Gender

Gender

Der Begriff Gender [ˈdʒɛndɚ] bezeichnet das soziale oder psychologische Geschlecht einer Person im Unterschied zu ihrem biologischen Geschlecht (engl. sex). Der Begriff wurde aus dem Englischen übernommen, um auch im Deutschen die Unterscheidung zwischen sozialem (gender) und biologischem (sex) Geschlecht treffen zu können, da das deutsche Wort Geschlecht in beiden Bedeutungen verwendet wird. Er dient vor allem als Terminus technicus in den Sozial- und Geisteswissenschaften.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Ausbruch aus der Geschlechterrolle; eine Brigantin in Süditalien, 19. Jahrhundert

Der Begriff Gender bezeichnet zum einen die soziale Geschlechterrolle (engl. gender role) beziehungsweise die sozialen Geschlechtsmerkmale. Es bezeichnet also alles, was in einer Kultur als typisch für ein bestimmtes Geschlecht angesehen wird (zum Beispiel Kleidung, Beruf und so weiter); es verweist nicht unmittelbar auf die körperlichen Geschlechtsmerkmale (sex).

Der Begriff wurde in dieser Bedeutung 1955 von dem US-amerikanischen Forscher John Money eingeführt, um das Fühlen und Verhalten von intersexuellen Menschen zu beschreiben, bei denen das körperliche Geschlecht uneindeutig war, die jedoch eine eindeutige Geschlechtsidentität oder eine eindeutige Geschlechtsrollenpräsentation aufwiesen. Diese waren ursprünglich als sex role und sex identity beschrieben worden, jedoch war gerade bei diesen Personen das körperliche Geschlecht, also sex, nicht eindeutig.

„Der Begriff Geschlechtsrolle (gender role) wird benutzt, um all jene Dinge zu beschreiben, die eine Person sagt oder tut, um sich selbst auszuweisen als jemand, der oder die den Status als Mann oder Junge, als Frau oder Mädchen hat.“

Money, 1955

Seine Theorie, dass das Identitätsgeschlecht eines Menschen erst mit etwa drei Jahren entwickelt und vorher beliebig veränderbar sei, versuchte Money 1966 an dem damals 22 Monate alten Bruce Reimer zu belegen, den er nach einer missglückten Genitalbeschneidung einer chirurgischen Geschlechtsumwandlung unterzog und von seinen Eltern als Mädchen Brenda aufziehen ließ. Das Experiment scheiterte, und als Brenda von ihrer Geschichte erfuhr, nahm sie den Namen David an und ließ die Umwandlung rückgängig machen. David Reimer nahm sich 2004 das Leben.

Zum anderen bezeichnet Gender auch die Geschlechtsidentität (gender identity); diese Bedeutung wurde 1968 von Robert Stoller und Ralph Greenson geprägt.

„Geschlechtsidentität (gender identity) beginnt mit dem Wissen und dem Bewusstsein, ob bewusst oder unbewusst, dass man einem Geschlecht (sex) angehört und nicht dem anderen. Geschlechtsrolle (gender role) ist das äußerliche Verhalten, welches man in der Gesellschaft zeigt, die Rolle, die man spielt, insbesondere mit anderen Menschen.“

Stoller, 1968

Bei den meisten Menschen fallen körperliches, soziales und Identitätsgeschlecht weitgehend zusammen, sie besitzen also die Merkmale eines bestimmten Geschlechts, verhalten sich kulturabhängig diesem Geschlecht entsprechend und fühlen sich diesem Geschlecht auch zugehörig. Ist dies nicht der Fall, spricht man von Transgender.

Die begriffliche Trennung von sex und gender wurde nachfolgend sowohl in der feministischen Literatur aufgegriffen, als auch im Diskurs von und über Menschen, die ihr Geschlecht wechseln wollten. Entsprechend führte Virginia Price in den 1970er Jahren den Begriff transgender ein; dieser bezeichnet Menschen, die zwar ihre Geschlechtsrolle wechseln wollten, weil ihre Geschlechtsidentität nicht ihrem biologischen Geschlecht entsprach, im Gegensatz zu „Transsexuellen“ aber auf einen Wechsel des biologischen Geschlechts (also eine genitalangleichende Operation) verzichteten. Heute hat sich der Gebrauch des Wortes Transgender verschoben, so wird es als Überbegriff für alle verwandt, die ihre Geschlechtsrolle wechseln (wollen) oder deren Geschlechtsidentität nicht der ihnen, üblicherweise aufgrund ihres körperlichen Geschlechts, zugewiesenen Geschlechtsrolle entspricht.

Die Genderproblematik in den Gender Studies

Gender bezeichnet ein von sozialen und kulturellen Umständen abhängiges Geschlecht und damit eine soziokulturelle Konstruktion.

Besonders die Gender Studies bestreiten einen kausalen Zusammenhang von biologischem und sozialem Geschlecht und dessen Kontinuitätsbestreben. Das soziale Geschlecht wird vielmehr als eine Konstruktion des Geschlechts (Doing Gender) verstanden. Hierbei geht es zwar vordergründig um die Zuordnung von Menschen in eine typisch männliche oder typisch weibliche Rolle, aber auch um den Wert der Geschlechtsrolle. Gender beschreibt vor allem die Art und Weise, in der Männer und Frauen sich zu ihrer Rolle in der Gesellschaft selbst positionieren und wie sie diese Rolle bewerten. Insofern könnte beispielsweise eine Gruppe von Frauen ein eigenes Geschlecht (Gender) bilden, das sich einerseits auszeichnet durch die natürliche Anbindung an ihr biologisches Geschlecht, andererseits durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht.

Die soziale Bedeutung eines solchermaßen konstruierten sozialen Geschlechts wird als variabel beschrieben. Das Geschlecht und besonders seine Bewertung hängen ab von den in einer Gesellschaft vorherrschenden Machtstrukturen. So ist die Genderproblematik in einer matriarchalen Gesellschaft mehr oder weniger anders als in einer patriarchalen, weil die Begriffe „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ in den verschiedenen Gesellschaften auch unterschiedlich bewertet werden und darüber gesellschaftliche Anspruchs- und Wahrnehmungsperspektiven geprägt werden, die sich so auch selbst reproduzieren können. Das jeweilige Individuum empfindet, bedingt durch seine Sozialisation, diese Rollen- und Perspektivverteilung als normal.

Kritik an der begrifflichen Trennung von sex und gender

Die begriffliche Trennung zwischen dem biologischen Geschlecht (sex) und dem sozialen Geschlecht (gender) erschien – und erscheint immer noch – vor allem seit den Achtzigerjahren im sozialwissenschaftlich-feministischen Diskurs als zentral.[1] Judith Butler lehnt die Trennung zwischen Sex und Gender allerdings ab, denn diese sei rein artifiziell und gehe zurück auf den Cartesischen Dualismus, nämlich die von Descartes begründete philosophische Auffassung, dass Körper und Geist unabhängig voneinander, nebeneinander existierten. Die Trennung zwischen Sex und Gender impliziere, der Mensch bestehe, so wie auch Descartes die Dichotomie zwischen Körper und Geist aufmacht, 1. aus seinem biologischen Geschlecht, das heißt seinem Sex, seinem biologischen, unhinterfragbaren, natürlich gegebenen Körper, und 2. aus seinem sozialen Geschlecht, das heißt seinem Gender, seinem vom Körper unabhängig quasi frei wählbaren Geschlecht. Nach Butler erscheint aber nicht nur das soziale Geschlecht als Konstruktion, sondern auch das biologische Geschlecht als hinterfragbare Wahrheit oder als eine kulturelle Interpretation des Körperlichen. Das, was man als Gender leben könne, sei letztlich abhängig davon, welche körperlichen Möglichkeiten man habe. Und diese körperlichen Möglichkeiten wiederum würden bereits kulturell interpretiert.[2]

Siehe auch

Literatur

  • Hadumod Bußmann, Renate Hof (Hg.): Genus – Geschlechterforschung/Gender Studies in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Kröner, Stuttgart 2005. ISBN 3-520-82201-6
  • Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1991. ISBN 3-518-11722-X
  • Norbert Elias: Wandlungen der Machtbalance zwischen den Geschlechtern. Eine prozeßsoziologische Untersuchung am Beispiel des antiken Römerstaats in KZfSS Jg. 38, 1968, S. 425-449; wieder in: Jürgen Friedrichs & Karl Ulrich Mayer & Wolfgang Schluchter, Hgg.: Soziologische Theorie und Empirie. KZfSS. Westdeutscher Verlag, Opladen 1997. ISBN 3-531-13139-7 S. 125-149
  • Ulrich Enderwitz: Die Sexualisierung der Geschlechter. Eine Übung in negativer Anthropologie. Ça Ira, Freiburg/Br. 1999. ISBN 3-924627-60-6
  • Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: Frau - Männin - Menschin. Zwischen Feminismus und Gender. Butzon & Bercker, Kevelaer 2009. ISBN 978-3-7666-1313-4
  • Andrea Griesebner: Feministische Geschichtswissenschaft. Eine Einführung. Löcker, Wien 2004. ISBN 3-85409-410-8
  • Genus – Münsteraner Arbeitskreis für Gender Studies (Hg.): Kultur, Geschlecht, Körper. Agenda, Münster 1999. ISBN 3-89688-061-6
  • David Haig: The Inexorable Rise of Gender and the Decline of Sex: Social Change in Academic Titles 1945–2001. In: Archives of Sexual Behavior. 2/2004, S. 87–96. (PDF)
  • Marlis Hellinger, Hadumod Bußmann (Hg.): Gender Across Languages, The linguistic representation of women and men, Volume 3. John Benjamins, Amsterdam 2003. ISBN 1-58811-210-1 und ISBN 1-58811-211-X
  • Claudia Koppert, Beate Selders (Hg.): Hand aufs dekonstruierte Herz. Verständigungsversuche in Zeiten der politisch-theoretischen Selbstabschaffung von Frauen. Königstein: Ulrike Helmer 2003.
  • Judith Lorber: Genderparadoxien. Leske + Budrich, Opladen 1999. ISBN 3-8100-3743-5
  • Ursula Pasero, Christine Weinbach (Hg.): Frauen, Männer, Gender Trouble. Systemtheoretische Essays. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003. ISBN 3-518-29237-4
  • Paula-Irene Villa: Sexy Bodies. Eine soziologische Reise durch den Geschlechtskörper. Leske + Budrich, Opladen 1999. ISBN 3-8100-2452-X
  • Ursula Pasero, Birger P. Priddat (Hg.): Organisationen und Netzwerke: Der Fall Gender. VS, Wiesbaden 2004. ISBN 3-531-14255-0

Einzelnachweise

  1. Susanne Schröter: FeMale. Über Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main 2002, S. 39
  2. Judith Butler: Variationen zum Thema Sex und Geschlecht. Beauvoir, Wittig und Foucault. In: Nunner-Winkler: Weibliche Moral. Die Kontroverse um geschlechtsspezifische Ethik. Campus, Frankfurt/Main 1991

Weblinks


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