Lerntransfer

Lerntransfer

Lerntransfer beschreibt die Fähigkeit, eine gelernte Problemlösung auf eine andere, vergleichbare Situation zu übertragen. Durch Lernen erworbenes Wissen über konkrete Gegenstände oder Zusammenhänge kann auf ähnliche Phänomene angewendet werden, indem es verallgemeinert oder abstrahiert wird. Dieses Übertragen von Wissen auf ähnliche Situationen wird in der Psychologie und Pädagogik als Transfer bezeichnet; (lateinisch: transferre = hinübertragen, übertragen).

Inhaltsverzeichnis

Transferleistung in der Lernpsychologie

In der Lernpsychologie gelten Transferleistungen als Kennzeichen für erfolgreiche Lernprozesse. Ausgehend von einer bestimmten ausgeführten Handlung wird auf die dahinter liegenden Denkvorgänge geschlossen. Dabei kann der Lerntransfer einzelne Elemente betreffen oder die Regeln oder Strukturen eines Lernprozesses. Transferleistungen können systematisch geübt werden, dies zeigt besonders im Erwachsenenalter gute Erfolge.

Um neu erlernte Handlungsabläufe, Aufgaben oder Anwendungssituationen auf eine andere Situation übertragen zu können, muss die neue Situation ähnliche Merkmale aufweisen wie die Lernsituation. Es sind Fähigkeiten erforderlich, eine neue Situation als geeignet zu erkennen, um einen Transfer leisten zu können. Diese Fähigkeiten sind kognitiver Natur und betreffen das Unterscheidungsvermögen, die Fähigkeit zu Verallgemeinern sowie vorausschauend abzuwägen, inwieweit die einzusetzenden Mittel dem erwünschten Zweck dienlich sind. (Fachlich ausgedrückt: Differenzierungs- und Generalisierungsvermögen, sowie vorausschauende Zweck-Mittel-Abwägung)

Theorien zum Lerntransfer in der Lernpsychologie

Der US-amerikanische Psychologe Edward Lee Thorndike (1930) entwickelte die Theorie der „identischen Elemente“. Nach dieser Theorie findet der Transfer von einer Aufgabe zu einer anderen nur statt, wenn in beiden Aufgaben gemeinsame, genau identische Wahrnehmungs- und Verhaltenselemente vorhanden sind.

Die Thorndikesche Theorie wurde durch den Psychologen Charles E. Osgood (1949) kritisiert und weiterentwickelt. Er versuchte den Transfereffekt auf der Basis der Ähnlichkeit der Elemente in der Ausgangs- und der neuen Lernsituation darzustellen (Fachlich: als Funktion der Reiz- und Reaktionsähnlichkeit). Nach ihm wurde die „Osgoodsche Transferebene“ benannt.

Der amerikanische Soziologe Ch. H. Judd (1908) entwickelte eine Theorie zum Transferwert allgemeiner Lösungsprinzipien. Bei ihrer Anwendung im Unterricht wird ein Lehrplan vorausgesetzt, der auf einem schrittweisen, positiven Transfer von niedrigeren zu höheren Lernebenen aufbaut.

Lerntransfer in der Mathematikdidaktik

Die Mathematikdidaktik beschreibt den Lerntransfer als die Möglichkeit, das Ergebnis einer Rechnung benutzen zu können um auf das Ergebnis einer anderen zurückzuschließen, ohne sie berechnen zu müssen. Liegt das Wissen über das Dezimalsystem zugrunde, kann beispielsweise über das Ergebnis der Addition 7+8 direkt auf das Ergebnis der Addition von 17+8 zurückgeschlossen werden. Die Fähigkeit, Transferleistungen zu erbringen steht im Gegensatz zum sturen Reproduzieren von Ergebnissen. Schülern, die an Dyskalkulie leiden, mangelt es häufig an der Fähigkeit, kognitive Transferleistungen zu erbringen.

Einteilung von Lerntransfers

Mit Blick auf das Ergebnis des Transfers wird unterschieden:

  • Positiver Transfer: Bereits gelernte Fähigkeiten erleichtern das Erlernen neuer, ähnlicher Fähigkeiten durch hohe Übereinstimmung der früheren mit der neuen Lernsituation. Wer beispielsweise Blockflöte spielen kann, lernt leichter Querflöte.
  • Negativer Transfer: hier erschwert oder stört die sogenannte „proaktive Hemmung“ das neu zu Lernende, oder die „retroaktive Hemmung“ beeinträchtigt einen früher gelernten Inhalt durch den später gelernten. Eine Hemmung des vorhandenen auf den neuen Lernstoff findet statt, wenn z.B. ein Autofahrer in einem anderen Land Linksverkehr statt Rechtsverkehr bewältigen muss.
  • Nulltransfer: zeigt keinerlei Auswirkung auf das nachfolgende Lernen. Die Person steht ratlos vor einer vergleichbaren Aufgabe oder einer ähnlichen Situation, so als wäre sie etwas völlig Neues. Geistig behinderte Menschen leiden häufig an dieser Transferschwäche.

Hinsichtlich der Komplexität des Gelernten wird unterschieden:

  • Lateraler Transfer bezeichnet die Anwendung des zuvor Gelernten auf einen Lernstoff gleicher Komplexität
  • Vertikaler Transfer bezeichnet die Anwendung des zuvor Gelernten auf einen Lernstoff höherer Komplexität

Ein ähnliches Konzept ist die Reiz-Generalisierung in der Verhaltensbiologie. Sie tritt auf, wenn eine auf einen speziellen Reiz hin erlernte Reaktion auf ähnliche Reize übertragen wird.

Literatur

  • Rolf Oerter, Leo Montada (Hrsg.): Entwicklungspsychologie. 5. vollständig überarbeitete Auflage. Verlag: BeltzPVU, München, Wien, Baltimore 2002, ISBN 3-621-27479-0
  • Stefan G. Lemke: Transfermanagement. Psychologie und innovatives Management Verlag für Angewandte Psychologie, Göttingen 2002, ISBN 3-8017-0854-3
  • Helmut Messner: Wissen und Anwenden. Zur Problematik des Transfers im Unterricht, Verlag: Klett-Cotta, Stuttgart 1978, ISBN 3-12-925531-1

Weblinks


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