Kontrafaktur

Kontrafaktur

Kontrafaktur (zu lat. contra „gegen“ und facere „machen“, Gegenentwurf) ist ein künstlerisches Produktionsverfahren, bei dem aus einem Kunstwerk unter Beibehaltung bestimmter Formbestandteile ein neues Kunstwerk gemacht wird. Kontrafaktur ist damit ein Beispiel für Intertextualität bzw. Intermedialität.

Musik

Als Kontrafaktur wird in der Musiktheorie die textliche Neubearbeitung der Melodie eines bereits existierenden Liedes bezeichnet. Dieses Verfahren wurde und wird besonders häufig im Kirchenlied angewandt. Hier muss zwischen Kontrafaktur und Parodie unterschieden werden (s. u.). Nicht nur einfache Melodien, sondern auch ganze Chorwerke bekamen früher einen neuen Text. Bekannte Beispiele sind einige Kantaten Johann Sebastian Bachs, wie etwa Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!, das Bach zur Grundlage für den Eingangschoral Jauchzet, frohlocket seines Weihnachts-Oratoriums machte.

Da die Definition des parallelen englischsprachigen Begriffs („contrafact“) etwas weiter gefasst ist, spricht man in der modernen Musiktheorie häufig auch von Kontrafaktur, wenn eine neue Melodie unter Beibehaltung des Harmonieschemas komponiert wird. Diese Praxis findet sich vor allem im modernen Jazz.

Literatur

In Anlehnung an den musiktheoretischen Begriff versteht man in der Literaturwissenschaft unter Kontrafaktur ein neugefertigtes literarisches Werk, das von einem früheren Werk wesentliche Bestandteile der Form übernimmt. Ein Beispiel dafür ist Leonard Bernsteins Musical West Side Story, das eine Kontrafaktur von William Shakespeares Tragödie Romeo und Julia darstellt.

Kontrafaktur – Parodie

Zu Zeiten des Barocks und der Wiener Klassik (17./18. Jahrhundert) wurde die Umgestaltung musikalischer Werke für andere Zwecke 'global' als Parodie (siehe dort) bezeichnet.

In der heutigen Literaturwissenschaft umschreibt Parodie die verzerrende, übertreibende und/oder verspottende Nachahmung eines Werkes; von Kontrafaktur spricht man (auch dann), wenn mit der Kopie keine solche Wertung verknüpft ist.

Die Musikwissenschaft unterscheidet die beiden Begriffe derart: Als Kontrafaktur wird die textliche Neubearbeitung eines weltlichen Liedes mit einem geistlichen Text bezeichnet (Heinrich Isaac: "Innsbruck, ich muss dich lassen"; die erste von zwei Kontrafakturen im Evangelischen Gesangbuch findet sich unter EG 521 "O Welt, ich muss dich lassen"). Parodie hingegen beschreibt den umgekehrten Weg, nämlich die Unterlegung geistlichen Liedguts mit einem weltlichen Text.


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  • Kontrafaktur — ◆ Kon|tra|fak|tur 〈f.; Gen.: , Pl.: en; Musik〉 Umdichtung eines Gesangstextes (oft eines weltl. in einen geistl. od. umgekehrt) unter Beibehaltung der Melodie [Etym.: <lat. contrafactus »umgewendet, ins Gegenteil verkehrt« <contra »gegen« + …   Lexikalische Deutsches Wörterbuch

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