La Vie (Gemälde)

La Vie (Gemälde)
La Vie
Pablo Picasso, 1903
Öl auf Leinwand, 196,5 cm × 129,2 cm
Cleveland Museum of Art, Cleveland, Ohio

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(Bitte Urheberrechte beachten)

La Vie (deutsch Das Leben) ist ein Gemälde des spanischen Malers Pablo Picasso aus dem Jahr 1903 (Zervos I 179), das als eines der ausdrucksstärksten Gemälde innerhalb seiner Blauen Periode (1901–1904) gilt. Das 196,5 × 129,2 Zentimeter große Gemälde ist im Cleveland Museum of Art ausgestellt. Es ist eine Schenkung der Hanna Stiftung. Der Titel stammt nicht vom Künstler, sondern kam erst in Umlauf, als das Werk kurz nach seiner Vollendung verkauft wurde.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Links im Raum – ein Maleratelier in fahlblauer Beleuchtung – steht ein fast unbekleidetes junges Paar; die Frau schmiegt sich hilfesuchend an den Mann, der die Züge des verstorbenen Freundes von Picasso, Carlos Casagemas, trägt. Er weist mit der linken Hand auf ein schlafendes Baby, das von einer in ein lang fallendes Gewand gekleideten Frau mit verhärmten Gesichtszügen mit beiden Armen vor der Brust gehalten wird.

Die Mitte des Bildes wird dominiert von zwei Gemälden oder Skizzen als „Bild im Bild“. Das untere, ein kauerndes Mädchen, zeigt eine Ähnlichkeit auf mit Vincent van Goghs Lithografie Sorrow aus dem Jahr 1882. Röntgenaufnahmen und Beobachtungen am Original zeigen, dass stattdessen zunächst ein weitaus aggressiveres Motiv, nämlich ein geflügelter Mann mit Vogelkopf, dargestellt war, der sich auf eine nackt mit angewinkelten Beinen und ausgebreiteten Armen am Boden liegende Frauengestalt stürzt.[1] Die obere Darstellung erinnert im Motiv und Stil an Paul Gauguin. Sie zeigt ein sitzendes Paar, das sich anscheinend in Verzweiflung umklammert. Vorausgehende Arbeiten zum Gemälde haben ergeben, dass auf dem Gemälde ursprünglich der Maler sich selbst abgebildet hatte und nach dem Selbstmord des Freundes dessen Porträt an seine Stelle trat. Es ist ein individuelles Porträt im Gegensatz zu den weiteren Figuren, deren Erscheinung eher allgemein gehalten ist. In den vorangehenden Studien war die junge Frau an seiner Seite hochschwanger dargestellt.

Deutung

Es heißt, dass Picasso sich mit diesem programmatischen Werk nicht mehr um akademische Standards bemühte, sondern auf dem Weg war zu den malerischen Brüchen, die in einem seiner Hauptwerke, Les Demoiselles d’Avignon (1907), deutlich erkennbar sind. Beide Werke gehen offensichtlich nicht von einem feststehenden Thema aus, sondern bieten Raum für die Ausführung verschiedener Gedanken, die sich im vollendeten Werk nicht leicht zu einer Einheit fügen lassen. Die verschiedenen Versuche einer Deutung dieses Gemäldes haben bisher zu keinem Konsens geführt.[2] Picasso selbst hat sich zur Interpretation dieses Werkes niemals geäußert. Dem nicht auf Picasso zurückgehenden, aber bereits kurz nach der Entstehung des Gemäldes auftauchenden Titel liegt wahrscheinlich die Interpretation als Darstellung der drei Lebensalter: Kindheit, Jugend und Alter zugrunde, die auch von verschiedenen Kunstwissenschaftlern vertreten wurde. Die Szene ist geprägt von einer Stimmung des Pessimismus, der Verzweiflung und des Leidens, wie sie unter der Jugend im Europa dieser Zeit verbreitet war. Der Künstler selbst war zu dieser Zeit ausgesprochen arm.[3]

Vincent van Gogh: Sorrow. 1882. Lithografie, 38,5 × 29 cm, Privatbesitz

Angesichts der Rätselhaftigkeit der Bildinhalte häuften sich zuletzt Stimmen, die eine Festlegung auf eine bestimmte Interpretation ablehnten und im Sinne der Theorie Umberto Ecos vom offenen Kunstwerk gerade in der Vieldeutigkeit und im Assoziationsreichtum der Komposition eine besondere Stärke erblickten.

Die Autoren Gereon Becht-Jördens und Peter M. Wehmeier haben demgegenüber im Jahr 2003 in ihrem Buch Picasso und die christliche Ikonographie. Mutterbeziehung und künstlerisches Selbstverständnis eine ikonografische Entdeckung beschrieben, die den auffälligen Gestus der Handbewegung im Bildzentrum betrifft, der sich auf das Bildmotiv Noli me tangere (Rühre mich nicht an!) bei der Begegnung des auferstandenen Christus mit Maria Magdalena im Garten Gethsemane zurückführen lässt. Ein entsprechendes Werk von Antonio da Correggio im Prado in Madrid, wo Picasso studiert hatte, konnte als Bildquelle identifiziert werden. Die Autoren betrachten das Gemälde als Medium autobiografischer Mitteilungen des Künstlers, die mit Hilfe der Tiefenpsychologie gedeutet werden können. Picasso bedient sich der Semantik traditioneller Bildmotive der christlichen Kunst, um eine eigene Bildsprache zu schaffen, die zum Medium persönlicher Mitteilung wird. Die konfliktbeladene Ablösung von der Mutter stellt nach Meinung der Autoren zugleich eine Distanzierung von dem von ihr repräsentierten traditionalistischen Publikum und von einer seinem Geschmack entsprechenden Malkunst dar. Picasso präsentiere sich durch den Rückgriff auf die Christus-Ikonografie einem avantgardistischen Publikum als neuer Messias im Sinne Friedrich Nietzsches und rechtfertige durch das Heilsversprechen einer von den Zwängen der Realität befreienden Kunst des neuen Sehens zugleich das Leiden, das er sich und der Mutter durch den Trennungsschmerz habe zufügen müssen. Die Ergebnisse beider Verfahren − Ikonografie und Tiefenpsychologie – stehen nach Meinung der Autoren daher keineswegs im Widerspruch zueinander, sondern sind auf sich bezogen und ergänzen sich.[4]

Die rechts im Bild dargestellte Frau, die ein Baby trägt, wird von den Autoren im Anschluss an Mary Mathews Gedo mit Picassos Mutter identifiziert.[5] Gedos Deutung des zentralen Gestus als Abgrenzungsgestus – der Mann links hebt warnend und distanzierend den Zeigefinger in Richtung der Mutter – wird durch die ikonografische Entdeckung gesichert. Gedo interpretierte aber das Bild lediglich tiefenpsychologisch, nämlich als gescheiterten Ablösungskonflikt von der Mutter als einer alles kontrollierenden Übermutter, deren Präsenz Picasso nicht mehr ertrug. Während Gedo in dem Säugling Picassos früh verstorbene Schwester Conchita erblickt und einen mit Schuldgefühlen verbundenen Eifersuchtskonflikt zwischen Geschwistern thematisiert sieht, vertreten Becht/Wehmeier die Ansicht, dass sich Picasso unter Rückgriff auf die aus der christlichen Kunst bekannte asynchrone Darstellungstechnik zweimal in zeitlich auseinanderliegenden Situationen selbst ins Bild gesetzt hat, einmal als junger Mann, der sich, verborgen hinter der Maske des Freundes Casagemas, für die Geliebte entscheidet und von der Mutter distanziert (Triangulierung), ein zweites Mal als göttliches Kind (Verehrungsgestus der verhüllten Hände), das in symbiotischer Dyade mit der Mutter vereint in deren Armen ruht. (Marienikonographie). Die Entdeckung der Christusikonografie führen Becht-Jördens/Wehmeier über die tiefenpsychologische Deutung hinaus zum Postulat einer zweiten Interpretationsebene, auf der sie die selbstreflexive kunsttheoretische Aussage der Kompostition von La Vie herausarbeiten.[6]

Literatur

  • Johannes M. Fox: Vie, La. In: Johannes M. Fox: Picassos Welt. Ein Lexikon. Projekte-Verlag Cornelius, Halle 2008, Bd. 2, S. 1297-1299 ISBN 978-3-86634-551-5
  • Siegfried Gohr: Ich suche nicht, ich finde. Pablo Picasso – Leben und Werk. DuMont, Köln 2006, S. 44f. ISBN 978-3-832-17743-0
  • Gereon Becht-Jördens/ Peter M. Wehmeier: Picasso und die christliche Ikonographie. Mutterbeziehung und künstlerisches Selbstverständnis. Reimer Verlag, Berlin 2003, weitere Literatur ebd. S. 15, Anm. 13. ISBN 978-3-496-01272-6
  • William H. Robinsohn: The Artist’s Studio in La Vie. Theater of Life and Arena of Philosophical Speculation. In: Michael FitzGerald (Hrsg.): The Artist’s Studio (Katalog Hartford, Cleveland 2001), Hartford u. a. 2001, S. 63−87.
  • Gereon Becht-Jördens/Peter M. Wehmeier: Noli me tangere! Mutterbeziehung, Ablösung und künstlerische Positionsbestimmung in Picassos Blauer Periode. Zur Bedeutung christlicher Ikonographie in „La Vie“. In: Franz Müller Spahn/Manfred Heuser/Eva Krebs-Roubicek (Hrsg.): Die ewige Jugend. Puer aeternus (Deutschsprachige Gesellschaft für Kunst und Psychopathologie des Ausdrucks, 33. Jahrestagung, Basel 1999), Basel 2000, S. 76–86.
  • Mary Mathews Gedo: The Archaeology of a Painting. A Visit to the City of the Dead beneath Picasso’s La Vie. In: Mary Mathews Gedo: Looking at Art from the Inside Out. The psychoiconographic Approach to Modern Art. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 1994, S. 87-118. ISBN 0-521-43407-6
  • Marilyn McCully: Picasso und Casagemas. Eine Frage von Leben und Tod. In: Jürgen Glaesemer (Hrsg.): Der junge Picasso. Frühwerk und Blaue Periode (Katalog Bern 1984), Zürich 1984, S. 166–176.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Marlyn McCully: Picasso und Casagemas. Eine Frage von Leben und Tod. In: Jürgen Glaesemer (Hrsg.): Der junge Picasso. Frühwerk und Blaue Periode (Katalog Bern 1984), Zürich 1984, S. 166–176.
  2. Eine Übersicht über die Deutungsversuche und die Stellungnahmen zur Deutbarkeit bieten Becht-Jördens, Wehmeier, Picasso und die christliche Ikonographie. Mutterbeziehung und künstlerische Position. Reimer, Berlin 2003 S. 14-17; S. 44f.; S. 96f. Vgl. Siegfried Gohr: Ich suche nicht, ich finde. DuMont, Köln 2006, S. 44 f
  3. vgl. Becht-Jördens, Wehmeier, ebd. S. 146-148; John Richardson, Picasso. Leben und Werk, Bd. 1 1881-1906. Kindler, München 1991, S. 263-279; Josep Palau i Fabre, Picasso. Kindheit und Jugend eines Genies 1881-1907, Prestel, München 1981, S. 371-376; Siegfried Gohr: Ich suche nicht, ich finde. DuMont, Köln 2006, S. 44
  4. Becht-Jördens/Wehmeier: Picasso und die christliche Ikonographie. Reimer Verlag 2003, abgerufen am 17. März 2009.
  5. Mary Mathews Gedo: Picasso, Art as autobiography. University of Chicago Press, 1980, bes. S. 46–53
  6. Bärbel Küster: Halt mich fest! querelles.net, abgerufen am 17. März 2009., deren Kritik jedoch zu guten Teilen auf sachlich unzutreffenden Behauptungen beruht.

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