Makroevolution

Makroevolution

Mit Makroevolution bezeichneten ursprünglich Anhänger des Kreationismus einen Entwicklungsvorgang, der über Artgrenzen hinaus stattfindet, d.h. alle Entwicklungen, durch welche höhere Taxa wie Gattungen, Familien, Ordnungen, Klassen oder Stämme entstehen. Eine solcher Vorgang wird von ihnen als unrealistisch abgelehnt, im Gegensatz zur Mikroevolution, die sie bei Veränderungen innerhalb einer Art für ursächlich halten.

Bei der Mehrheit der Evolutionsbiologen sind beide Begrifflichkeiten schon wegen ihrer Entstehung umstritten. Man vermeidet sie, weil beiden der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt und die Unterscheidung künstlich ist. Üblich ist stattdessen die Verwendung des Begriffs Evolution. Wenn sie in der Wissenschaft doch einmal benutzt werden, dann ohne die ablehnende Konnotation.

Inhaltsverzeichnis

Verwendung

Evolutionsbiologen gehen davon aus, dass die Vorgänge der Makroevolution nach den gleichen Prinzipien wie die der Mikroevolution ablaufen, es sich bei der Makroevolution also nur um eine Fortsetzung der Prozesse der Mikroevolution über längere Zeiträume handelt. Einige Biologen (darunter Richard Goldschmidt) haben versucht, die Phänomene der Makroevolution mit größeren Mutationssprüngen zu erklären.

Die Erforschung der Evolution ist ein interdisziplinäres Forschungsgebiet an dem neben Biologen auch Wissenschaftler aus vielen verschiedenen Fachrichtungen mitarbeiten. So liefern z. B. Geologie, Stratigraphie und Geochemie Datierungen für das erste Auftreten von neuen Arten. Es werden regelmäßig neue Aufsätze und Bücher zu diesem Themengebiet verfasst. Auch gibt es eine Reihe von Symposien, auf denen neue Erkenntnisse zur Makroevolution ausgetauscht werden.[1]

Forschungsresultate und Hypothesen

Wichtige Bedeutung für die Makroevolution, soweit sie mit größeren Änderungen der grundlegenden Morphologie der jeweiligen Organismen verbunden ist, haben die Hox-Gene. So konnte anhand von Experimenten mit der Fruchtfliege Drosophila melanogaster und dem Salinenkrebs gezeigt werden, dass durch vergleichsweise einfache Mutationen innerhalb der Hox-Gene der Körperaufbau so stark geändert werden kann, dass damit die Entwicklung sechsfüßiger Insekten aus krebsartigen Vorfahren des Salinenkrebs erklärbar wäre.[2]

Ein weiteres wichtiges Konzept der Makroevolution ist die von Andrew H. Knoll vertretene „permissive Ecology“ (dt. „tolerante Ökologie“).[3] Danach können in bestimmten Situation, z. B. nach katastrophalen Ereignissen, große potentielle Lebensräume zur „Neueroberung“ durch Leben freiwerden. Da dort zunächst viele ökologische Nischen frei sind, herrscht anfänglich kein oder nur ein geringer Konkurrenzkampf („Survival of the Fittest“).

Dies erlaubt das Überleben und die Fortpflanzung von Individuen mit großen Mutationsprüngen immer dann, wenn unter Mutationen, die mehrheitlich mit mehr oder weniger gravierenden Nachteilen verbunden sind, solche mit einem Vorteil übrig bleiben. In einer Umwelt hingegen, deren ökologische Nischen bereits besetzt sind, hätten solche Individuen wegen des Konkurrenzkampfes mit den bereits besser angepassten Arten keine Überlebenschancen. In einer solchen toleranten Ökologie wäre also eine beschleunigte Evolution mit großen Mutationssprüngen und großen Änderungen in der Morphologie möglich. A. H. Knoll schlägt dies beispielsweise als Erklärung für die Kambrische Radiation vor, die demnach dadurch erklärt werden könne, dass möglicherweise nach dem Ende einer globalen Vereisung große Lebensräume frei wurden.

Frühe Anstöße zu dieser Sichtweise haben seit Anfang der 1970er-Jahre Stephen Jay Gould und in den 1980er-Jahren Elisabeth Vrba gegeben.

Kritik

Während einige Evolutionsbiologen den Begriff „Makroevolution“ verwenden, lehnen andere die Differenzierung von Makro- und Mikroevolution ab, da sie eine eindeutige Abgrenzung suggerieren würde. Sie betonen, dass die Mechanismen die gleichen sind, lediglich bei größeren Zeiträumen zusätzliche Aspekte zu tragen kommen. Sie sprechen daher von Makroevolution eher als einem einzigen zusammenhängenden Mechanismus der Evolution, ausgehend von den Prozessen der Artbildung. Die Trennung wird oftmals von Kreationisten aufgegriffen und als Angriffspunkt für eine Argumentation benutzt, mit der sie die Evolutionstheorie kritisieren wollen.

Alternative Begriffsunterscheidung

Alternativ wird der Begriff Makroevolution verwendet, um verschiedene Fachbereiche und Methoden zu unterscheiden:

  • Makroevolution bezeichnet dabei jenen Bereich innerhalb der Evolutionsbiologie, der einzigartige Phänomene der Evolution (Entstehung evolutionärer Neuheiten, Ursprung des Menschen etc.) untersucht. Da diese Phänomene der experimentellen Forschung nur schwer zugänglich sind, benutzt man hauptsächlich die Methodik der erdgeschichtlichen Wissenschaften. Die Paläontologie ist ein typisches Fachgebiet, das mit der Methode der historischen Rekonstruktion arbeitet.
  • Mikroevolution bezeichnet danach den Bereich der Funktionsbiologie, der die Physiologie aller Vorgänge bei lebenden Organismen (Zellprozesse etc.) untersucht. Dieser Bereich kann mit den klassischen Methoden der Naturwissenschaft untersucht werden. Ein Fachgebiet, das mit dieser Methode arbeitet, ist die Genetik.

Literatur

Referenzen

  1. Z. B. Macroevolution in the 21st Century.
  2. M. Ronshaugen, N. McGinnis, W. McGinnis: Hox protein mutation and macroevolution of the insect body plan. Nature 2002, Bd. 415, S. 914–917.
  3. Andrew H. Knoll: Life on a Young Planet, The First Three Billion Years of Evolution on Earth. Princeton University Press 2005, ISBN 0-691-12029-3.

Weblinks


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