Mittelalterarchäologie

Mittelalterarchäologie
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Die Mittelalterarchäologie - aufgrund der zunehmenden Integration der Neuzeitarchäologie inzwischen besser als Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit zu bezeichnen - ist eine archäologische Disziplin, die Erkenntnisse über das Mittelalter aus Boden- und Baubefunden sowie den bei Ausgrabungen und Bauuntersuchungen gewonnenen (also nicht museal überlieferten) Hinterlassenschaften (Befunden und Funden) gewinnt. Sie ergänzt das Wissen zum Mittelalter um solche Aspekte, die aus der Analyse schriftlicher oder bildlicher Quellen nicht zu gewinnen sind.

Methodisch ist die Mittelalterarchäologie mit der Ur- und Frühgeschichte verwandt; doch spielt im Unterschied zu dieser die Einbindung der Schrift- und Bildquellen eine wichtige Rolle. Enge Beziehungen bestehen weiterhin zur Kunst- und Architekturgeschichte und zur Geographie sowie natürlich zur Mittelalterlichen Geschichte.

Mittelalterarchäologie ist Studienfach an verschiedenen Universitäten wie beispielsweise Tübingen oder Bamberg. Einzelne Lehrangebote bestehen darüber hinaus auch an anderen Universitäten, meist im Kontext der Ur- und Frühgeschichte (Bonn, Berlin, München, Halle) oder der Kunstgeschichte (Heidelberg). In anderen Ländern ist die Archäologie des Mittelalters in die Kunstgeschichte (Mittelmeerraum) oder - wie vielfach auch die prähistorische Archäologie - in die Geschichte (Osteuropa) eingebunden.

Inhaltsverzeichnis

Forschungsgeschichte

Die Archäologie des Mittelalters ist verhältnismäßig jung und betrifft auf europäische Ebene ein regional unterschiedlich eingegrenztes Feld. Der Begriff Mittelalter bezeichnet in Teilbereichen der europäischen Geschichte die Epoche zwischen Antike und Neuzeit (6. bis 15. Jahrhundert). In Skandinavien beginnt es nach der Wikingerzeit (800 bis 1050). Nach einzelnen Anfängen im 19. Jahrhundert kam es vor allem in den 1960er Jahren zu einem Entwicklungsschub, der in einigen Bundesländern zur Etablierung in der Denkmalpflege und zur Einrichtung eines Lehrstuhles in Bamberg führte. Neben Geographen und Kunsthistorikern waren vor allem Prähistoriker an der Entwicklung des Faches beteiligt, was Methode und Theorie bis heute prägt. Seit 1974 gibt es mit der "Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters" eine eigene Fachzeitschrift, die jedoch auf der Privatinitiative der Herausgeber beruht. Die Deutsche Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit (DGAMN) hat ihr Mitteilungsblatt inzwischen ebenfalls zu einer anerkannten Fachzeitschrift ausbauen können, in der regelmäßig die Tagungen der Gesellschaft dokumentiert sind. 1987 veröffentlichte Günter Fehring eine Einführung in die Mittelalterarchäologie. Heute betreffen die weitaus meisten Aktivitäten der Bodendenkmalpflege mittelalterliche Objekte.

Seit den 1970er Jahren wird zunehmend auch die Neuzeit mit einbezogen. Dabei ist zum einen auf die grundsätzlich gleiche methodische Problematik der Kombination archäologischer und schriftlicher Quellen zu verweisen. Hinzu kommt häufig die Idee des "langen Mittelalters", die der französische Historiker Jacques Le Goff formuliert hat. Zunehmend wird die Disziplin daher als "Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit" bezeichnet.

In Großbritannien und Skandinavien hat die Archäologie des Mittelalters einige Jahrzehnte Vorlauf, da hier die schriftliche Überlieferung später einsetzt. Im Mittelmeerraum hat eine Auseinandersetzung vor allem mit kirchlicher Archäologie im Rahmen der christlichen Archäologie und der byzantinischen Archäologie zu einer archäologischen Erforschung des Mittelalters geführt. Zahlreiche Survey-Projekte, wie sie v.a. seit den 1970er Jahren zunehmend durchgeführt wurden und die von der prähistorischen bzw. klassischen Archäologie ausgingen, haben zwangsläufig auch jüngere Monumente erbracht. Damit dehnte sich das Spektrum der Fragestellungen über die Sakralbauten hinaus aus. In Italien hat sich eine breit aufgestellte Archäologie des Mittelalters entwickeln können, die wichtige Impulse durch französische und britische Projekte erhalten hat, v.a. durch Riccardo Francovich geprägt wurde. In Spanien galt das Interesse lange Zeit vor allem der islamischen Periode (islamische Archäologie), doch rückt zunehmend auch die Zeit nach der reconquista ins Blickfeld.

Forschungsfelder

  • Siedlungsarchäologie: ländliche Siedlungen, Städte, Burgen, Klöster
  • Archäologie des Kults: Kirchen, Klöster, Bestattungsplätze, heidnische und jüdische Kultbauten
  • Sachkulturforschung
  • Landesgeschichte
  • Kulturgeschichte
  • Sozialarchäologie: gesellschaftliche Differenzierung, "gender studies"
  • Wirtschaftsarchäologie: Handwerk und Technik, Produktion und Handel
  • Umweltarchäologie

Definitionen

Im Lauf der kurzen Forschungsgeschichte wurde das Fach unterschiedlich definiert:

  • Paul Grimm 1966: ‚archäologische Frühgeschichtsforschung‘
  • Herbert Jankuhn 1973: ‚direkte Fortsetzung der vor- und frühgeschichtlichen Archäologie, und zwar sowohl nach Problemstellung wie nach methodischem Ansatz‘
  • Günter Fehring 1987: ‚nach Fragestellung und Arbeitsziel eine historische Wissenschaft; aufgrund der in den Boden eingebetteten Sachquellen und ihrer Methoden eine archäologische Disziplin‘

Die jüngste Definition des Faches wurde von Barbara Scholkmann formuliert:

  • Barbara Scholkmann 1998: ‚eine Geschichtswissenschaft, deren Forschungsgegenstand die gegenständlichen Quellen sind. Die Fragestellungen zielen auf kulturelle Erscheinungen und Entwicklungen, sie arbeitet mit einem breiten Methodenspektrum, dessen Kern die archäologischen Methoden bilden‘

Maßgeblich für den chronologischen Beginn des Arbeitsfeldes der Mittelalterarchäologie ist heute die Christianisierung, da sie nicht nur eine kulturelle Veränderung bedeutet, sondern auch einen Wechsel der Quellenlage: Das Ende der beigabenführenden Bestattungen und der Beginn einer von den Klöstern getragenen schriftlichen Überlieferung. Hier ergibt sich ein Überlappungsbereich mit der Ur- und Frühgeschichte. Zur Neuzeit besteht keine eindeutige Grenze, da diese zunehmend in das Selbstverständnis des Faches integriert wird.

Theorie & Methode

Die Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit bedient sich bei der Erschließung ihrer Quellen vorrangig archäologischer Methoden. Bei der Interpretation ihrer Quellen ist es notwendig, diese mit den Ergebnissen der anderen mediaevistischen Disziplinen bzw. vielmehr mit den Aussagen der schriftlichen und bildlichen Quellen in Bezug setzen. Das erfordert eine Methodik der Interpretation, die über die in der Ur- und Frühgeschichte gebräuchliche Analogiebildung hinausgeht. Eine diesbezügliche Theoriebildung beginnt gerade erst, da sich dieses Problem im Rahmen der Ur- und Frühgeschichte in dieser Weise kaum gestellt hatte (Schreg 2007). Nach ihrer Methode ist die Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit (wie die klassische Archäologie) daher eine historische Archäologie, für die das Nebeneinander materieller und schriftlicher (bildlicher) Quellen charakteristisch ist. Neuere Fragestellungen der historischen Wissenschaften wie die Mentalitätsgeschichte (Schimpff 2004) dringen in die Mittelalterarchäologie erst langsam ein.

Seminare und Institute

Deutschland

  • Institut für Archäologie, Denkmalkunde und Kunstgeschichte, Abteilung II: Archäologie, Lehrstuhl für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.[1]
  • Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit des Instituts für Kunstgeschichte und Archäologien Europas - Prähistorische Archäologie Mitteleuropas - der Philosophischen Fakultät I: Sozialwissenschaften und historische Kulturwissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
  • Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Eberhard-Karls-Universität Tübingen mit den Abteilungen Ältere Urgeschichte und Quartärökologie (Geowissenschaftliche Fakultät), der Abteilung Jüngere Urgeschichte und Frühgeschichte (Fakultät für Kulturwissenschaften) und der Abteilung Archäologie des Mittelalters (Fakultät für Kulturwissenschaften).

Österreich

Italien

An einer Reihe von Universitäten wird Archäologie des Mittelalters in Verbindung mit Christlicher Archäologie gelehrt. Eigenständige Fachvertretungen sind im Folgenden genannt.

Schweiz

  • Lehrstuhl für Archäologie und mittelalterliche Kunstgeschichte am Kunsthistorischen Institut der Universität Zürich.

Gesellschaften

Deutschland

Österreich

Literatur

  • Günter P. Fehring: Die Archäologie des Mittelalters. Eine Einführung. 3. verbesserte und aktualisierte Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2000, ISBN 3-534-14517-8 (Parallelausgabe: Theiss, Stuttgart 2000, ISBN 3-8062-1480-8).
  • James Graham-Campbell, Magdalena Valor (Hrsg.): The archaeology of medieval Europe. Volume 1: Eighth to twelfth centuries AD. Aarhus University Press u. a., Aarhus 2007, ISBN 978-87-7934-288-0 (Acta Jutlandica 83), (Acta Jutlandica - Humanities Series 79).
  • Volker Schimpff: Mittelalterarchäologie und Mentalitätsgeschichte: Der Griffel des sparsamen Kaufmanns. In: Volker Schimpff, Wieland Führ (Hrsg.): Historia in museo. Festschrift für Frank-Dietrich Jacob zum sechzigsten Geburtstag. Beier und Beran, Langenweißbach 2004, ISBN 3-930036-94-0, S. 417–432.
  • Barbara Scholkmann: Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit heute. Eine Standortbestimmung im interdisziplinären Kontext. In: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters. 25/26, 1997/98, ISSN 0340-0824, S. 7–18.
  • Barbara Scholkmann: Das Mittelalter im Fokus der Archäologie. Lizenzausgabe. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2009, ISBN 978-3-534-20998-9, (Archäologie in Deutschland - Sonderheft Plus 2009).
  • Rainer Schreg: Archäologie der frühen Neuzeit. Der Beitrag der Archäologie angesichts zunehmender Schriftquellen. In: Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit. 18, 2007, ISSN 1619-1439, S. 9–20.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit, Universität Bamberg
  2. Historische Archäologie am Institut für Ur- und Frühgeschichte, Universität Wien

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