Krankheitsgewinn

Krankheitsgewinn

Krankheitsgewinn (engl.: morbid gain) ist eine allgemeine Bezeichnung für die objektiven und subjektiven Vorteile, die ein kranker Mensch aus seiner Krankheit zieht. Sobald ein Mensch die Rolle des Kranken einnimmt, kann er in der europäischen Kultur in der Regel davon ausgehen, von seinen Alltagspflichten entbunden zu werden und Anteilnahme und schonendes Verhalten seiner Umwelt zu erfahren. Zudem kann der Kranke mit der wirtschaftlichen Unterstützung der Sozialversicherungsträger rechnen, wird also teilweise oder ganz vom eigenen Erwerb entbunden.[1] Allerdings ist diese gesellschaftlich allgemein gewünschte Einstellung von der gegenüber Aggravation und Simulation zu unterscheiden. Bei der Simulation handelt es sich rein begrifflich um eine absichtliche und bewusste Vortäuschung und Nachahmung der Krankheitssymptome ohne Krankheitswert. Bei der Aggravation sind tatsächliche Krankheitsveränderungen vorhanden, die jedoch ebenfalls absichtlich überbetont werden.[2]

Die Einteilung in primären Krankheitsgewinn und sekundären Krankheitsgewinn geht auf den Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud zurück.

Primärer und sekundärer Krankheitsgewinn

  • Der primäre Krankheitsgewinn besteht in inneren oder direkten Vorteilen, die der kranke Mensch aus seinen Symptomen zieht: z. B. kann er dadurch schmerzlich empfundenen Situationen oder Konflikten aus dem Weg gehen. Das Symptom wird dann zwar als unangenehm erlebt, jedoch erlaubt es dem Kranken, keine sofortige, aus dem Konflikt herausführende Entscheidung treffen zu müssen, aus einem Konflikt, den er oft gar nicht als solchen erkennt. Er fühlt sich nur in einer unangenehmen (für ihn z. Z. ausweglos erscheinenden) Situation, welche ihn schwächt. Der Zusammenhang zwischen Konflikt und Krankheitssymptomen wird nicht für möglich gehalten und bleibt unbewusst. Auch kann das Symptom unbewusst dazu dienen, unangenehmeren Konflikten aus dem Weg zu gehen (z. B. das plötzliche Erkranken vor einer schweren Prüfung).
  • Der sekundäre Krankheitsgewinn besteht in den äußeren Vorteilen, die der kranke Mensch aus bestehenden Symptomen ziehen kann, wie den Zugewinn an Aufmerksamkeit und Beachtung durch seine Umwelt, die Möglichkeit, im Bett bleiben zu können und dort die Nahrung serviert zu bekommen.[3] Stavros Mentzos sieht in diesem Aspekt eine allgemeine Bedeutung des Symptoms, die nicht nur bei der Hysterie, sondern auch bei anderen psychischen Auffälligkeiten wie etwa bei Zwängen und Phobien einen kommunikativen Aspekt dieser Symptomsprache offenbaren und damit gleichzeitig auch einen therapeutischen Zugang ermöglichen.[4]

Tertiärer Krankheitsgewinn

  • Der tertiäre Krankheitsgewinn besteht in Vorteilen für die Umgebung des Erkrankten. Beispielsweise kann für Angehörige die zu erbringende Pflege als Bereicherung empfunden werden, da der Pflegende spürt gebraucht zu werden, eine besondere Kompetenz erhält und sich so als Heilsbringer sehen kann (in D.E. Biegel, E. Sales, R. Schulz: Family caregiving in chronic illness. Newbury Park, Sage, 1991.). Im weitesten Sinne erhalten alle Berufe des Gesundheitswesen einen tertiären Krankheitsgewinn.

Quellen

  1. Willibald Pschyrembel (Begr.): Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch. 259. Aufl. DeGruyter, Berlin 2002, ISBN 3-11-017213-5, S. 905
  2. Uwe Henrik Peters: Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie. Urban & Schwarzenberg, München 31984, ISBN 3-541-04963-4, Aggravation (S. 11), Simulation (S. 250).
  3. Jean Laplanche, Jean-Bertrand Pontalis: Das Vokabular der Psychoanalyse („Vocabulaire de la psychoanalyse“). 7. Aufl. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1986, ISBN 3-518-27607-7, S. 274-276.
  4. Stavros Mentzos: Neurotische Konfliktverarbeitung. Einführung in die psychoanalytische Neurosenlehre unter Berücksichtigung neuerer Perspektiven. © 1982 Kindler, Fischer-Taschenbuch, Frankfurt 1992, ISBN 3-596-42239-6, S. 86 f.
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