America), die auf Initiative von Prof. M. Tachidijan aus Chicago und weiteren führenden amerikanischen Kinderorthopäden Anfang 1970 gegründet wurde. Im Hôpital Bretonneau (Tours, Frankreich) wurde die EPOS (European Paediatric Orthopaedic Society) 1982 als Zusammenschluss der nationalen kinderorthopädischen Vereinigungen und interessierter einzelner Kinderorthopäden gegründet, die seither jährliche Fachkongresse gestaltet und gemeinsam mit der POSNA internationale Weiterbildungskurse ausrichtet. Erst 1987 wurde in Stuttgart die Vereinigung für Kinderorthopädie gegründet, die inzwischen eine Sektion der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) ist und jährliche Kongresse sowie Fortbildungen zur Kinderorthopädie veranstaltet.

Neben den allgemeinen orthopädischen Fachzeitschriften existiert ein spezielles Journal of Paediatric Orthopaedics. Das erst 2007 begonnene Journal of Children’s Orthopaedics ist die neue offizielle Zeitschrift der EPOS.

Seit 2005 haben die meisten deutschen Landesärztekammern einen Schwerpunkt Kinderorthopädie eingeführt, den Fachärztinnen und Fachärzte für Unfallchirurgie und Orthopädie erlangen können, wenn sie eine mindestens zweijährige Weiterbildung in speziellen hierfür befugten kinderorthopädischen Abteilungen absolvieren, in dieser Zeit einen Katalog notwendiger Ausbildungsinhalte und Operationen erfüllen und eine mündliche Prüfung bestehen.

Lehrstühle für Kinderorthopädie existieren im deutschsprachigen Raum lediglich in Basel (Prof. Hefti) und Heidelberg (Prof. Carstens), jedoch verfügen die meisten größeren orthopädischen Kliniken und auch viele Kinderkliniken über eigenständige kinderorthopädische Abteilungen.

Spektrum

Auch in der Kinderorthopädie existiert eine weitere Subspezialisierung, einzelne Zentren beschäftigen sich mit speziellen und seltenen Erkrankungen und Operationstechniken (z. B. „Deutsches Skoliosezentrum“ in Bad Wildungen, spezialisierte kinderhandchirurgische Abteilungen, neuropädiatrische Zentren, u. a.). Hiervon abgesehen umfasst die allgemeine Kinderorthopädie jedoch das gesamte Spektrum kindlicher und jugendlicher Erkrankungen des Bewegungsapparates. In der Übersicht sind vor allem die folgenden Bereiche nennenswert:

  • An der Hüfte sind dies z. B. die Hüftdysplasie und Hüftluxation, die kindliche Hüftkopfnekrose (Morbus Perthes) und die Wachstumsfugenlösung/Hüftkopfgleiten (Epiphyseolysis capitis femoris).
  • An den unteren Extremitäten gehören zu typischen kinderorthopädischen Krankheitsbildern u. a. der Klumpfuß, Knicksenkfuß, Sichelfuß, X- und O-Beinfehlstellungen (Genu valgum und Genu varum) und Beinverkürzungen.
  • Typische Wirbelsäulen-Fehlbildungen sind die Skoliose, die jugendliche BWS-Kyphose Morbus Scheuermann, das Wirbelgleiten (Spondylolisthesis), die angeborene Querschnittlähmung / offener Rücken (Spina bifida), sowie der muskuläre Schiefhals (Torticollis)
  • Nicht organbezogene kinderorthopädische Erkrankungen sind z. B. die Spastik, die Muskeldystrophie (Morbus Duchenne u. a.), bakterielle und rheumatische Gelenk- und Knochenentzündungen (Osteomyelitis, Arthritis), gutartige und bösartige Weichteil- und Knochentumoren sowie Stoffwechselstörungen (z. B. Rachitis) und rheumatische Gelenk- und Weichteilerkrankungen.
  • erbliche Fehlbildungen sind z. B. die Glasknochenkrankheit (Osteogenesis imperfecta), die Marmorknochenkrankheit (Osteopetrose), knöcherne und knorpelige Dysplasien (z. B. Achondroplasie), Wirbelkörperfehlbildungen sowie Fehlanlagen der Extremitäten sowie komplexe Missbildungssyndrome

Nach einer amerikanischen Studie [1] haben etwa 50 % aller Kinder und Jugendlichen mindestens einmal einen Knochenbruch, und etwa 40 % mindestens einmal ein orthopädisches Problem. Dabei überwiegen die konservativ oder gar nicht behandlungsbedürftigen Fehlstellungen. So haben 20 % aller Kinder und Jugendlichen Knicksenkfüße oder flexible Plattfüße, 15 % eine vermehrte Hüft-Antetorsion (Coxa antetorta), weitere 15 % einen gutartigen Knochentumor oder eine tumorartige Knochenveränderung. es folgen die Spondylolyse mit 5 %, der Sichelfuß mit 3 % und die Skoliose mit 3 % bei Mädchen. bei 2 % findet sich eine Hüftdysplasie. Alles weitere ist seltener als 1:100.

Therapie

Nach einer Schätzung von F. Hefti ist in 70 % aller kinderorthopädischer Konsultationen lediglich eine Beratung notwendig, „dass das Kind gerade genug ist“.

In etwa 20 % sei eine konservative Behandlung notwendig, etwa mit Einlagen, Orthesen, Korsette, Physiotherapie oder Gipsbehandlung. Neuerdings wird auch Botulinumtoxin eingesetzt, um überaktive Muskeln z. B. bei einer Spastik vorübergehend zu lähmen.

Nur in etwa 10 % sei eine chirurgisch-operative Therapie vonnöten. Typische kinderorthopädische Eingriffe sind vor allem knöcherne Umstellungs-Osteotomien, z. B., an der Hüfte bei Hüftdysplasie oder Morbus Perthes, oder am Knie bei X- oder O-Beinen. Auch Sehnenverlängerungen oder -Durchtrennungen (Tenotomien) sind häufig, z. B. beim spastischen Spitzfuß oder Kontrakturen. Weitere Eingriffe sind z. B. die Wirbelsäulenversteifung (Spondylodese) bei Skoliosen, die Verblockung der Wachstumsfugen (Epiphyseodese) bei Fehlstellungen oder die Extremitätenverlängerung mittels Ilizarow-Distraktion.

Quellen

Einzelnachweise

  1. Wenger DR, Rang M: The art and practice of children’s orthopaedics. Raven Press, New York 1993
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