- Mrs. Dalloway
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Mrs Dalloway ist Virginia Woolfs vierter Roman und ihr zweiter „experimenteller“, mit dem sie sich neue Darstellungsformen im Roman eroberte. Sie veröffentlichte ihr Werk 1925 in ihrem eigenen Verlag, der Hogarth Press, in London.
Der Roman handelt von den Gedanken und sparsamen Handlungen eines kleinen Kreises von Personen in London im Verlauf eines Junimittwochs im Jahre 1923. Im Mittelpunkt stehen einerseits Clarissa Dalloway, ihre Bekannten und deren Dienstboten, andererseits der durch seine Kriegserlebnisse emotional erstarrte Septimus Warren Smith, seine Frau und schließlich ein Nervenarzt, der am Ende des Tages die beiden Personenkreise verbindet.
Inhaltsverzeichnis
Erzählweise
Der Roman beginnt mit Clarissa Dalloways morgendlichem Blumenkauf in der Bond-Street, einem geheimnisvollen Auto mit Fehlzündung und einem Flugzeug, das das Wort Toffee in den Himmel schreibt – also mit äußeren Ereignissen, die den Eintritt in die verschiedenen inneren Welten der Figuren bilden. Der Erzähler bewegt sich fließend zwischen der Wahrnehmung der äußeren Begebenheiten durch die Figuren und den sich daran anknüpfenden Assoziationen und Erinnerungen. Die äußeren Begebenheiten sind gleichsam die Orte, an denen die Perspektivenwechsel zwischen den Figuren stattfinden. Entlang der von den Glocken Big Bens geordneten Stunden dieses Tages (siehe unten den Abschnitt Nachwirkung) werden unter anderem Spaziergänge durch Westminster, das Flicken eines Abendkleides, der Entwurf eines Leserbriefes an die Times beim Mittagessen, eine Fahrt auf dem Oberdeck eines Busses oder die Rückkehr eines vor fünf Jahren in den indischen Kolonialdienst eingetretenen Freundes von Clarissa Dalloway und ihre abschließende Abendgesellschaft beschrieben, die auch der Premierminister besucht.
Das Besondere an diesem Werk ist die Art und Weise, wie die inneren, psychischen Prozesse aus den äußeren, sichtbaren Ereignissen herausgeschält werden. Der Erzähler tritt hinter die ihre Gedanken fortspinnenden Charaktere zurück: Durch eine Kombination von direkter, indirekter und erlebter Rede mit kurzen Passagen innerer Monologe wird eine ungewohnte Intensität der Analyse psychischer Realitäten erreicht. Indem die Figuren im zeitweiligen Mittelpunkt den Staffelstab der Erzählung an die nächsten weiterreichen, entwickelt sich der Roman mehr wie ein Gedanken- als ein Handlungsgeflecht – er wird an einigen Stellen so sehr zu einer Gedankenerzählung, dass die Figuren nicht erst auf äußere Handlungen reagieren, sondern schon auf die sich erst ausformenden Bewusstseinsinhalte ihrer Gegenüber. Das Interessante des Romans ist dieser Bewusstseinsstrom der Figuren, den kurz vorher auch James Joyce in seinem Roman Ulysses als Strukturprinzip angewendet hatte. Mit Mrs Dalloway hat Virginia Woolf einen ihrer wichtigsten Beiträge zur Entwicklung des Romans im 20. Jahrhundert geleistet.
Deutung
So alltäglich die sichtbaren äußeren Ereignisse meist auch sind, so grundsätzlich sind die sich hieran entzündenden Assoziationen, Fragen und Ängste, die gegenseitigen Wert- und Geringschätzungen der Figuren. Die Gedanken auch der Randfiguren zeichnen ein spannungsreiches Kaleidoskop der britischen Gesellschaft nach dem 1. Weltkrieg: lesbische und eheliche Liebe, Karrieren und ihr Scheitern, die allmähliche Emanzipation der Frauen, die Wahnvorstellungen eines Heimkehrers von den Weltkriegs-Schlachtfeldern des Kontinents, das Elend der Psychiater, Wohlstand und Armut, das Leben im Herzen und am Rande des britischen Empires, die kritischen Blicke der Dienstboten auf ihre Herrschaften, gesellschaftliche Erstarrung und Auswanderung zu einem neuen Aufbruch nach Kanada …
Auch das Denken der Hauptfigur, Clarissa Dalloway, das stets um ihre Abendgesellschaften kreist, stößt auf seinen mäandernden Wegen auf den frühen tödlichen Unfall der Schwester Clarissas, auf ihre eigene Oberflächlichkeit und auf ihren möglichen gesellschaftlichen Tod. Auf den letzten Seiten des Romans wird Clarissa während ihrer Abendgesellschaft durch die Nachricht vom Selbstmord des jungen Kriegsheimkehrers erschüttert: „Sie war davongekommen. Aber dieser junge Mann hatte sich umgebracht." Die beiden bisher zwar verschachtelten, aber nebeneinander verlaufenden Erzählstränge und Schicksalsmöglichkeiten berühren sich im Ende: dicht neben dem eigenen Leben verläuft eine andere Schicksalsspur, in die hinein zu rutschen nicht undenkbar ist. Die von der Autorin versammelten Charaktere spüren eine neue Verletzlichkeit und Unsicherheit - England ist im Wandel: „Aber war das Lady Bruton? (die sie doch gekannt hatte). War das Peter Walsh, grau geworden? fragte sich Lady Rosseter (die einmal Sally Seton gewesen war)."
Das Vorbild
Im Sommer 1909 machte Virginia Woolf die Bekanntschaft von Lady Ottoline Morrell, einer Aristokratin und Kunstmäzenin. Diese schloss sich dem Bloomsbury-Kreis an und faszinierte durch ihre extravagante Erscheinung. Ihr exotischer Lebensstil beeinflusste die Gruppe, sodass die Mitglieder gern der Einladung folgten, donnerstags um zehn Uhr in ihr Haus am Bedford Square zu kommen, wo sich Besucher wie D. H. Lawrence und Winston Churchill im Salon einfanden. Später wurde auch ihr Haus Garsington Manor bei Oxford zum Treffpunkt der „Bloomsberries“. Die Autorin setzte Ottoline Morrell in ihrem Roman Mrs Dalloway, den sie als „Garsington novel“ bezeichnete, ein literarisches Denkmal.[1]
Nachwirkung
Mrs. Dalloway bildete u. a. die Grundlage für den Roman Die Stunden (The Hours) von Michael Cunningham, der 1999 den Pulitzer-Preis erhielt. Virginia Woolfs Tagebuchaufzeichnungen ist zu entnehmen, dass sie ursprünglich daran gedacht hatte, den Roman Die Stunden zu nennen. Der Roman von Cunningham wurde von Stephen Daldry unter dem Titel The Hours mit Nicole Kidman als Virginia Woolf verfilmt, die für ihre Rolle den Oscar erhielt.
Literatur
- Virginia Woolf: Mrs Dalloway. Deutsch von Walter Boehlich, Frankfurt/M.: S.Fischer, 2003. ISBN 3-596-14002-1
- Hermione Lee: Virginia Woolf. Ein Leben. Frankfurt/ Main: Fischer, 2005
- Mark Hussey: Virginia Woolf A to Z, New York 1995
Einzelnachweise
- ↑ Ursula Voss: Bertrand Russell und Ottoline Morrell. Eine Liebe wider die Philosophie, S. 166
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