- Kinderzeche
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Die Kinderzeche ist ein historisches Kinder- und Heimatfest in der ehemaligen freien Reichsstadt Dinkelsbühl. Der Ursprung des ehemaligen Schulfestes lag wohl in der Gründung der Lateinschulen in den Städten des Schwäbischen Städtebundes bzw. Schwäbischen Reichskreises um das Jahr 1500. Da sich die Kinderzeche aus einem Schulfest heraus entwickelte, was zu einer hohen Beteiligung von Kindern und Jugendlichen geführt hat, sind das historische Festspiel und der Umzug durch die Stadt heute ein fester Bestandteil des kollektiven Bewusstseins der Bevölkerung. Dinkelsbühler Bürger aller Generationen zelebrieren die historisch so nicht verifizierbare Geschichte, dass ein Kindermädchen (Kinderlore) mit einer Gruppe von Kindern vermochte, was alle Ratsherren nicht schafften: Während des Dreißigjährigen Krieges die schwedischen Eroberer davon abzubringen, die Stadt zu zerstören und auszuplündern. Aufgrund der Veranstaltungen und Begegnungen über das reine Festspiel und den Umzug hinaus (z.B. „Schwedenlager“ vor der Stadt) gewinnt das Anziehen und sich Bewegen in der Kleidung aus dem 17. Jahrhundert eine immer größere Rolle für die Beteiligten.
Inhaltsverzeichnis
Entstehung der Kinderzeche
Die erste urkundliche Erwähnung der Kinderzeche geht auf das Jahr 1629 zurück. Der alte Name „Schulzeche“ deutet auch auf ihren Ursprung hin. Am Ende des Schuljahres wurden die katholischen Lateinschüler für ihre Leistungen mit einem Ausflug belohnt. Mitten im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) findet sich in den Abrechnungen der Kirchenpflege der Vermerk auf die Durchführung der Schulzeche: „Item M[agistro] und Cantoribus, als sie die Jugend ausgeführt zur Zech, geben 3fl.“ [Ebenso dem Lehrer und den Kantoren, als sie die Jugend ausgeführt zur Zeche, gegeben 3 Gulden.]
Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde Dinkelsbühl paritätisch. Neben der katholischen „Schulzeche“ entstand 1654 die evangelische „Kinderzeche“, die alle Schulkinder ihrer Konfession umfasste. Die evangelische „Kinderzeche“ entwickelte sich rasch zu einem wahren Volksfest, an dem auch die Erwachsenen teilnahmen. Der Schießwasen wurde zum Festplatz und Musikanten spielten auf.
Der Ablauf der Kinderzeche wurde erstmals 1788 beschrieben. Beim damaligen Umzug nahmen die Knaben in fantasievoller, militärisch gestalteter Uniform teil (als Vorläufer des heutigen Knabenbataillons). Mit dem Ende der Reichsstadtzeit 1802 kam Dinkelsbühl nach einer kurzen Periode unter preußischer Herrschaft 1806 zum Königreich Bayern. Dies spiegelte sich auch in der Uniformierung der „militärisch kostümierten“ Gruppen wider. Von 1809 bis 1847 traten sie in bayerischen Landwehruniformen auf.
Also ähnlich wie die entsprechenden Feste in anderen schwäbischen Reichsstädten z. B. dem Stabenfest in Nördlingen, dem Tänzelfest in Kaufbeuren, dem Maientag in Göppingen oder dem Rutenfest in Ravensburg.
Schulfest
Bis zum Ende der Reichstadtzeit (1802) wurden die beiden „Zechen“ getrennt gefeiert. Als die katholische „Schulzeche“ nicht mehr gefeiert wurde, gab es bis in das 19. Jahrhundert hinein einige zaghafte Versuche gemeinsam zu feiern. Doch erst mit der völligen Umgestaltung der „alten“ Kinderzeche im Jahr 1897, entstand ein von allen Bürgern getragenes Heimatfest. Die erste Verbindung der Kinderzeche mit der Sage der Kinderlore und dem Dreißigjährigen Krieg findet sich 1848. In einer Ankündigung der damaligen Lokalzeitung heißt es, dass die Gruppen „im militärischen Costume und Waffenschmuck jener Periode, in welcher der Sage nach die Belagerung unserer Stadt und deren Aufhebung durch Fürsprache der Kinder fällt“ auftreten. Seitdem sind beim Festzug schwedische Uniformen aus der Zeit um 1632 zu sehen.
Zwanzig Jahre später wurde die inzwischen weit über Dinkelsbühl hinaus bekannte Knabenkapelle gegründet. Sie war 20 Mann stark und trug ebenfalls „schwedische Uniformen“, weshalb sie „Schwedenmusik“ genannt wurde. Heute zählt sie 120 Mitglieder und trägt die gleichen Uniformen wie das sogenannte Knabenbataillon.
Historisierte Kinderzeche ab 1897
Ab 1897 ergänzte das „historische Festspiel“ von Ludwig Stark die Kinderzeche und machte sie über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. Es entsprach dem Geist der Zeit, die Geschichte durch Laienspielgruppen wieder aufleben zu lassen. Allerdings waren die Verbindungen zwischen Festspiel und Stadtvergangenheit oft gewaltsam konstruiert. In Dinkelsbühl konnte das Spiel an eine alte Sage anknüpfen, die über viele Generationen lebendig geblieben war. Die Uraufführung des Festspiels am 12. Juli 1897 war ein voller Erfolg. Da die Rollen von Dinkelsbühler Bürgern gespielt wurden und werden, verankerte sich das Festspiel selbst als ein Stück Heimatkultur. Mit der Einführung des Festspiels erlebten auch das Knabenbataillon und die Knabenkapelle eine Umgestaltung. Ihre Uniformen sollten an eine andere Epoche der Stadtgeschichte erinnern, an die ausgehende Reichsstadtzeit. Sie erhielten die Uniformen des Regimentes Baden–Durlach, zu dem die Reichsstädte Dinkelsbühl und Kaufbeuren tributpflichtig waren, wobei der Hauptmann von der größeren Reichsstadt Kaufbeuren gestellt wurde.
Den Hintergrund für die Darstellung der „verorteten“ Sage von der Kinderlore, einer Jeanne d´Arc-Rolle, liefert der Dreißigjährige Krieg in dessen Verlauf die Reichsstadt Dinkelsbühl achtmal die Herrschaft wechseln musste, ohne jemals zerstört zu werden. Nachzulesen ist dies im Tagebuch des Landsknechts Peter Hagendorf, „Ein Söldnerleben im 30jährigen Krieg“, in dem er u. a. seine mehrfachen Einquartierungen in Dinkelsbühl beschreibt.
Rolle der Kinderlore
Bei dieser Kunstfigur handelt es sich um die Darstellung eines Mädchens, das durch sein mutiges Agieren den bösen Feind zur Milde gestimmt haben soll - was soll geschehen sein?
Die "erwürdigen hohen Räte der Stadt Dinkelsbühl" sollen bei der entscheidenden Ratssitzung uneinig darüber gewesen sein ob man die katholische regierte Stadt (es waren aber tatsächlich nur höchstens 30% der Bürger katholisch) den evangelischen Schweden überlassen solle, oder ob Widerstand bis zum Äußersten zu leisten sei.
Dies hatte Lore, die Tochter des Turmwächters mitgehört und hatte dabei wohl eine Idee: Sie sammelte die Kinder der Stadt um sich und zog dem Feind entgegen.
Kinderzeche heute
Die Kinderzeche hat sich in Dinkelsbühl zu dem zentralen Fest der Bürger der Stadt entwickelt. Es ist gelungen, die Wurzeln des Festes als Schulfest mit den historisierten Teilen um die Sage von der Kinderlore zu einer Einheit zu verbinden. Knabenbataillon, Auszug der Schüler und die Kinderzechgucken sind als Gabe der Bürgerschaft erhalten worden und mit Festspiel und Schwedenlager vervollständigt worden. Mehr als 1100 Aktive sind jedes Jahr daran beteiligt.
Im Vordergrund für große Teile der Bevölkerung steht das Volksfest auf dem 'Schießwasen' verbunden mit dem großen Angebot an Fahrgeschäften sowie Bierzelten. Die Finanzierung erfolgt zum größten Teil aus eigenen Kräften, das heißt aus Festabzeichenverkauf, Eintrittsgeldern und Spenden der Bevölkerung. Der Termin dieser für die Stadt Dinkelsbühl überaus wichtigen Veranstaltung sind in jedem Jahr die Wochenenden vor und nach dem dritten Montag im Juli.
Kinderzech'-Zeughaus
Seit Oktober 2006 wurde in die alte Kornscheune, Bauhofstraße 43 mit Mitteln der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, des Freistaates Bayern, der Region Hesselberg, der Stadt Dinkelsbühl und der Kinderzeche ein "begehbares Magazin" errichtet.
Dieses "Kinderzech'-Zeughaus" beherbergt zum einen die Kostüme, Schuhe, Waffen und das Lederzeug der Kinderzeche, steht aber zum anderen auch als begehbares Magazin mit musealem Charakter den interessierten Besuchern offen. Ein Eindruck von der Kinderzeche in Dinkelsbühl und dem Gedanken des Kinder- und Heimatfestes kann so das ganze Jahr in Führungen vermittelt werden.
Dort werden Unterrichtsinhalte, die sich mit dem Heimat- und Brauchtumsgedanken beschäftigen, in realer historischer Umgebung abgehalten. Auch besteht die Möglichkeit Schülern alte Handwerkstechniken wie z. B. die Sattlerei oder das Schuhmacherhandwerk erlebbar zu machen.
Seit Januar 2009 ist das Kinderzech'-Zeughaus als Museum anerkannt.
Literatur
- Karl Fischer: Kinderzeche Dinkelsbühl. Wie Kinder in den Wirren des Dreissigjährigen Krieges ihre Stadt erretten, Riedel, Gunzenhausen 1998
- Hans-Peter Mattausch (Hrsg): Die Kinderzeche. Das Kinder- und Heimatfest der Stadt Dinkelsbühl, BoD, Norderstedt 2005, ISBN 3-8334-2580-6
- Hans-Peter Mattausch (Hrsg): Von der alten Kornscheune zum Zeughaus der Kinderzeche, BoD, Norderstedt 2007, ISBN 978-3-8334-9053-8
- Jan Peters (Hrsg.): Ein Söldnerleben im 30jährigen Krieg. Eine Quelle zur Sozialgeschichte, Akademischer Verlag, Berlin 1993, ISBN 3-05-001008-8
- Adolf Lober: Von den Buben Bauckenschlagern 1552 zur Knabenkapelle 2002. Herausgegeben von der Stadt Dinkelsbühl 2002.
Weblinks
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