Multiplikatoreneffekt

Multiplikatoreneffekt

Als Multiplikator bezeichnet man in der Volkswirtschaftslehre einen Faktor, der angibt, in welchem Umfang sich ein ursprünglicher wirtschaftlicher Impuls (unabhängige Variable) auf eine zu erklärende Größe (abhängige Variable) auswirkt. Entsprechen sich die Änderungsraten der unabhängigen und der abhängigen Variablen, so ist der Multiplikator gleich Eins. Zumeist werden mit dem Konzept aber Kausalzusammenhänge erklärt, bei denen sich die abhängige Variable um ein Mehrfaches der unabhängigen ändert (Multiplikator ist größer als Eins).

Die Bezeichnung Multiplikator ist ein terminus technicus vor allem des Keynesianismus. Zusammen mit dem Akzelerator-Prozess ist der Multiplikator-Prozess ein wesentlicher Mechanismus, durch den es zu einer Selbstverstärkung wirtschaftlicher Impulse kommt. Wirtschaftspolitische Verwendung findet das Multiplikatorprinzip hauptsächlich im Rahmen der Frage einer Stimulierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage sowie der Geldpolitik.

Inhaltsverzeichnis

Multiplikatoren im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage

Die keynesianische Theorie nutzt das Multiplikatorkonzept zur Erklärung diverser Zusammenhänge im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Wird beispielsweise die staatliche Nachfrage um einen bestimmten Betrag erhöht, erhöht dies nicht um denselben Betrag die Gesamtnachfrage (dann wäre der Multiplikator gleich eins), sondern um einen noch größeren Betrag. Der Grund ist, dass die höheren Staatsausgaben (Primärimpuls) bei anderen Wirtschaftssubjekten Einnahmen sind, die deshalb ihrerseits ihre Nachfrage erhöhen. Die sekundären Effekte führen zu einem Multiplikator größer eins, das heißt, der ursprüngliche Nachfrageimpuls führt zu einer Erhöhung der Gesamtnachfrage nicht in gleicher, sondern in größerer Höhe. Kritiker des Keynesianismus bestreiten dagegen, dass solche Multiplikatoren größer eins sind.

Als Multiplikator kommen im Rahmen der Nachfrageförderung alle Bestandteile der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage

YN = C + I + G + ExIm

in Frage. Allerdings steht im Allgemeinen die staatliche unmittelbar beeinflussbare Staatsnachfrage G im Vordergrund.

Staatsausgabenmultiplikator (geschlossene Volkswirtschaft)

Der Staatsausgabenmultiplikator gibt an, um wie viel sich das Bruttoinlandsprodukt erhöht, wenn der Staatsverbrauch um 1 € erhöht wird. Der Multiplikator ist umso höher, je niedriger die Sparquote ist, und er ist umso niedriger, je höher die Importquote und die Steuern sind.

Formal: \Delta Y = \frac{\Delta G}{1 - c} bzw. \Delta Y = \frac{\Delta G}{s}

  • Y: Nachfrage
  • G: Staatsausgaben
  • c: marginale Konsumquote, die angibt, wie viel von einem zusätzlichen Euro Einkommen Y konsumiert wird.
  • s: marginale Sparquote (1-c), die entsprechend angibt, wie viel von einem zusätzlichen Euro Einkommen Y gespart wird.

Der Multiplikator ist:

\frac{1}{1-c} = \frac{1}{s}

Investitionsmultiplikator (geschlossene Volkswirtschaft)

Gemäß dem Investitionsmultiplikator führt eine exogene Erhöhung der Investitionsnachfrage genau im selben Maß wie eine Ausdehnung der Staatsausgaben zu einer Nachfrageerhöhung.

Formal: \Delta Y = \frac{\Delta I}{1 - c} bzw. \Delta Y = \frac{\Delta I}{s}

Exportmultiplikator (offene Volkswirtschaft)

In einer offenen Volkswirtschaft ist zu berücksichtigen, dass ein Teil der steigenden Nachfrage durch Importe aus dem Ausland befriedigt wird. Der Wert des Multiplikators wird geringer, je größer die Importneigung m ist.

Im Falle einer offenen Volkswirtschaft mit autonomer (also unabhängig vom Einkommen Y gegebenen) Nettoinvestition, autonomen (unabhängig vom Einkommen Y gegebenen) Export X, einkommensabhängigem Konsum

C=c \cdot Y

und ebenfalls einkommensabhängigem Import

Im=m \cdot Y

gilt bei Vernachlässigung der ökonomischen Aktivität des Staates:

\Delta Y=\frac{1}{1-c+m} \cdot \Delta X=\frac{1} {s+m} \cdot \Delta X

Der Multiplikator ist also:

\frac{1}{1-c+m} = \frac{1}{s+m}

Empfängt die ökonomische Aktivität durch zusätzlichen Export einen Anstoß, so erhöht sich das Einkommen Y umso mehr, je weniger in die Ersparnis "versickert" oder je weniger der zusätzlichen Nachfrage durch Importe M aus dem Ausland befriedigt wird, je kleiner also s, die marginale Sparquote und die Importneigung m ist. In umfassenderen Modellen werden Rückwirkungen auf das Ausland mit in Betracht gezogen. Die dem Ausland zugute kommende Nachfrage wird auch dort zum Teil durch Importe befriedigt, was die Exporte des eigenen Landes erhöhen kann.

Berücksichtigung von Steuern

In einer geschlossenen Volkswirtschaft, also ohne Außenhandel gilt:

(1)Y = C0 + C + I + ASt

Die Gesamtnachfrage Y setzt sich aus der Konsum-, der Investitionsnachfrage und den Staatsausgaben, der Nachfrage des Staates zusammen.

Es werden proportional zum Einkommen Y Steuern T erhoben:

T = t \cdot Y

Für die keynesianische Konsumnachfrage C gilt :

C = C_0 + c \cdot (Y-T)

In Gleichung (1) steht also links Y, rechts kommt aber Y als Größe auch vor. Wie groß muss das Gleichgewichtseinkommen sein, dass das Gleichheitszeichen in (1) gilt?

Das Gleichgewichtseinkommen Y* ist das Produkt aus Multiplikator und der Summe der einkommensunabhängigen Nachfragegrößen (autonome Nachfrage):


Y^* = \frac{1}{1-c+ct} (C_0 + I + A_{St})

C0: einkommensunabhängiger (autonomer) privater Konsum
ASt: Nachfrage nach Gütern durch den Staat
I: Investitionen der Unternehmer
t: Steuertarif
c: marginale Konsumquote

Die Gleichung gibt an, um das Wievielfache das Gleichgewichtseinkommen steigt, wenn der autonome (einkommensunabhängig gegebene) private Konsum C0, die Investitionen (ebenfalls einkommensunabhängig gegeben angenommen) und schließlich die Staatsausgaben um einen bestimmten Betrag erhöht werden.

Fordert man, dass die Staatsausgaben voll durch Steuern finanziert werden sollen

ASt = T

so dass dadurch auch die Staatsausgaben vom Einkommen Y abhängig werden (A_{St}= T = t \cdot Y)), dann ergibt sich für Änderungen beim autonomen Konsum C0 oder bei den Investitionen folgende Multiplikatorbeziehung:


Y^* = \frac{1}{(1-c)(1-t)} (C_0 + I)

Haavelmo-Theorem

Betrachtet man die letzte Formel und überlegt, was passiert, wenn der Steuersatz t, der Werte zwischen 0 und 1 annehmen kann, erhöht wird (man leitet also Y * nach t ab), dann erhält man das Haavelmo-Theorem. Höheres t führt zu höherem Gleichgewichtseinkommen Y * . Staatsausgaben- und Steuermultiplikator können also entgegengesetzt genutzt werden: Eine Erhöhung der Staatsausgaben ΔASt, die mit einer Steuerfinanzierung ΔT in gleicher Höhe einhergeht, erhöht insgesamt das Gleichgewichtseinkommen/Gleichgewichtsinlandsprodukt Y * :

\Delta Y \ge \Delta A_{St} = \Delta T

Geldschöpfungsmultiplikator

siehe Hauptartikel Geldschöpfungsmultiplikator

Analog definiert ist der Geldschöpfungs-Multiplikator. Er gibt an, wie stark sich die Geldmenge erhöht, wenn die Zentralbank einen geldpolitischen Impuls gibt. Er ist umso niedriger, je höher die Mindestreserve- und die Liquiditätsreservesätze sind.


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