Lautes Denken

Lautes Denken

Lautes Denken ist die (hörbare oder stumme) Verbalisierung des eigenen Denkens.

Eine Anwendung in der Informatik ist der Thinking Aloud Test. Er gilt als eine der wichtigsten Methoden für die praxisnahe Evaluation von Benutzerschnittstelle (engl. user interfaces). In der kognitiven Psychologie und der Linguistik werden Protokolle des lauten Denkens regelmäßig zu Forschungszwecken eingesetzt, d. h. die Probanden sollen nicht nur eine vorgegebene Aufgabe bearbeiten, sondern auch davon berichten, was sie gerade denken, z. B. welchen Teilschritt sie gerade auf welche Weise bearbeiten. Wichtig ist dabei, dass alle Gedanken genannt werden, auch jene, die den Probanden irrelevant erscheinen. Dabei werden die einzelnen Äußerungen möglichst objektiv protokolliert, das heißt ohne Interpretation durch den Versuchsleiter. Oft wird das laute Denken zusätzlich aufgezeichnet (zum Beispiel mit einem Diktiergerät), um eine nachfolgende Analyse zu erleichtern. Die Rolle des Versuchsleiters besteht darin, den Probanden bei Redepausen zum Weitersprechen zu ermutigen. Häufig fällt geübten Probanden „lautes Denken“ leichter.

Ziel des lauten Denkens ist es, ein Bild davon zu bekommen, welche kognitiven Prozesse während der Bearbeitung einer Aufgabe ablaufen. Nicht nur das Ergebnis, sondern vor allem der Lösungsweg gibt Aufschluss darüber. Zur Deutung dieser Protokolle stellten K. Anders Ericsson und Herbert Simon 1984 ihre „Theorie des lauten Denkens“ vor. Sie unterscheiden drei mögliche Beziehungen zwischen der Verbalisierung und den aufgaben-geleiteten kognitiven Prozessen:

  • Typ 1 – Direkte Verbalisierung: die innere Stimme wird hörbar gemacht, also das laute Denken im engeren Sinne. Der Proband spricht alles aus, was ihm beim Bearbeiten einer Aufgabe durch den Kopf geht. Das Problemlöseverhalten wird dadurch nicht beeinflusst. Die von der Aufgabe geleiteten Prozesse und deren Verbalisierung sind getrennt und verschieden.
  • Typ 2 – Liegt die zu lösende Aufgabe in Symbolform vor (z. B. in Bildern), verlängert sich die zur Lösung benötigte Zeit, da die Probanden die Aufgabe zunächst in Worte fassen müssen. Die Verbalisierung der beobachteten Information wird von den aufgabengeleiteten Prozessen hervorgebracht.
  • Typ 3 – Die Probanden sollen erläutern, warum sie tun, was sie tun. Die Folge: mehr richtige Lösungen, verlängerte Lösungszeit, andere Reihenfolge der Teilschritte usw. Die Anforderungen für das laute Denken verändern die aufgabengeleiteten Prozesse. Da keine Kontrolle möglich ist, sind die Angaben der Probanden unzuverlässig.


Weitere Protokollmethoden:

Motorprotokoll:

Beim Motorprotokoll werden die offensichtlichen physischen Aktivitäten aufgezeichnet und detailliert aufgeschrieben. Diese Methode eignet sich besonders bei Probanden mit eingeschränkten Sprachmöglichkeiten wie z. B. Tieren und Kindern.

Eye-Movement-Protokoll:

Bei dieser Methode werden die Augenbewegungen der Probanden aufgezeichnet. Das Interesse richtet sich dabei darauf, wann und wie lange sich der Blick während der Bearbeitung einer Aufgabe wohin richtet. Dabei gibt es einmal die Möglichkeit einfach dem Blick zu folgen um Aufschluss darüber zu bekommen oder mit einer Eye-Movement-Camera die genauen Blickpunkte aufzuzeichnen. Diese zweite Möglichkeit ist wesentlich genauer und bietet ein detaillierteres Bild.

Literatur

  • Karl A. Ericsson, Herbert A. Simon: Verbal Reports as Data. In: Psychological Review, Jg. 87 (1980), S. 215–251.
  • Karl A. Ericsson, Herbert A. Simon: Protocol analysis. Verbal reports as data. MIT Press, Cambridge, Mass. 1993, ISBN 0-262-05047-1.
  • Alison Green: Verbal protocol analysis in language testing research. Cambridge University Press, Cambridge, Mass. 1998, ISBN 0-521-58413-2.
  • A. H. Joergensen: Using the “thinking-aloud” method in system development. In: Gavriel Salvendy, Michael J. Smith (Hrsg.): Designing and using human-computer interfaces and knowledge-based systems Amsterdam. Elsevier Science Publishers, Amsterdam 1989, ISBN 0-444-88079-8, S. 743–750.
  • J.R. Hayes(1989): The complete problem solver, Lawrence Erlbaum Associates

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Denken — Auguste Rodin: „Der Denker“ Unter Denken werden alle Vorgänge zusammengefasst, die aus einer inneren Beschäftigung mit Vorstellungen, Erinnerungen und Begriffen eine Erkenntnis zu formen versuchen.[1] Bewusst werden dabei meist nur die Endprodukt …   Deutsch Wikipedia

  • Denkpsychologie — Die Denkpsychologie ist eine Richtung der Psychologie, die ihren Beginn in der Würzburger Schule nimmt und der Allgemeinen Psychologie zuzurechnen ist. Am Beginn des 20. Jahrhunderts leitete Oswald Külpe die Forschergruppe in Würzburg, woher auch …   Deutsch Wikipedia

  • Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden — ist ein Aufsatz des Schriftstellers Heinrich von Kleist, der wahrscheinlich in dessen Königsberger Zeit (1805–06) entstand. Die Schrift war wohl entweder für die Zeitschrift Phöbus oder für das Morgenblatt für gebildete Stände bestimmt, wurde… …   Deutsch Wikipedia

  • Fremdsprachendidaktik — ist das wissenschaftliche Fach vom Lehren und Lernen fremder Sprachen in Bildungsinstitutionen oder im Privatunterricht. Als Theorie der Unterrichtspraxis reflektiert sie das Zusammenwirken der institutionellen, personellen und fachlich… …   Deutsch Wikipedia

  • Scaffolding — (vom Englischen scaffold oder scaffolding = Gerüst) bezeichnet im pädagogisch psychologischen Kontext die Unterstützung des Lernprozesses durch die Bereitstellung einer ersten vollständigen Orientierungsgrundlage in Form von Anleitungen,… …   Deutsch Wikipedia

  • Schulz von Thun — Friedemann Schulz von Thun (* 6. August 1944 in Soltau) ist ein deutscher Psychologe und Kommunikationswissenschaftler. Bekannt wurde er als Autor des dreibändigen Werkes Miteinander reden. Als Professor der Psychologie an der Universität Hamburg …   Deutsch Wikipedia

  • Usability-Test — Ein Usability Test wird durchgeführt, um die Gebrauchstauglichkeit einer Software oder Hardware mit den potenziellen Benutzern zu überprüfen. Er gehört zu den Techniken der empirischen Softwareevaluation, im Gegensatz zu analytischen Verfahren… …   Deutsch Wikipedia

  • Usability Test — Ein Usability Test wird durchgeführt, um die Gebrauchstauglichkeit einer Software oder Hardware mit den potenziellen Benutzern zu überprüfen. Er gehört zu den Techniken der empirischen Softwareevaluation, im Gegensatz zu analytischen Verfahren… …   Deutsch Wikipedia

  • Usability Testing — Ein Usability Test wird durchgeführt, um die Gebrauchstauglichkeit einer Software oder Hardware mit den potenziellen Benutzern zu überprüfen. Er gehört zu den Techniken der empirischen Softwareevaluation, im Gegensatz zu analytischen Verfahren… …   Deutsch Wikipedia

  • à part — 〈[ pa:r] Theat.〉 beiseite(sprechend) [frz.] * * * à part   [a paːr; französisch »beiseite«], veraltet Apạrte das, (s)/ s, Theater: Kunstgriff in der Dramentechnik (Beiseitesprechen), eine Art lautes Denken, durch das eine Bühnenfigur ihre …   Universal-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”