- Anfangsmutation
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Als Anlaut(per)mutationen (auch Eklipsen, Anfangsmutationen oder einfach Mutationen) werden phonologisch-morphologische Erscheinungen bezeichnet, bei denen der Anlaut eines Wortes in bestimmten Umgebungen verändert wird. Ursprünglich handelte es sich um rein phonologische Merkmale, die erst im Laufe der Sprachentwicklung (beim Wegfall der ererbten Wortendungen) vollständig grammatikalisiert wurden. Lenitionen beispielsweise traten als Schwächung von Konsonanten zwischen Vokalen (auch an Wortgrenzen) auf, und Nasalisierungen standen am Wortanfang nach Wörtern, die auf Nasale endeten. Die Anlautmutationen können somit als eine Art Sandhierscheinung aufgefasst werden, wobei die auslösende Ursache für den Sandhi nicht mehr erkennbar ist.
Mutationen in den inselkeltischen Sprachen
Sie bilden eines der wesentlichen Merkmale aller inselkeltischen Sprachen. Die festlandkeltischen Sprachen wiesen Anlautmutationen wahrscheinlich nicht oder nicht systematisch auf.
Die Anlautmutationen bilden ein zentrales Element bei der Ausarbeitung eines Stammbaums für die keltischen Sprachen, da diese einerseits in allen inselkeltischen Sprachen auftreten, andererseits in den betreffenden Einzelsprachen sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Es wird daher meist davon ausgegangen, dass die auf die britischen Inseln gelangenden keltischen Sprachen zwar bereits eine starke Tendenz zu Anlautmutationen aufwiesen, diese jedoch noch nicht voll ausgeprägt waren. Sie unterscheiden sich hinsichtlich der Anzahl der verschiedenen Mutationsklassen, der phonologischen Auswirkungen dieser Mutationsklassen sowie des syntaktischen Kontexts, in dem die jeweiligen Mutationen auftreten.
In den goidelischen Sprachen werden jeweils zwei Mutationsklassen unterschieden, die Lenition und die Nasalisierung.
Die folgende Tabelle zeigt die Mutationen für das moderne Irische. Die linke Spalte zeigt den nicht mutierten Ausgangslaut (Radikal), die mittleren und rechten Spalten zeigen die mutierten Konsonanten, erst in der schriftlichen Form, dann in Lautumschrift. Die Aussprache palatalisierter Konsonanten ist nicht berücksichtigt.
Radikal Leniert Nasaliert p /p/ ph /f/ bp /b/ t /t/ th /h/ dt /d/ c /k/ ch /x/ gc /g/ b /b/ bh /w/ mb /m/ d /d/ dh /γ/ nd /n/ g /g/ gh /γ/ ng /ŋ/ m /m/ mh /w/ – f /f/ fh /Ø/ bhf /w/ s /s/ sh /h/ – Beim Schottisch-Gälischen wird die Nasalierung seltener und im Vergleich zum modernen Irischen leicht abgewandelt gebraucht.
In den britannischen Sprachen werden drei (Walisisch, s. Tabelle) bzw. vier bis fünf (Bretonisch und Kornisch) Mutationsklassen unterschieden. Die zuletzt genannten Sprachen weisen nur Reste der Nasalierung auf, dafür aber zusätzlich die sog. gemischte Mutation – mit Merkmalen mehrerer Mutationsklassen in einer gesonderten Klasse – und die Provektion, bei der stimmhafte Konsonanten enttont werden. Hier die Tabelle für das Walisische:
Radikal Leniert Nasaliert Aspiriert p /p/ b /b/ mh /m*/ ph /f/ t /t/ d /d/ nh /n*/ th /θ/ c /k/ g /g/ ngh /ŋ*/ ch /x/ b /b/ f /v/ m /m/ – d /d/ dd /ð/ n /n/ – g /g/ _** /Ø/ ng /ŋ/ – m /m/ f /v/ – – ll /l*/ l /l/ – – rh /r*/ r /r/ – – (*) Diese Laute sind stimmlos (ein stimmloses „l“ ist ein stimmloser alveolarer lateraler Frikativ.
(**) Es wird kein Buchstabe geschrieben (das „g“ fällt aus).Die Tabelle für das Bretonische sieht wie folgt aus:
Radikal Leniert Provehiert Aspiriert Gemischt p /p/ b /b/ – f /f/ – t /t/ d /d/ – z /z*/ – k /k/ g /g/ – c'h /x/ – b /b/ v /v/ p /p/ – v /v/ d /d/ z /z*/ t /t/ – t /t/ g /g/ c'h /ɣ, h/ k /k/ – c'h /ɣ, h/ gw /gw/ w /w/ kw /kw/ – w /w/ m /m/ v /v/ – – v /v/ (*) Die Reflexe von mittelbretonisch /θ/ und /ð/ sind in /z/ zusammengefallen. Reste der Nasalierung finden sich im Bretonischen z. B. in dor > an nor (Tür > die Tür).
Das System der Anlautmutationen im Mittelkornischen ähnelt der im Bretonischen (Quelle: Williams 2000):
Radikal Leniert Provehiert Aspiriert Gemischt p /p/ b /b/ – f /f/ – t /t/ d /d/ – th /θ/ – k, c /k/ g /g/ – h /h/ – qu /kw/ gw /gw/ – wh /ʍ/ –- b /b/ v /v/ p /p/ – f, v /f, v/ d /d/ dh, th /ð/ t /t/ – t /t/ g /g/ _,w /Ø,w/ k, c /k/ – h, wh /h, ʍ/ gw /gw/ w /w/ qu /kw/ – w, wh /w, ʍ/ ch /tʃ/ j /dʒ/ – – –- m /m/ v /v/ – – f, v /f, v/ Mutationen in künstlichen Sprachen
Auch J. R. R. Tolkien, Professor für Germanistik und bekannter Autor, griff in seiner walisisch anmutenden Kunstsprache Sindarin (und deren Vorgängern bzw. Entwicklungsstufen Goldogrin und Noldorin) auf Anlautmutationen zurück, deren wichtigste ebenfalls die Lenition wie auch die Spiranten nach sich ziehende Nasalmutation sind:
Grundform Lenition Nasal-Mutation p /p/ b /b/ ph /f, f:/ t /t/ d /d/ th /θ/ c /k/ g /g/ ch /x/ b /b/ v /v/ m /m/ d /d/ dh, ð /ð/ n /n/ g /g/ ' /*ʔ/ ng /ŋ/ m /m/ mh /β/, v /v/ m /m:/ h /h/ ch /x/ ch /x/ s /s/ h /h/ s /*s:/ Beispiele: galadh („Baum“) > i 'aladh („der Baum“), gelaidh („Bäume“) > in gelaidh > i ngelaidh („die Bäume“) (Vgl. „Mutationen“ im Sindarin-Lexikon).
Anlautmutationen in außereuropäischen Sprachen
Auch in verschiedenen außereuropäischen Sprachen ist das Phänomen der Anlautmutation bekannt:
- Fulfulde (Westafrika; siehe Westatlantische Sprachen)
- Nivchische Sprache (Ostsibirien)
- Guaraní (Sprache) (Südamerika)
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