Kundschafter des Friedens

Kundschafter des Friedens

Als Kundschafter des Friedens oder in der Kurzform Kundschafter wurden in der DDR-Terminologie die im Ausland und in der Bundesrepublik Deutschland oder im Inland gegen Ausländer und ausländische Einrichtungen eingesetzten Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und der Verwaltung Aufklärung, dem militärischen Nachrichtendienst der NVA, bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund der Begriffswahl in der DDR

Die DDR wollte mit der euphemistischen Begriffswahl glauben machen, dass sie keine Agenten oder Spione im herkömmlichen Sinn beschäftige.

Der Begriff „Kundschafter des Friedens“ wurde seit einem Prawda-Artikel am 9. September 1964 ausschließlich als Begriff für eigene (östliche) Agenten verwendet. Dies wurde damit begründet, es sei zu unterscheiden, „ob jemand im imperialistischen Sold spioniert oder ob er dem Frieden und dem Fortschritt als Kundschafter dient“. Der Nimbus von der friedensfördernden und angeblich sauberen Arbeit der „Kundschafter des Friedens“ sollte von den tatsächlichen Aufträgen und Aufgaben ablenken. In der Darstellung der DDR waren sie ausschließlich auf die Sicherung der DDR und für die Verhinderung eines Krieges in Deutschland gerichtet. MfS und NVA beteiligten sich in der offiziellen Darstellung der DDR nicht an Vorbereitungen von Angriffskriegen, Verschwörungen, Putschen, Attentaten oder an der Ermordung und Folterung von Menschen. Somit erschien ihnen der Einsatz gerechtfertigt und notwendig.

Mitarbeiter ausländischer Nachrichtendienste wurden dagegen in der Terminologie der DDR als „Feinde des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus“ bezeichnet.

Aus Erich Mielkes Rede zum 35-jährigen Bestehen des Ministeriums für Staatssicherheit (6. Februar 1985):

„Solange der Imperialismus existiert, solange es Kräfte gibt, die bestrebt sind, zur Erreichung ihrer politischen Ziele militärische Machtmittel einzusetzen und subversive Aktionen zu organisieren, bleibt die Tätigkeit sozialistischer Kundschafter eine unabdingbare Notwendigkeit, denn sie sind wahrhafte Kundschafter des Friedens. Die Helden des geheimen Kampfes sind glühende Patrioten und Internationalisten, mutige Kämpfer gegen den Krieg sowie alle antisozialistischen Pläne und Machenschaften des Klassenfeindes. Der ökonomische Kampfabschnitt bildete in der 35-jährigen Existenz des MfS stets ein Hauptfeld seiner Tätigkeit.“

Auswertung der MfS-Auslandsspionage nach 1989

Nach Auswertungen von Mitarbeitern der BStU[1] wurden Agenten zumeist von bereits aktiven IM der HVA angeworben, wobei vier von fünf Anwerbungen in der DDR erfolgten. Angaben ihrer Führungsoffiziere zufolge waren 60% politisch motiviert, 27% materiell, 7% waren in „Honigfallen“ getappt, 4% waren unter falscher Flagge angeworben und lediglich jeweils 1% zur Mitarbeit erpresst worden bzw. boten von sich aus eine Mitarbeit an[1].

Im Gegensatz zum Selbstbild als „Kundschafter des Friedens“ seien die politischen Führungen der DDR und des Warschauer Paktes durch die Lageberichte der ostdeutschen Militäraufklärung gezielt „über das Potenzial und die Absichten der NATO gezielt getäuscht worden“[1].

Entgegen dem nachrichtendienstlich erworbenen Wissen hatte der Spionagedienst der NVA „Militärpotential und Absichten stark übertrieben“[1]. Zudem bereitete das MfS umfangreiche Sabotage- und Terrorvorbereitungen durch speziell ausgebildete Einsatzgruppen in und gegen die Bundesrepublik im Spannungs- oder Kriegsfalle an[1] und war zudem massiv an der Repression wie auch innerparteilichen Auseinandersetzungen innerhalb der DDR beteiligt.

Die Wirtschaftsspionage habe zwar einen gewichtigen Teil der MfS-Auslandsaktivitäten eingenommen[1], man wäre aber kaum in der Lage gewesen, die gewonnenen Erkenntnisse etwa im sogenannten Mikroelektronikprogramm der DDR auch umzusetzen, die Mikroelektronik der DDR blieb der internationalen Entwicklung um mindestens zwei Generationen zurück.

Verein ehemaliger Agenten

Ehemalige „Kundschafter“ auf dem UZ-Pressefest

Einige ehemalige „Kundschafter“ treten inzwischen öffentlich in einem Verein auf:

„Die Initiativgruppe Kundschafter des Friedens fordern Recht - IKF e. V. ist eine Vereinigung der Kundschafter und Kundschafterinnen der Deutschen Demokratischen Republik, die in der Alt-BRD oder im westlichen Ausland dem Frieden, der Entspannung und dem Sozialismus gedient haben, und sie heute unterstützender Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.“

Die Initiativgruppe Kundschafter des Friedens fordern Recht organisierte sich 1995, um, wie sie betonen, „gegen das Beitrittsunrecht zu kämpfen und die von der Strafverfolgung betroffenen Kundschafter zu unterstützen“.

Seitdem verfolgten sie ihr Ziel juristisch, doch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied, dass die Strafverfolgung der deutsch-deutschen Spionage nationale Angelegenheit der Bundesrepublik Deutschland sei und sich deshalb der menschenrechtlichen Überprüfung entziehe. Nun konzentriert sich der Verein auf politische Informationsveranstaltungen über seine Arbeit und den aus ihrer Sicht eigenen Anteil an „40 Jahren Frieden in Europa“.

In dem Buch Kundschafter im Westen versuchten die IKF e.V. die Arbeit ihrer Mitglieder während des Kalten Krieges darstellen und die Motivation der Kundschafter zu ihrer Tätigkeit verdeutlichen. Helmut Müller-Enbergs rezensierte diese und andere Apologetik unter dem Titel „Die Versager verteidigen sich“[2]

Literatur

  • Klaus Behling: Der Nachrichtendienst der NVA. Geschichte, Aktionen und Personen. edition ost, Berlin 2005, ISBN 3-360-01061-2.
  • Klaus Behling: Kundschafter a. D. Das Ende der DDR-Spionage. Hohenheim-Verlag, Stuttgart u. a. 2003, ISBN 3-89850-098-5.
  • Klaus Eichner, Gotthold Schramm: „Kundschafter im Westen“. Spitzenquellen der DDR-Aufklärung erinnern sich. Mit einem Vorwort von Markus Wolf und Werner Großmann. edition ost, Berlin 2003, ISBN 3-360-01049-3.
  • Gabriele Gast: Kundschafterin des Friedens. 17 Jahre Topspionin der DDR beim BND. Eichborn, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-8218-0522-6.
  • Georg Herbstritt, Helmut Müller-Enbergs (Hrsg.): Das Gesicht dem Westen zu … DDR-Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland. Edition Temmen, Bremen 2003, ISBN 3-86108-388-4, (Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der Ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik: Analysen und Dokumente 23).
  • Helmut Müller-Enbergs (Hrsg.): Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Band 2: Anleitungen für die Arbeit mit Agenten, Kundschaftern und Spionen in der Bundesrepublik Deutschland. Links, Berlin 1998, ISBN 3-86153-145-3, (Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der Ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik: Analysen und Dokumente 10).

Einzelnachweise

  1. a b c d e f Georg Herbstritt / Helmut Müller-Enbergs (Hg.): Das Gesicht dem Westen zu … DDR-Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland (= Analysen und Dokumente; Bd. 23), Bremen: Edition Temmen 2003, 458 S., ISBN 3-86108-388-4
  2. Rezension von Helmut Müller-Enbergs zu: Reinhard Grimmer, Werner Irmler, Willi Opitz, Wolfgang Schwanitz (Hgg.): Die Sicherheit. Zur Abwehrarbeit des MfS, 2 Bde.

Weblinks


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