Koalitionsvereinbarung

Koalitionsvereinbarung

Ein Koalitionsvertrag (auch Koalitionsvereinbarung) wird zwischen zwei oder mehreren politischen Parteien geschlossen und regelt die mittel- bis langfristige Zusammenarbeit einer Koalition während der anstehenden Legislaturperiode.

Der Koalitionsvertrag gibt gewöhnlich einen Überblick über das Regierungsprogramm und die Vorhaben der aus der Koalition hervorgehenden künftigen Regierung. Von den beteiligten Parteien werden darin personelle und sachliche Bedingungen vertraglich vereinbart, unter denen sie bereit sind, gemeinsam eine Koalition zu formen.

Inhaltsverzeichnis

Koalitionsverträge vor 1945

Lange Zeit war es nicht üblich, dass Parteien einen Koalitionsvertrag unterschrieben. Diese Aufgabe hatte die Regierungserklärung, in der der Reichskanzler bzw. später der Bundeskanzler die geplante Politik seiner Regierung in groben Zügen umriss. Daneben gab es durchaus einzelne Absprachen zwischen den Parteien.

Da im Kaiserreich die Parteien keine gemeinsame Regierung unterstützen müssten, kam es erst in der Weimarer Zeit zu einem einzigen Koalitionsvertrag.

Koalitionsverträge in der Bundesrepublik Deutschland

Zum ersten Koalitionsvertrag in der Bundesrepublik kam es am 20. Oktober 1961, als die Partner CDU/CSU und FDP schriftliche Vereinbarungen trafen. Entgegen der ursprünglichen Absicht wurde es in Zeitungen veröffentlicht und löste große Unruhe in der Öffentlichkeit aus. Vor allem der im Koalitionspapier erwähnte Koalitionsausschuss wurde kritisiert, als eine Art neues Staatsorgan außerhalb der Verfassung. 1962 wurde das Abkommen zwischen den Regierungsparteien, nach der Krise um die SPIEGEL-Affäre, erneuert.

In der Folge vermied man es, von Koalitionsverträgen und Koalitionsausschüssen zu sprechen, es war aber klar, dass der "Kreßbronner Kreis" einen solchen für die Regierung Kiesinger/Brandt darstellte (benannt nach dem Urlaubsort von Kurt Georg Kiesinger 1967).

Die Natur von Koalitionsverträgen

Die Kritik an Koalitionsverträgen, -ausschüssen und an Koalitionen überhaupt ist immer wieder aufgekommen. Hans-Dietrich Genscher meinte beispielsweise, das "Koalitionsprinzip" habe seit 1949 die Richtlinienkompetenz des Kanzlers und das Kabinettsprinzip ausgehöhlt. (FAZ, 21. April 2001, S. 2.) Der Politikwissenschaftler Wichard Woyke hielt den Koalitionsausschuss für eine Art Nebenregierung ohne parlamentarische Verantwortung. (Andresen/Woyke: Handwörterbuch des politischen Systems..., Bonn 1995, S. 253.)

Doch es ist verständlich, dass die koalierenden Parteien sich in einem Koalitionsvertrag gegenseitig ihrer Absichten versichern, um spätere Streitigkeiten nach Möglichkeit zu verhindern. Auch ein Koalitionsausschuss ist an sich nicht verwerflich, da er nur zur Abstimmung einer gemeinsamen Politik dient. Die eigentlichen Entscheidungen werden in Parteigremien getroffen. Es wäre fragwürdig, wenn die Koalitionspartner ohne Abstimmung in wichtige Parlamentssitzungen gingen.

Der Ausdruck "Vertrag" beim Koalitionsvertrag ist irreführend und hat möglicherweise zur Kritik beigetragen. Es handelt sich nicht um einen Geschäftsvertrag und auch nicht um objektives Recht, denn es fehlen Sollenssätze, die öffentliche Kundgebung und die Anerkennung durch Rechtslehre und Gerichte. Der "Koalitionsvertrag" ist nicht mehr als eine Absichtserklärung: Die Partner werden versuchen, die Abgeordneten ihrer Fraktionen zur Unterstützung der Regierung zu bewegen. Verfügen können die Partner hingegen nicht über die Stimmen der Abgeordneten (wegen des freien Mandats), die Partner können also nicht garantieren, dass ihre Bemühungen fruchten. Daher kann bei einem Koalitionsvertrag nichts eingeklagt werden. Ferner gilt der Spruch: Pacta sunt servanda, rebus sic stantibus. (Abkommen müssen eingehalten werden, wenn die Dinge sich nicht ändern.)

Koalitionsverträge werden nicht nur von Politikern ausgehandelt. Oft sind auch höhere Beamte der Ministerien, namentlich Abteilungsleiter, daran beteiligt, was freilich insofern bedenklich ist, als diese sog. politischen Beamten bei einem Regierungswechsel Sorge darum haben müssen, in den Ruhestand versetzt zu werden. Soweit ihnen (außerhalb der hochpolitischen Themen, um die sich die Politiker selbst kümmern) die Möglichkeit gegeben wird, etwas in den Koalitionsvertrag zu schreiben, ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass dies weniger dem Land als vielmehr dem Erhalt ihres Postens dienen soll (etwa dadurch, Aufgabenbereiche zu schaffen und zu sichern, die keinem wirklichen Zweck dienen, außer die eigene Unentbehrlichkeit abzusichern.) Politiker handeln sicherlich oft auch nicht anders, aber sie sind immerhin gewählt worden.

Aktueller Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD

Nachdem die Bundestagswahl 2005 für keines der beiden Lager eine Regierungsmehrheit gebracht hatte, verständigten sich CDU, CSU und SPD nach 26tägigen Verhandlungen am 12. November 2005 auf einen gemeinsamen Koalitionsvertrag. Dabei betonten beide Seiten den Charakter der Koalition als „Zweckbündnis“ auf Zeit (Franz Müntefering), sprachen aber auch von der „großen Chance“ nach Jahren der Gegnerschaft ein „neues Kapitel” aufschlagen zu können (Edmund Stoiber).

Der Koalitionsvertrag trägt den Titel „Gemeinsam Verantwortung tragen - Mut und Menschlichkeit” und umfasst 130 Seiten. Am 18. November unterzeichneten ihn die Vorsitzenden der drei Regierungsparteien, am 22. November wurde Angela Merkel zur Kanzlerin einer Großen Koalition gewählt.

Die folgende Darstellung der Inhalte des Koalitionsvertrages kann durch aktuelle politische Entscheidungen veraltet oder unvollständig sein. Gerade auf Feldern wie der Gesundheits- und Umweltpolitik verzichteten die beteiligten Parteien auf konkrete Festlegungen und verschoben die Diskussion auf die Zeit nach den Landtagswahlen am 26. März 2006 in drei Bundesländern.

Haushalt

Die Koalition hat sich vorgenommen, ab 2007 wieder den Artikel 115 GG sowie die Stabilitätskriterien des Vertrages von Maastricht einzuhalten. Um die Nettokreditaufnahme unter die Grenze von 3 Prozent und gleichzeitig unter das staatliche Investitionsvolumen zu senken, ist der Abbau von Subventionen und Leistungen der Sozialsysteme geplant: Die Zuweisungen aus dem Bundeshaushalt an die Gesetzliche Krankenversicherung und die Bundesagentur für Arbeit sollen schrittweise abgeschmolzen werden. Die Pendlerpauschale wird zurückgefahren; sie gilt fortan erst ab dem 21. Kilometer und beträgt 30 Cent pro Kilometer. Zum 1. Januar 2006 fällt die Eigenheimzulage weg und der Sparerfreibetrag soll auf 750 Euro gesenkt werden.

Steuern

Der Mehrwertsteuersatz wird zum 1. Januar 2007 von 16 Prozent auf 19 Prozent angehoben. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent auf Lebensmittel, Druckerzeugnisse u. ä. ist von der Erhöhung nicht betroffen. Die Einnahmen sollen zu einem Drittel in die Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung, zu zwei Dritteln in die Haushaltskonsolidierung fließen. Die von der SPD durchgesetzte „Reichensteuer“ beinhaltet einen Steuerzuschlag von 3 Prozent für Einkommen ab 250.000 Euro (Single) bzw. 500.000 Euro (Ehepaare) und führt de facto zu einem Spitzensteuersatz von 45 Prozent. Bis zum 1. Januar 2008 soll eine Reform der Unternehmensbesteuerung die unterschiedliche Besteuerung von Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften ablösen.

Arbeitsmarkt

In der Arbeitsmarktpolitik mussten beide Seiten Zugeständnisse machen. Der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung soll mit Hilfe der Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuer zum 1. Januar 2007 von 6,5 Prozent auf 4,2 Prozent abgesenkt werden. Der Kündigungsschutz wird erst ab zwei Jahren Betriebszugehörigkeit wirksam. Die Union konnte aber sich nicht mit ihrer Forderung durchsetzen, die Tarifautonomie zugunsten betrieblicher Bündnisse einzuschränken. Weiterhin sollen die Reform der Handwerksordnung überprüft (und ggf. rückgängig gemacht) und die Zuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit ab einem Stundenlohn von 25 Euro sozialversicherungspflichtig werden.

Das Arbeitslosengeld II in den neuen Bundesländern wird auf das Niveau des Westens angehoben und der Rentenbeitrag von ALG II-Empfängern von 78 Euro auf 40 Euro gesenkt werden. Die Einführung eines Kombilohns, der die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze für einfache Tätigkeiten fördern soll, wird geprüft.

Sozialsysteme

Der Beitragssatz zur Rentenversicherung steigt auf 19,9 Prozent. Das Renteneintrittsalter soll von 2012 an bis spätestens 2035 gestaffelt von 65 auf 67 Jahre erhöht (mittlerweile vorgezogen auf spätestens 2029) und die private Altersvorsorge weiter gefördert werden. Die Diskussion über eine Reform des Gesundheitswesens wurde auf das Jahr 2006 verschoben.

Staatsreform

Wichtigstes Ziel hier ist der schnelle Abschluss der Föderalismusreform. Mittlerweile befindet sich der Entwurf in der parlamentarischen Beratung. Im Zuge des Bürokratieabbaus sollen kleine und mittlere Unternehmen von Statistikpflichten befreit werden und ein Normenkontrollrat die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit neuer Gesetzesinitiativen prüfen. In der öffentlichen Verwaltung soll jährlich eine Milliarde Euro eingespart werden, um den Haushalt zu entlasten.

Familie

Das Erziehungsgeld soll 2007 von einem Elterngeld ersetzt werden. Es beträgt im Jahr nach der Geburt des Kindes 67 Prozent, maximal aber 1.800 Euro, des Nettoeinkommens eines Elternteils, der die Betreuung des Kindes zu Hause übernimmt oder seine Arbeitszeit deswegen einschränkt.

Inneres

Die Abwehr von terroristischen Gefahren soll im Zuge der Föderalismusreform ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich des Bundeskriminalamtes überführt werden. Auch die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung und die Möglichkeit, Daten aus Internet- und Telefonverbindungen bis zu einem Jahr zu speichern, soll der verbesserten Terrorismusbekämpfung dienen.

Umwelt

Die beiden Seiten konnten sich in der Energiepolitik nicht auf eine gemeinsame Position einigen. Es wird lediglich die bestehende Rechtslage anerkannt und auf die Gültigkeit des Atomausstiegs verwiesen. Über eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten soll im Lauf der Legislaturperiode entschieden werden.

Außen- und Sicherheitspolitik

Im Hauptstreitpunkt, dem EU-Beitritt der Türkei, wird für die Verhandlungen das „Ziel des Beitritts“ anerkannt, jedoch für den Fall, dass die EU nicht aufnahmefähig oder die Türkei nicht aufnahmebereit sein sollte, ein „privilegiertes Verhältnis“ in Erwägung gezogen. Das deutsche Streben nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat wird bekräftigt. Für die Entscheidung über einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren soll das Urteil des Bundesverfassungsgericht zum Luftsicherheitsgesetz abgewartet werden, an der allgemeinen Wehrpflicht und dem Zivildienst wird festgehalten.

Weblinks

Literatur

  • Münch, Ingo von: Rechtliche und politische Probleme von Koalitionsregierungen. Berlin u. a. 1993.
  • Heilemann, Ullrich, Quaas, Georg u. Ulrich, Jens: Gesamtwirtschaftliche Wirkungen der Haushaltspolitik des Koalitionsvertrages. In: Wirtschaftsdienst 2006/1.
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