Mesopotamische Gesetze

Mesopotamische Gesetze

Mesopotamische Gesetze sind frühe Gesetzestexte, die von Königen in Mesopotamien ab dem 3. Jahrtausend vor Christus erlassen wurden.

Ein Großteil der bisher gefundenen Keilschriftdokumente befasst sich mit Empfangsbestätigungen, Rechenschaftsberichten und schriftlichen Fixierungen von verschiedenen Eigentumstransaktionen. Es galt der Grundsatz, dass eine schriftlich nicht fixierte Eigentumsübertragung keine Gültigkeit hatte, und die nichtautorisierte Änderung eines solchen Dokuments galt als ein scheußliches Vergehen.

Viele Könige des 3. Jahrtausends förderten Recht und Gerechtigkeit. Ob diese Könige ihre Gesetze auch amtlich veröffentlichten und schriftlich niederlegten ist ungewiss. Es gibt zum Beispiel keinen Beweis dafür, dass die Reformen des Urukagina durch eine öffentlich aufgestellte Inschrift bekanntgemacht wurden, obwohl es nicht auszuschließen ist. Doch einige ließen ihre Gesetze schriftlich niederlegen.

Inhaltsverzeichnis

Hammurabis Rechtspflege

Die Gesetzessammlung des Hammurabi galt lange Zeit als die älteste der Welt. Von ihr ist uns der größte Teil bekannt, und zwar durch die Inschrift auf einer etwa 2,25 Meter hohen Dioristele, die bei französischen Ausgrabungen in Susa, der antiken Hauptstadt von Elam, zu Beginn des Jahres 1902 gefunden wurde und sich heute im Louvre in Paris befindet.

Als Hammurabi den Thron bestieg, war die Etablierung des Justizapparats einer seiner wichtigsten Anliegen. Sein zweites Regierungsjahr ist mit der Formel gekennzeichnet: "Das Jahr, in dem er im Lande die Rechtsverordnungen verkündete". Sie bezieht sich allerdings nicht auf den sogenannten "Kodex", sondern auf bestimmte Maßnahmen, die getroffen werden mussten, um das Los der Bürger zu verbessern. Sie beziehen sich in erster Linie auf den wirtschaftlichen Bereich und es ist bekannt, dass es dem König dabei vor allem darauf ankam, einen teilweisen Erlass von Schulden zu erwirken. Denn zuvor gab es so etwas wie ein Lehnswesen, bei dem der Tempel im Notfall die Tempelmagazine leerte. Nun gehörte das Land jedoch den Bauern und diese mussten ein Darlehen aufnehmen und es mit Zinsen zurückzahlen. Das führte im Lauf der Jahre dazu, dass der größte Teil der Bauernschaft unter einer lähmenden Schuldenlast stöhnte und diese Situation konnte nur durch drastische Maßnahmen bereinigt werden. Das Bestreben des Königs, die Ausbeutung der Bevölkerung durch die Großgrundbesitzer und Tempelbehörden zu verhindern, da sie zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten und politischer Labilität führen mussten, erforderte die Herausgabe von preis- und lohnregulierenden Bestimmungen.

Solche Erlasse, die das allgemeine Recht modifizierten, mögen die Grundlage für ein so imponierendes „Dokument“ wie den Kodex des Hammurabi bilden.

Die Gesetzessammlung Ur-Nammus

Die früheste uns bekannte Sammlung von Gesetzen ist die von Ur-Nammu, dem Begründer und ersten König der III. Dynastie von Ur. Der sumerische Text beginnt mit einem kurzen Überblick über die Geschichte der damaligen Welt und das Aufsteigen von Ur zur beherrschenden Macht unter seinem König Ur-Nammu.

Der Text ist teilweise nur sehr schlecht erhalten und ein Teil der Einleitung ist abgebrochen doch fünf Gesetze lassen sich mit einiger Sicherheit wiederherstellen. Sie befassen sich mit der Urteilsfindung durch das Wasserordal und der Kompensation für eine zugefügte Verletzung (mit der sich drei der fünf Gesetze beschäftigen).

Eines der die Körperverletzung behandelnden Gesetze lässt sich etwa folgendermaßen übersetzen: „Hat ein Mann einem anderen Mann mit einer Waffe die Knochen gebrochen, dann muss er eine Mine Silber zahlen.“ Die beiden anderen lauten ähnlich. Das Wichtigste an diesen Gesetzen ist die Tatsache, dass - wie sie zeigen - bereits im alten Sumer das Talionsrecht, das Prinzip des „Auge um Auge“, aufgehoben worden war (falls es überhaupt je bestand).

Die Lipit-Istar-Gesetze

Es gibt noch einige andere Gesetze in sumerischer Sprache. Die bedeutendsten von ihnen sind die Gesetze von Lipit-Istar, dem König von Isin, dessen Regierungszeit etwa in die Mitte zwischen Ur-Nammu und Hammurabi fällt. Sie sind uns in einer Textversion bekannt, die sich auf sieben Tontafelfragmenten befindet; diese enthalten Teile eines Prologs und eines Epilogs sowie 37 Gesetzesparagraphen, und man nimmt an, dass die erhaltenen Teile etwa ein Drittel des Originaltextes ausmachen.

Die Lipit-Istar-Gesetze lassen sich wie folgt gruppieren:

1-6 [Fragmentarisch]

7-11 Grund und Boden, Gärten und Obstgärten

12-14 Sklaven

15-16 Pachtbauern

17 [Unklar]

18 Übertragung eines Lehens wegen Vernachlässigung durch den Inhaber

19-20 [Fragmentarisch]

21-27 Erbrecht

28 Bigamie

29 Ein Mädchen darf nicht den Brautführer des zurückgewiesenen Bewerbers heiraten

30 Heirat einer Hure

31-33 Aufteilung eines väterlichen Besitzes unter die Erben

34-37 Geldbußen bei Beschädigung eines gemieteten Ochsen

Zum besseren Verständnis folgen nun noch einige Gesetze mit dem vollen Wortlaut:

  • “Wenn ein Sohn zum Vater sagt: „Du bist nicht mein Vater“, dann darf der Vater ihm eine Sklavenmarke einbrennen lassen und ihn verkaufen“
  • Wenn ein Mann einen Ochsen gemietet hat, und er verletzt ihn am Auge, dann soll er den halben Kaufpreis dafür zahlen.
  • Wenn eine Frau dem Mann keine Kinder geschenkt hat, aber eine Prostituierte von der Straße hat ihm Kinder geschenkt, dann soll er für diese Prostituierte alles Notwendige an Getreide, Öl und Kleidung herbeischaffen und die Kinder, die ihm die Prostituierte geschenkt hat, sollen seine Erben sein; solange aber seine Frau noch lebt, soll die Prostituierte nicht in seinem Haus zusammen mit der Ehefrau wohnen.

Die Gesetze von Esnunna

Die frühesten Gesetze in akkadischer Sprache sind diejenigen, die man 1947 auf zwei Tontafeln in Tell Harmal, einer Vorstadt von Baghdad, gefunden hat. Tell Harmal ist der Name für die antike Stadt Saduppum, und sie lag in dem Königreich, dessen Hauptstadt Ešnunna war. Diese Gesetze bezeichnet man daher allgemein als Gesetze von Ešnunna. Diese Gesetze gehören vermutlich in eine Zeit die 100 bis 200 Jahre vor Hammurabi lag.

Die Tafeln weisen einen Prolog auf, dann folgen eine Anzahl von Paragraphen, die sich mit Mietpreisen und Löhnen befassen und die Strafen aufführen, die unter gewissen Umständen in diesem Zusammenhang ausgesprochen werden. Die Hauptpunkte der übrigen 48 Paragraphen lassen sich etwa folgendermaßen kurz zusammenfassen:

12-13 Strafen für Übertretungen und Einbruch – bei Tage eine Geldstrafe, bei Nacht die Todesstrafe

14-21 Verschiedene geschäftliche Transaktionen. Gebühr für „Geldbeutelträger“; Maklern ist es nicht erlaubt, von Sklaven Grundwaren oder Silber zu Spekulationszwecken entgegenzunehmen, sie dürfen auch keine Darlehen an Sklaven oder Minderjährige abgeben; das dem Vater des Mädchens ausgehändigte Brautgeld bleibt Eigentum des Verlobten, bis das Mädchen in das Haus des Verlobten zieht, stirbt die Braut nach Vollzug der Ehe kinderlos, dann behält der Ehemann die Mitgift, bekommt aber das Brautgeld nicht zurück; Rückzahlung von Darlehen

22-24 Ungesetzliche Zwangsvollstreckung bei einer Sklavin oder Ehefrau

25-28 Verlobung und Heirat. Der verlobte, der, statt das Brautgeld zu entrichten, in die Dienste des Vaters seiner Braut tritt und dann um die Heirat mit dem Mädchen betrogen wird, erhält eine Kompensation in doppelter Höhe; auf Vergewaltigung eines verlobten Mädchens steht die Todesstrafe; Beischlaf ohne Ehevertrag gibt einer Frau nicht den Status einer Ehefrau

29-30 Der Ehemann verliert die Rechte über seine Frau, wenn er sie aus eigenem Antrieb verlässt, aber nicht bei Abwesenheit infolge höherer Gewalt.

31 Wer die Sklavin eines anderen Mannes defloriert, muss eine Geldbuße zahlen.

32-35 Bestimmungen über Pflegeeltern und Eigentumsrecht an Kindern von Sklavinnen.

36-37 Haftpflicht für den Verlust von Eigentum, das zur sicheren Aufbewahrung deponiert war

38-41 Bestimmungen für bestimmte Käufe und Verkäufe

42-48 Geldbußen für tätliche Beleidigung und Körperverletzung; dem Schuldigen muss in ernsthafteren Fällen der Prozess gemacht werden, und zwar bei Todesfällen vor dem König selbst

49-52 Diebstahl und Weglaufen von Sklaven

53-58 Haftbarkeit für einen Schaden, der durch einen Ochsen, einen Hund oder durch zusammenstürzende Mauer verursacht wird

59 Der Ehemann, der sich von der Ehefrau, die ihm Söhne geboren hat, illegal scheiden lässt, verliert den Anspruch auf Haus und Besitz.

60 [Text stark beschädigt] Möglicherweise Erwähnung der Todesstrafe für nachlässige Hauswache.

Der Hammurabi-Kodex

Der auffallendste Unterschied zwischen Hammurabis Gesetzen und den anderen bisher besprochenen Gesetzessammlungen besteht darin, dass Erstere eine wesentlich geordnetere Gliederung aufweisen und so dem Begriff Kodex entschieden näher kommen als irgendeines der anderen Dokumente.

Der eigentliche Kodex steht zwischen einem Prolog, der die Titel Hammurabis aufzählt und einen Überblick über seine bisherigen Leistungen gibt, und einem Epilog, in dem Sinn und Zweck sowie die gesetzmäßige Kraft seiner Gesetze proklamiert werden; dann folgen Anweisungen für nachfolgende Herrscher (unter Androhung seines Fluchs):

„…So achte er auf die Worte, die ich auf meinem Denkstein geschrieben habe…seine Schwarzhäuptigen leite er recht, ihr Recht wende er an, ihre Entscheidungen fälle er, aus seinem Lande tilge er den Ruchlosen und Bösen, seinen Menschen schaffe er Wohlgefallen.“

Der Epilog legt auch das Verfahren fest, das für einen unterdrückten Menschen verbindlich sein sollte. Hammurabi erklärt:

„Der entrechtete Bürger, der in einen Rechtshandel gerät, trete vor mein Bildnis als König der Gerechtigkeit, und dann lese er meinen Schriftstein, und er höre meine köstlichen Worte, und mein Denkstein kläre ihm seinen Rechtshandel, seinen Rechtsspruch soll er ersehen, sein Inneres aufatmen lassen.“

Die Gesetze selbst, in denen es heute kaum noch Lücken gibt, umfassen gegenwärtig über 260 Paragraphen. Die Paragraphen der ursprünglichen Stele werden in modernen Ausgaben mit Ziffern gekennzeichnet, Paragraphen, die erst später auf Tontafeln entdeckt wurden, mit Buchstaben.

Die Rechtsmaterie lässt sich wie folgt zusammenfassen:

  • Rechtsausübung

1-5 Falsche Zeugen; korrupte Richter.

  • Verstöße gegen das Eigentum

6-14 Diebstahl, einschließlich Entführung Minderjähriger

15-20 Entlaufene und gestohlene Sklaven

21-25 Einbruch, Raub, Plünderung

  • Land und Häuser

26-41 Pachtbesitz von Land als Lehen vom König

42-48 Kultivierung von Ackerland durch Pachtbauern

49-52 Bestimmungen über Finanzhilfe für Pachtbauern

53-56 Vernachlässigung von Bewässerungsanlagen

57-58 Widerrechtliches Überwechseln von Vieh auf Getreidefelder

59 Unerlaubtes Stutzen von Bäumen

60-65 und A: Kultivierung von Palmenplantagen

B-E, G, H Bestimmungen über Mietung, Bau und Reparatur von Häusern

F, J, K [Fragment]

Kaufleute und Agenten

L-R Darlehen von Kaufleuten; Zinssätze

S, T [Fragment]

U Aufteilung von Gewinn und Verlust zwischen Partnern

100-107 Bestimmungen über Transaktionen von Handelsbeauftragten

108-111 Bestimmungen über Schankwirtinnen (die offensichtlich auch kleinere Maklergeschäfte tätigen)

111 Betrug durch einen Boten

113-117 Pfändung wegen Verschuldung

118-119 Übergabe von Dienstpersonal in Schuldhaft

120-126 Speicherung von Waren

  • Frauen, Heirat, Familienbesitz und Erbrecht

127 Verleumdung einer Hohepriesterin oder einer verheirateten Frau

128 Status der Ehefrau; Kohabitation ohne Vertrag gibt einer Frau nicht den Status einer Ehefrau

129-132 Ehebruch

133-136 Wiederheirat einer verheirateten Frau: Sie ist bei Abwesenheit des Ehemannes nur unter bestimmten Voraussetzungen gestattet, in jedem Fall aber bei böswilligem Verlassen

137-143 Scheidung

144-149 Konkubinat; Voraussetzung, unter der Bigamie statthaft ist

150 Vererbung des der Ehefrau von ihrem Mann geschenkten Besitzes

151-152 Haftung der Ehegatten für Schulden

153 Bestrafung der Ehefrau wegen Gattenmordes – Pfählung

154-158 Inzest

159-161 Vertragsbruch nach der Verlobung

162-164 Übergabe der Mitgift nach dem Tod der Ehefrau

165-167 Aufteilung des Erbgutes unter den Söhnen

168-169 Enterbung

170 Legitimierung von Söhnen einer Konkubine

171-174 Rechte einer Konkubine und ihrer nicht legitimierten Söhne; Eigentum der Witwe

175-176 Rechte einer Freien, die mit einem Sklaven verheiratet ist

177 Verfügung über das Eigentum des frühen Ehemanns bei der Wiederheirat einer Witwe

178-184 Anspruch der Priesterinnen auf Mitgift oder väterliches Erbteil

185-193 Adoption

194 Unterschiebung eines fremden Kindes durch die Amme

  • Tätlichkeiten und Körperverletzung

195 Tätlicher Angriff eines Sohnes gegen seinen Vater

196-205 Strafen für Körperverletzung – Talionsrecht, wenn das Opfer ein Freier ist, Geldbußen, wenn es ein Pachtbauer oder Sklave ist

206-208 Wer einen anderen fahrlässig verletzt, muss nur eine Geldbuße oder die Arztkosten bezahlen, ist aber nicht dem Talionsrecht unterworfen

209-214 Tätlicher Angriff auf eine Frau, der zu einer Fehlgeburt führt

  • Berufliche Gebührentarife und Pflichten

215-225 Gebührentarif für Ärzte und Tierärzte bei gelungenen Operationen und verwirkte Strafen bei ungünstigem Ausgang einer Operation

226-227 Strafen für das Herausschneiden einer Sklavenmarke oder für die Vermittlung einer solchen Prozedur

228-239 Gebührentarif für Baumeister und Schiffsführer und Strafen für Fahrlässigkeit

240 Zusammenstoß zwischen einem Ruderschiff und einem Segelschiff

  • Landwirtschaft

241-249 Pfändung, Mieten, Tod und Verletzung von Ochsen

250-252 Haftung für Schaden, der durch einen mit den Hörnern stoßenden Ochsen angerichtet wird

253-256 Widerrechtliche Aneignung durch einen Verwalter

257-258 Mieten eines Pflügers und eines Rinderhirten

259-260 Diebstahl von landwirtschaftlichen Geräten

261 Mieten eines Viehhüters oder Schäfers

  • Miettarife

268-277 Tarife für das Mieten von Tieren, Wagen, Arbeitern, Handwerkern und Schiffen

  • Besitz und Verkauf von Sklaven

278-279 Haftung für einen verkauften Sklaven, wenn dieser eine Krankheit hat oder ein Vindikationsanspruch gegen ihn besteht

280-282 Auslösung von im Ausland gekauften Sklaven bei ihrer Rückkehr nach Babylonien

Siehe auch

Quellenverzeichnis

  • H. W. F. Saggs - Mesopotamien
  • Wilhelm Eiler - Die Gesetzesstele Chammurabis (Der Alte Orient, Bd. 31,3,4)

Weblinks


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